Virtual-Reality-Systeme wie Valves und HTCs Vive versprechen eine aufregende Zukunft für Spieler und Hersteller. Bis zum Holodeck gibt es jedoch noch mehr als nur Kabelstränge zu überwinden. Bild: Tom's Hardware

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Project Morpheus und auch alle anderen VR-Systeme setzen von Konsumenten Investitionsfreudigkeit voraus.

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Soll VR eines Tages tatsächlich die kompletten Körperbewegungen ins Spiel übersetzen, wird es viel Platz oder Lösungen wie Tretmühlen benötigen.

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Erste Demos für Project Morpheus zeigen, dass VR-Spiele auch auf Konsolen überzeugend aussehen können. Ein "GTA 5" sollte man sich zum start jedoch nicht erwarten.

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Nach Jahrzehnten der immer wieder aufflammenden Bemühungen scheint die Videospielbranche und die Technologie nun endlich weit genug fortgeschritten zu sein, um den Traum von Virtual Reality zu realisieren. Das geht zumindest aus den überzeugenden Produktvorstellungen rund um Sonys Project Morpheus, HTC Vive bzw. Valves Steam VR sowie den jüngsten Demos von Oculus Rift auf der vergangenen Game Developers Conference (GDC) hervor. Der Wettbewerb unter drei großen Herstellern hat drei unterschiedliche Produkte hervorgebracht, die bei individuellen Stärken und Schwächen allesamt VR-Erlebnisse bieten, die ab Ende 2015, Anfang 2016 in eine neue Ära des Gamings führen könnten.

Doch bevor nun voreilig Euphorie über die grandiose Gaming-Zukunft ausbricht, nur um dann aufgrund falscher Erwartungen enttäuscht zu werden, schadet es nicht, die vielen Fußnoten dieser bevorstehenden Revolution zu beachten.

1) Kleine Schritte in die Parallelwelt

Blockbuster wie "Grand Theft Auto" oder "Skyrim" werden zumindest zu Beginn aller Voraussicht nach nicht die revolutionäre Speerspitze bilden. Anstelle dessen dürfte der VR-Markt in den ersten Jahren von zahlreichen kleineren Werken geprägt werden. Dafür gibt es gleich mehrere Anzeichen: Die Produktion von Vollpreistiteln verschlingt dutzende Millionen Dollar und zahlt sich daher nur aus, wenn es bereits ein entsprechend großes Publikum samt entsprechender Geräte gibt. Selbst wenn der VR-Zug schnell ins Rollen kommt, ist nicht davon auszugehen, dass innerhalb der ersten ein bis zwei Jahre gleich zig Millionen Konsumenten in eine noch weitgehend ungewisse Unterhaltungszukunft investieren werden. Ein wesentliches Problem sind hier die Kosten. Abseits eines Spiele-PCs oder einer Konsole müssen interessierte Kunden zusätzlich noch ein paar Hundert Euro für die VR-Brille und je nach System auch noch Geld für Motion-Controller einrechnen. Keine idealen Voraussetzungen für einen Instant-Hit.

Andererseits bedeutet VR ein völlig neues Betätigungsfeld für Entwickler und Kreative. Bestehende Konzepte können nur teilweise weiterverwendet werden und gleichzeitig gilt es eine Vielzahl an neuen Paradigmen zu berücksichtigen. Um Anwendern ein angenehmes Spielgefühl zu vermitteln, müssen Spielmechaniken, das Interface und die Präsentation von Grund auf für Virtual-Reality konzipiert werden. Das zeigen nicht nur aktuell vorgestellte Demos von Sony, Valve und Oculus, sondern auch viele VR-Portierungen bestehender Spiele, die auf Dauer allesamt noch Probleme bereiten. Nach wie vor Kopfzerbrechen bereitet unter anderem die Frage, wie man etablierte Steuerungsmethoden (etwa von Egoshootern) so auf VR überträgt, dass den Spielern auf längere Zeit nicht übel wird und sie auch in der Virtualität Spaß machen.

2) Die Killer-App gibt es noch nicht

Nicht zuletzt ist VR ein neues Erlebnis für Spieler, das bei allen technischen Fortschritten Eingewöhnungszeit benötigen wird. Insofern spricht zurzeit viel dafür, dass die ersten VR-Games kürzere und dafür sehr intensive Erfahrungen sein werden. Im Zuge der GDC kam nicht selten der Vergleich mit dem frühen Mobile-Markt auf: Das "Angry Birds" für VR, kann nichts sein, was es bereits für andere Systeme gibt. Die Killer-Anwendungen müssen erst erschaffen werden.

