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Karl Öllinger über die Grünen: "Man darf nicht arrogant sein."

Foto: APA/Jäger

Freitagnachmittag hat sich der neue Gemeinderat in Wiener Neustadt konstituiert. Dass die Grünen mit den Schwarzen, die auch mit den Blauen kooperieren, einen Deal eingingen, wurde heftig kritisiert. Einer der Kritiker war der frühere Sozialsprecher Karl Öllinger. Warum er die indirekte Unterstützung der FPÖ für "sehr heftig" hält und was er den Grünen integrationspolitisch empfehlen würde, erklärt er im Gespräch mit Maria Sterkl.

derStandard.at: Sie haben die Zusammenarbeit der Wiener Neustädter Grünen mit der FPÖ als "höchst unappetitlich" kritisiert. Warum?

Karl Öllinger: Weil die Grünen ohne Not eine VP-FP-Stadtregierung behübschen. Sie erteilen Bürgermeister Schneeberger und dem Stadtbudget die Zustimmung, obwohl diese Zustimmung der Grünen nicht notwendig wäre.

derStandard.at: Die Wiener Neustädter Grünen betonen, es sei noch lange nicht gesagt, dass das Budget von ihnen mitbeschlossen wird.

Öllinger: Das ist schon der nächste Punkt, den ich kritisiere: Ich möchte, um mir ein Bild machen zu können, wissen, was in den Arbeitsübereinkommen drinsteht – und zwar in allen Übereinkommen, auch dem zwischen ÖVP und FPÖ. Ich kann doch nicht sagen, ich bin da irgendwo dabei, aber alles andere, was dort paktiert wurde, interessiert mich nicht.

derStandard.at: Die Wiener Neustädter Grünen argumentieren so: Die ÖVP hat den Grünen alle Bedingungen erfüllt, darum war der Deal vertretbar.

Öllinger: Okay, die Grünen sagen, sie haben den autofreien Hauptplatz erreicht. Jetzt kann ich aber rechnen, und wenn ÖVP und Grüne den Hauptplatz autofrei haben wollen, heißt das noch lange nicht, dass die anderen Parteien das mitunterstützen. Dann gibt es keine Mehrheit und keinen autofreien Hauptplatz. Wenn aber in dem Deal zwischen ÖVP und Liste Haberler der bettlerfreie Hauptplatz drinsteht? Dann würde ich meinen, es ist wahrscheinlicher, dass der eine Mehrheit findet. Dann gibt’s zum autofreien Hauptplatz den bettlerfreien Hauptplatz dazu. Ich will nicht, dass die Grünen da irgendwie daran anstreifen.

derStandard.at: Der niederösterreichische Landesgeschäftsführer Hikmet Arslan sagt, es gebe "inhaltlich weder direkt noch indirekt Berührung mit den Blauen".

Öllinger: Indirekt gibt es sie. Es wird mit Billigung der Grünen ein Bürgermeister (Klaus Schneeberger, ÖVP, Anm.) gewählt, der eine Koalition mit den Blauen macht. Warum muss ich den wählen – und noch dazu Schneeberger? Es ist ja nicht so, dass den niederösterreichischen Grünen unbekannt wäre, wer Schneeberger ist: Er war als Klubobmann der ÖVP im Landtag hauptverantwortlich dafür, dass die kleinen Fraktionen keine Rechte haben – etwas, was die Grünen seit Jahrzehnten beklagen.

derStandard.at: Wäre besser gewesen, die Wiener Neustädter Grünen verzichten auf den Vorsitz im Kontrollausschuss?

Öllinger: Es wäre klar gewesen, dass die Grünen den Vorsitz kriegen müssen, wer sollte ihn sonst kriegen? Alle anderen haben Arbeitsübereinkommen, sind irgendwie verbandelt mit dieser Stadtregierung, auch die SPÖ hat dort Sitze – bleibt nur eine Partei übrig: die Grünen. Und denen will man den Kontrollausschuss verweigern? Na das hätt ich mir angeschaut.

derStandard.at: Es hätte aber so kommen können.

Öllinger: Ja, natürlich wäre es denkbar – aber Entschuldigung: Dieses Bauernopfer wäre es wert gewesen.

derStandard.at: Wir sprechen von einer kleinen grünen Stadtpartei. Die Grünen predigen Vielfalt, sollte sie da nicht Pluralismus auch in den eigenen Lokalfraktionen zulassen – auch, wenn’s wehtut?

Öllinger: Ich bin absolut für Pluralismus. Und ich habe im Lauf meines politischen Lebens dazugelernt, dass es nicht nur gute und schlechte Sozialdemokraten, sondern auch in der ÖVP sehr rührige, aktive Menschen gibt oder bei anderen Parteien …

derStandard.at: … bei der FPÖ auch?

Öllinger: Sagen wir so: Sie finden sich dort auf Funktionärsebene heute nur noch in homöopathischen Dosen. Ich beobachte die FPÖ schon sehr lange, aber sie war noch nie so gleichgeschaltet wie jetzt.

derStandard.at: Sie sagen "nur noch". Vor 20 Jahren wäre eine grün-blaue Stadtkooperation vorstellbar gewesen?

