Christian Fleck, "Etablierung in der Fremde. Vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933". € 41,40 / 475 Seiten. Campus, Frankfurt/Main 2015

Cover: Campus

Seine letzte Nachricht war ein Brief, dessen Botschaft lapidar ausfiel: Falls ihn der Hausmeister finden sollte, dann möge er den 10-Dollar-Schein behalten – als Entschädigung für die Unannehmlichkeiten. Diese Zeilen schrieb Edgar Zilsel, kurz bevor er sich am 11. März 1944 in seinem Büro am College der kalifornischen Stadt Oakland mit Schlaftabletten das Leben nahm. Der große österreichische Wissenschaftshistoriker, Philosoph und Soziologe dachte auch noch beim eigenen Tod an die Folgen seines Handelns für die Mitmenschen.

Zilsels Suizid steht am Ende einer von vier ausführlichen Fallgeschichten, die sein Grazer Fachkollege Christian Fleck in seinem neuen Buch "Etablierung in der Fremde" erzählt. In allen vier Fällen geht es um Sozialwissenschafter aus Österreich, die kurz vor oder nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in die Vereinigten Staaten emigrierten und dort versuchten, als Forscher wieder Fuß zu fassen.

Nicht alle Geschichten enden so früh tragisch wie die von Zilsel, der schon Mitte der 1920er-Jahre als Marxist jüdischer Herkunft keine Chance auf eine Karriere an der Universität Wien hatte und stattdessen zum wichtigsten Volkshochschullehrer der Zwischenkriegszeit avancierte. Der Soziologe Paul F. Lazarsfeld etwa, der bereits 1933 aus Wien wegging, wurde angesehener Professor an der Columbia-Universität in New York und dort Begründer der empirischen Sozialforschung.

Warum aber scheiterten die einen, und warum machten viele andere im Exil Karriere? Das ist eine der zentralen Fragen, denen der erste, analytische Teil der Studie gewidmet ist. Fleck, längst einer der international führenden Historiker der Sozialwissenschaften, rekonstruiert zuvor aber auch noch die Tätigkeit der einschlägigen Hilfsorganisationen und gibt auch Antworten auf die Frage, warum die USA großzügig Hilfe anboten. Laut seinen Recherchen waren es vor allem moralische Gründe, die nicht nur Albert Einstein, sondern viele andere seiner Kollegen dazu bewegten, sich für die bedrohten Kollegen in Deutschland und Österreich einzusetzen.

Im Folgenden arbeitet Fleck in seiner materialreichen Untersuchung die wichtigsten Faktoren heraus, die für den beruflichen Neuanfang in den USA wichtig waren. In Amerika etablieren konnten sich demnach vor allem solche Forscher, die bereits einen Namen hatten – das war im Übrigen auch für die Förderung durch Hilfsinstitutionen wichtig.

Wie der Soziologe betont, spielten aber auch persönliche Beziehungen eine zentrale Rolle. Wer einflussreiche Mentoren aus der eigenen Disziplin hatte und auf Netzwerke zurückgreifen konnte, der hatte größere Chancen. Schließlich half auch eine gewisse geistige und kulturelle Flexibilität, vom europäischen auf das US-Wissenschaftssystem umzusatteln. Der sonst so innovative Edgar Zilsel besaß von alldem leider zu wenig. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 22.4.2015)