Positiv in dieser Hinsicht ist, dass sowohl Valve, als auch Sony und Oculus kräftig in eigene Projekte investieren und sich in der Vergangenheit auch sehr offen gegenüber der Indie-Szene gezeigt haben und so auf allen Fronten spannende Projekte zu erwarten sind. Es ist nicht sehr unwahrscheinlich, dass die VR-Marktplätze auf Steam oder dem PlayStation Network in den Anfangsjahren den AppStores von Google und Apple ähneln werden - mit unzähligen experimentellen, günstigeren Werken und einigen echten Perlen (und viel Schrott) bis sich die Hersteller dann zunehmend an größere Projekte heranwagen.

3) Potenzial vs. Praxis

Viel wurde überdies zu den technischen Möglichkeiten und Limitierungen von VR-Games gesagt und noch weit mehr spekuliert. Fest steht: Um ein wirklich alltagstaugliches VR-Spiel herauszubringen, müssen abseits der benötigten neuen Mechaniken und Konzepte technische Qualitätitsstandards eingehalten werden. Dazu gehört, dass die Spiele die Auflösungen der VR-Displays ausgeben und die Minimalanforderungen für die Bildwiederholungsrate einhalten müssen. 60 Bilder pro Sekunde (fps) gelten derzeit als Mindestanforderung, besser noch 90fps oder 120 fps, die absolut konstant erreicht werden müssen. Ansonsten läuft man bei einem Bildrateneinbruch Gefahr, Übelkeit oder Kopfschmerzen hervorzurufen - keine Option, für ein kommerzielles Produkt.

Diese Faktoren stellen Konsolen-Geräte wie Morpheus (für PlayStation 4) genauso vor massive Herausforderungen wie PC-basierte Systeme wie SteamVR und Oculus. Konsolen haben im Hinblick auf die potenziellen visuellen Möglichkeiten aufgrund ihrer fix abgesteckten und im Vergleich zu Higth-end-PCs schwächeren Hardware zwar theoretisch das Nachsehen, in der Praxis haben sie gegenüber dem PC jedoch einen entscheidenden Vorteil für VR-Entwickler: Eine hohe Installationsbasis von Geräten, die alle exakt die gleiche Konfiguration aufweisen. Wenn jemand ein VR-Spiel für PS4 entwickelt und es bei ihm auf seiner PS4 perfekt läuft, kann er sich sicher sein, dass es auch auf den 20 Millionen PS4s da draußen perfekt laufen wird. Konsumenten werden ein VR-Spiel für PS4 kaufen können, ohne sich Gedanken über Kompatibilitäten machen zu müssen.

Wie Valve auf der GDC erklärte, plant man daher auch für die VR-Eigenproduktionen für PC möglichst niedrige Hardware-Anforderungen zu setzen, um den reibungslosen Einsatz von VR-Spielen auf so vielen PCs wie es nur geht zu gewährleisten. Bei tausenden unterschiedlichen Konfigurationen am Markt müssen PC-Entwickler aufgrund der strengen Anforderungen von VR bei ihren VR-Spielen noch mehr als bei gewöhnlichen Games auf den kleinsten gemeinsamen Nenner setzen, wollen sie ihre Werke einem breiten Publikum verkaufen. Soll VR eines Tages massentauglich werden, kann man auch von PC-Anwendern nicht verlangen, dass sie ihre Systeme für einzelne Spiele konfigurieren und solange in den Grafikeinstellungen herumdoktern, bis ein Spiel bei der erforderten Auflösung bei konstanten 60 Bildern pro Sekunde oder höher funktioniert.

4) Fantastische Spielwelten mit reduzierter Schönheit

Die gute Nachricht: Selbst wenn man die moderaten Kapazitäten von Konsolen wie der PS4 oder jene eines Mittelklasse-PCs heranzieht, darf man sich auf farbenfrohe und detailreiche virtuelle Welten freuen. Die Demos auf der GDC haben gezeigt, wie viel selbst aus Konsolen-Hardware herauszuholen ist, sofern man Games von Grund auf dafür entwickelt. Die ersten VR-Spiele werden vielleicht nicht die Weitläufigkeit eines "Grand Theft Auto 5" haben oder die optische Finesse eines "The Order: 1886", doch durchaus ansprechende Kulissen fürs Auge bieten.