Öllinger: Nein, sicher nicht. Dass es eine Gesprächsebene mit einzelnen FPÖlern gibt oder gegeben hat, würde ich nicht abstreiten wollen. Es gibt ja im Parlament Situationen, wo man sich mit Freiheitlichen und Neos in Geschäftsordnungsfragen oder in Ausschüssen zusammenspannen muss. Das ist auch heikel, aber es ist etwas anderes, als wenn ich indirekt den Freiheitlichen das Regieren ermögliche.

derStandard.at: War der Wiener Neustädter Fall ein Dammbruch, wie manche meinen? Ein taktischer Fehler, der den Grünen von nun an immer vorgehalten werden wird?

Öllinger: Ja, ich glaube schon, dass man da extrem aufpassen muss. Dafür werden die Grünen immer wieder gescholten, aber es ist ein Markenzeichen der Grünen, dass es keine Gemeinsamkeiten geben kann mit Gruppierungen, die menschenfeindlich, hetzerisch, rassistisch agieren. Es hat da eine denkbar schlechte Symbolik und eine denkbar schlechte Kommunikation gegeben: dass man freiwillig auf einem Foto posiert, wo drunter steht "Wiener Neustadt wird bunt regiert", ist schon sehr heftig.

derStandard.at: Warum heftig?

Öllinger: Weil die Grünen ja nicht mitregieren! Die sind das fünfte Rad am Wagen und glauben, sie können die Koalition irgendwie anschieben. Und "bunt"? Da ist nichts bunt: Die Liste Haberler ist rechtsextrem, die FPÖ Wr. Neustadt ist eine der am weitesten rechts stehenden FPÖs in Niederösterreich. Und die Liste Sluka-Grabner hat auf ihrer Homepage den Kampfbegriff der "Islamisierung Wiener Neustadts" – na hallo! Das ist Pegida- und FPÖ-Speech.

derStandard.at: Eva Glawischnig sagte am Wiener Landesparteitag: "Forget about Strache and Gudenus." Gleichzeitig sagt Bundesgeschäftsführer Stefan Wallner, die Empörung über die Wiener Neustädter Grünen sei "eine Aufregung der SPÖ", die nur sauer sei, weil sie den Bürgermeistersessel an die Schwarzen verloren habe. Wie passt das zusammen?

Öllinger: Es ist sicher nicht ganz falsch, was Stefan Wallner sagt: Es gibt sicher einen Spin seitens der SPÖ, einer Partei, die sich selbst schon fragen muss, was sie für eine Verantwortung für die Entwicklung in Wiener Neustadt hat – wie kann es sein, dass es so viele rechte Gruppierungen in den Gemeinderat geschafft haben?

derStandard.at: Trotzdem: Einerseits predigt man die rote Linie gegen die Blauen, andererseits redet man dort, wo diese Linie durchbrochen wird, die Vorgänge klein. Inkonsistent?

Öllinger: Ganz konsistent ist das nicht, ja. Aber das Problem ist derzeit nur – unter Anführungszeichen "nur" – im symbolischen Bereich.

derStandard.at: Hätten Sie sich erwartet, dass sich die Bundespartei klar von dieser Form der Zusammenarbeit distanziert?

Öllinger: In gewisser Weise hat Eva Glawischnig das, wenn auch in versöhnlicheren Worten, als ich sie gewählt hätte, auch gemacht. Und es ist auch nicht ihre Aufgabe, da harte Worte zu sprechen – man kann die Wiener Neustädter Grünen ja nicht daran hindern. Ich zum Beispiel hätte mich auf den zweiten grünen Gemeinderat bezogen, ich bin froh, dass es ihn gibt und dass er dieses deutliche Zeichen setzt und sagt "Mit mir nicht". Es ist ja nicht so, dass es "die Wiener Neustädter Grünen" sind, die zustimmen – sondern es ist eben eine Gemeinderätin, die traurigerweise auch Nationalratsabgeordnete ist. Aber der Umstand, dass diese Angelegenheit bei den Grünen so breit diskutiert wird, spricht ja eigentlich für die Grünen.

derStandard.at: Die Forderungen der Wiener Neustädter Grünen an die ÖVP waren umwelt- und verkehrspolitischer Natur, Sozialpolitik kam nicht vor. Ist das symptomatisch für grüne Politik der jüngeren Vergangenheit?

Öllinger: Auf Gemeindeebene sehr oft, ja. Und ich befürchte auch, dass die integrationspolitischen Signale, die es in Wiener Neustadt gegeben hat, dass die unter einer ÖVP-Regierung eine ganz andere Ausprägung haben werden. Da wären die Grünen dafür zuständig aufzupassen, dass so etwas nicht passiert – daher hätten solche Themen auch in eine Vereinbarung hineingehört. Und natürlich auch sozialpolitische Themen – Pflege, Gesundheit.

derStandard.at: Wie steht es generell um den Antifaschismus der Grünen?

