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Das renommierte Psychologenpaar Karl und Charlotte Bühler wurde 1938 aus Österreich vertrieben. Ihre Rückkehr aus dem US-Exil scheiterte vor allem an mangelnden Bemühungen der Wiener Seite.

Foto: Picturedesk/ÖNB/Wagner

Wien - "Der Sektionschef Skrbensky tut nichts, aber er lügt: Alle Entlassenen seien eingeladen worden zurückzukommen. Das stimmt nicht." Anlässlich eines Wien-Besuchs 1947 vertraute der 1938 in die USA emigrierte Ökonom Oskar Morgenstern diese Sätze am 6. Juli 1947 seinem Tagebuch an.

Der Wirtschaftswissenschafter und Spieltheoretiker, dem seit kurzem in Wien ein eigener Platz gewidmet ist, war 1938 von den Nazis politisch, nicht aber rassistisch verfolgt worden und in den USA gelandet. Da aber seine Eltern und seine Schwester in Wien geblieben waren, bemühte er sich nach Kriegsende rasch, dorthin zu fahren.

An seinen ersten längeren Aufenthalt im Sommer 1947 schlossen sich weitere Besuche an, sagt der Grazer Soziologe Christian Fleck, der Morgensterns umfangreiche Tagebuchaufzeichnungen ausgewertet und zugänglich gemacht hat - und darüber demnächst bei einem Symposium in Wien zum Thema Remigration in Kultur, Geistes- und Sozialwissenschaften berichten wird. Zur Rückkehr nach Wien konnte sich Morgenstern aus verschiedenen Gründen aber nicht entschließen.

Das lag nicht zuletzt auch daran, dass die Emigranten nach 1945 in Wien nicht wirklich erwünscht waren und man sich kaum um sie bemühte - zumal in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Mitverantwortlich dafür war der eingangs erwähnte Sektionschef Otto Skrbensky, der im Unterrichtsministerium für die Hochschulen zuständig war - und diese ab 1934 unter dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime von politischen Gegnern gesäubert hatte.

Listen mit vielen Namen

Zwar zirkulierten ab Anfang 1946 zwei Listen mit 175 und sogar 370 Namen von rückkehrwilligen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern, die 1938 vertrieben worden waren. Doch diese von den britischen und US-amerikanischen Alliierten dem Unterrichtsministerium und der Universität Wien übergebenen Listen blieben eher unbeachtet, worauf sich auch Morgensterns Tagebucheintrag bezog. Die Rückkehr der Vertriebenen schien auch noch 1947 jedenfalls nicht recht anlaufen zu wollen.

Dass sie letztlich fast vollständig scheiterte, hatte viele Gründe. Die katastrophale wirtschaftliche und die unsichere politische Lage hinderten zweifellos viele Emigrantinnen und Emigranten daran, überhaupt oder auch nur länger nach Österreich zurückzukommen. Einer, der es nach langen Verhandlungen doch versuchte, war Physik-Nobelpreisträger Victor Franz Hess, der im Sommer 1948 eine kurze Gastprofessur in Innsbruck übernahm, es dann aber wieder bleibenließ, wie Christian Fleck recherchierte.

Bei Hess, der aus katholischer Überzeugung NS-Gegner war, zeigt sich ein ganzes Motivbündel, das von seinen Vorbehalten gegen die ehemaligen Kollegen der Universität Graz über die wirtschaftliche Notlage in Österreich (in den USA zahlte man die dreifachen Professorengehälter) bis zum Alter reichte: Hess war 1948 65 Jahre alt.

Dass vor allem ab 1948 die zunächst noch recht strengen Kriterien der Entnazifizierung zunehmend aufgeweicht wurden und der Bedarf an Remigrantinnen und Remigranten kleiner wurde, war der Sache gewiss auch nicht förderlich. Schließlich kam etwa an der Universität Wien aber auch noch dazu, dass jemand wie der antisemitische und mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Pädagoge und Altphilologe Richard Meister nach 1945 für Remigrationsfragen zuständig war, wie sich etwa aus seiner Korrespondenz mit dem emigrierten Psychologen-Ehepaar Charlotte und Karl Bühler schließen lässt.

Bei Karl Bühler scheiterte die Rückkehr an den Kosten der Übersiedlung. Charlotte Bühler hatte von Meister wiederum erfahren, "dass ich meine eigene Professur nicht zurückbekommen könnte, weil er sie inzwischen an eine unserer früheren Schülerinnen vergeben habe". Dabei handelte es sich um Sonja Klimpfinger, die ab 1. Jänner 1941 Mitglied der NSDAP gewesen war. 1943 habilitierte sie sich bei Arnold Gehlen mit Forschungen, die im Kontext der nationalsozialistischen Okkupationspolitik in Osteuropa standen. Meister holte Klimpfinger nach 1946 zu sich an sein Institut, 1950 erhielt sie jene Position, die Bühler vor 1938 innegehabt hatte.

Intellektuelles Mittelmaß

So kam es, dass in den Sozial-, Geistes-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften nach 1945 in Österreich bestenfalls intellektuelles Mittelmaß mit eindeutig katholisch-konservativer Schlagseite vorherrschte. Selbst für Linkskatholiken wie den überaus produktiven, originellen und international rezipierten Historiker Friedrich Heer, um wieder nur ein Beispiel zu nennen, war an den Universitäten kein Platz.

Die meisten der wenigen linken und jüdischen Remigranten aus den Geistes- und Sozialwissenschaften fanden sich – schon so wie vor 1938 – nach 1945 in der außeruniversitären Forschung wieder, resümiert der Historiker Johannes Feichtinger von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der den Eröffnungsvortrag des Symposiums halten wird. Er verweist aber auch darauf, dass es gerade auch durch diese Remigranten zu wichtigen wirtschaftswissenschaftlichen und -politischen Impulsen kam.

Ein Beispiel dafür ist der Wirtschaftshistoriker Eduard März, der nach dem "Anschluss" in die USA emigrierte und bei Schumpeter in Harvard dissertierte. Nach Wien zurückgekehrt, blieb dem Sozialisten jüdischer Herkunft die angestrebte Habilitation an der Universität Wien versagt, weshalb er an der Arbeiterkammer ein Forschungszentrum aufbaute.

Ins Bild passte da auch das 1963 von Oskar Morgenstern mitgegründete Institut für Höhere Studien: Es war eine außeruniversitäre Gründung - und Morgenstern ging nach nur einem Jahr als Kodirektor wieder zurück in die USA. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 22.4.2015)