Anstelle in fotorealistischen Kategorien zu denken, sollte man vielleicht eher die Fabelwelten eines "Super Mario 3D World", "Journey", "WipEout" oder "Portals" als Designziele in Betracht ziehen. Reduzierte Schönheiten, die in der virtuellen Realität umso mehr faszinieren könnten. Zumindest so lange, bis stärkere Hardware die Mehrheit der Konsumenten erreicht hat.

5) Zuerst sitzen, dann springen

Vielleicht die größte aller Hürden wird auch in Zukunft noch die Manövrierung in der virtuellen Welt darstellen. Nicht umsonst postulierte Oculus noch vor wenigen Monaten, dass Oculus Rift ein "Sitzerlebnis" ist. Doch langfristig wird man für wirklich vereinnahmende Erlebnisse nicht darum herumkommen, nicht nur die Kopfbewegungen, sondern auch alle anderen Bewegungen des Körpers (vor allem Arme, Hände und Beine) ins Spiel zu übertragen. Damit das funktioniert, benötigt es Systeme, die praktisch verzögerungsfrei arbeiten, um auch in der Virtualität das Gefühl zu haben, dass Kopf und Körper zusammengehören.

Valve hat mit einer Kombination aus Motion-Controllern und Sensoren zur Erfassung des Raumes und der Bewegungen des Spielers das bisher umfassendste Konzept präsentiert. Sony verfolgt mit PlayStation Move und einer Kameraerfassung einen ähnlichen, wenngleich vermutlich günstigeren Weg. Doch egal, wie gut die Systeme bereits funktionieren (beide scheinen den ersten Testern viel Freude bereitet zu haben), ist die Hoffnung, dass bald alle VR-Spieler in ihrem Zimmer herumlaufen werden, noch sehr klein. Ein großes Problem liegt auf der Hand: Will man sich wie im echten Leben durch die virtuelle Welt bewegen, benötigt dies viel Platz oder ein eigens kreierte Tretmühle. Valve zeigte HTC Vive in einem 20 Quadratmeter leeren Raum, der als Spielfeld fungierte. Ein Luxus, den sich wohl nur sehr wenige Konsumenten leisten können.

Und selbst wenn über Nacht großzügige Wohnförderungsprogramme für VR-Spieler erlassen werden oder Menschen sich künftig gegen ein Auto und für ein zusätzliches Zimmer entscheiden, gibt es eine weitere technische Hürde, für die es bislang noch keine kosteneffiziente Lösung gibt: Kabel. Sowohl Valve als auch Sony und Oculus setzen bei ihren PC- und Konsolen-Produkten auf eine Anbindung via HDMI, die die erforderliche Bandbreite für eine Übertragung von 1080p bei 60fps liefern kann. Und solange die VR-Brille per Kabel mit dem PC oder der Konsole verbunden ist und so zur Stolperfalle werden kann, wird das Bewegungsfeld eingeschränkt sein. Mit ein Grund, weshalb Oculus parallel zu seinen PC-Bemühungen mit Samsung an der Weiterentwicklung rein mobiler Lösungen zusammenarbeitet, die aber wiederum mit anderen technischen Hürden zu kämpfen haben - von der Rechenleistung bis zur Akkulaufzeit.

6) Das ist ein Meilenstein für die Medienlandschaft

Doch egal, ob auf Konsole, am PC oder am Smartphone und welche Hürden bis zur perfekten Illusion noch überwunden werden müssen: Dass überhaupt über derartige Details gesprochen werden kann, ist der Tatsache zu verdanken, dass Virtual Reality erstmals in der Geschichte der Unterhaltungselektronik weit genug gereift ist, dass gleich mehrere große Hersteller den nächsten großen Schritt zum kommerziellen Produkt wagen können.

Allein diese Tatsache sollte VR-Träumer und Spielefans in Verzückung versetzen und bei Entwicklern nach einem Jahrzehnt der Iterationen bestehender Spielkonzepte für frischen kreativen Wind sorgen. Es tut sich wieder was, salopp formuliert. Das sind aufregende Zeiten, nicht nur für die Gamesbranche, sondern die gesamte Medienlandschaft. Der Eintritt in die nächste Dimension steht bevor, auch wenn wir nicht von heute auf Morgen im Holodeck landen werden. Spieler, Designer und selbst Menschen, die mit Technik wenig anfangen können, haben eine einmalige Chance die Geburtsstunde dieser Medienrevolution mit zu erleben. Wenn das nicht ein Grund zu Freude ist. (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 9.3.2015)

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