Öllinger: Ich kann nicht für die ganze Partei sprechen, aber ich nehme wahr, dass viele grüne Initiativen unendlich rackern für Gedenkarbeit, für ein Zeichensetzen gegen rechts. Wo man aufpassen muss, und da ist die Gesellschaft insgesamt gefordert, ist, ob man nicht diesen immer schrilleren Tönen der Rechten gegenüber ermüdet wird. Ob da nicht manches schon ins Allgemeingut übergegangen ist, wo man vor zehn Jahren noch gesagt hätte: "Wahnsinn."

derStandard.at: Als die Jungen Grünen im Vorjahr der Plattform nowkr Webspace zur Verfügung stellten, bekamen sie einen Rüffel von Glawischnig. Wie standen Sie dazu?

Öllinger: Mir gefällt das Rüffeln genauso wenig wie diese flapsige Art der Jungen Grünen, die dem vorausgegangen ist. Aber ich glaube, dass man das tunlichst nicht öffentlich kommentieren sollte. Aber das Herumspielen mit verbaler Gewalt wie jetzt im Vorfeld des Burschenschafterballs, dieses zweideutige Offenlassen finde ich nicht besonders intelligent, muss ich sagen.

derStandard.at: Die sogenannte "Integration" ist ein Dauerbrennerthema in der Innenpolitik, die FPÖ schafft es aber am besten, dieses Thema zu besetzen. Irgendeine Idee, was die Grünen hier besser machen könnten?

Öllinger: Meine Erfahrung war: Solange nur die Grünen allein auf etwas aufmerksam machen, ist es sehr, sehr schwer, etwas zu bewegen. Der Vorwurf, den ich den Grünen mache, ist, dass sie, was diese Fragen betrifft, zu oft in der Pose desjenigen verharren, der sagt: "Ich habe aber recht. Und ich bin froh, dass ich recht habe." Oft schaut man zu wenig, wo man Bündnisse schaffen kann. Die Grünen gefallen sich zu oft in der Pose derjenigen, die es besser wissen oder besser machen.

derStandard.at: Wie das? Die Grünen haben sich in den letzten Jahren doch als sehr bündnisfreudig erwiesen, was schwarz-grüne Koalitionen betrifft.

Öllinger: (lacht) Ja, aber das waren Koalitionen auf Landesebene, die sind anders gestrickt und auch bei weitem nicht so ideologisch besetzt. Ich meine eher, dass man in bestimmten Sachfragen Allianzen mit anderen Parteien schaffen sollte, das heißt natürlich auch, dass man Kompromisse eingeht. Ein Beispiel: Als Martin Graf zum Dritten Nationalratspräsidenten gewählt wurde, waren wir allein in der Kritik. Ab dem Zeitpunkt, wo die Erste Präsidentin Barbara Prammer sagte, sie hält die Vorwürfe gegenüber Graf für berechtigt, hat sich etwas getan. Es ist zwar nicht gelungen, Graf von der Bühne zu vertreiben, aber ab diesem Zeitpunkt war die öffentliche Sicht auf ihn ganz eine andere. Er war plötzlich eine Persona non grata.

derStandard.at: Also sollten die Grünen lieber weniger laut auftreten und lieber im Hintergrund Allianzen schmieden?

Öllinger: Nein, so meine ich das nicht – aber man darf nicht arrogant sein. Ich habe immer davor gewarnt, alle anderen wegen ihrer laschen Haltung zu Graf zu prügeln. Und es wäre schön, wenn es auch in der Integrationsfrage Unterstützung in anderen Parteien gäbe.

derStandard.at: Wo spüren Sie diese Arroganz im Bereich der Integration?

Öllinger: Es gibt viele Bereiche, wo es Sozialdemokraten und auch ÖVPler gibt, die ähnlich ticken wie Grüne. In Tirol hat eine ÖVP-Abgeordnete eine sehr mutige Anti-Pegida-Rede im Landtag gehalten. Diese Positionen sichtbar zu machen wäre ein Anfang. Stattdessen ist man immer wieder verleitet zu sagen: "Es gibt nur die Grünen, die so gut sind." Das ist ein Fehler.

derStandard.at: Wie kann es andererseits eine grüne Partei schaffen, sich gegen Rechtsaußen und damit von der FPÖ abzugrenzen, ohne gleichzeitig jene Wähler abzuschrecken, die mit einer blauen Stimme liebäugeln, aber auch einem Kreuzerl bei den Grünen nicht abgeneigt wären?

Öllinger: Durch eine sehr transparente Haltung in der Sozialpolitik. Weil da bei den FPÖ-Wählerinnen und -Wählern die größten Vorurteile gegenüber den Grünen vorhanden sind, aber auch die größte Fehlsicht bezüglich der eigenen Partei und deren Sozialpolitik. Ein Beispiel: Es gab vor ein paar Jahren dieses Asyl-Flugblatt, das Strache von der rechtsextremen AfP übernommen hat: Eine österreichische Facharbeiterfamilie mit drei Kindern hat dieses Einkommen, eine Asylwerberfamilie mit sechs Kindern jenes Einkommen. Abgesehen davon, dass die Rechnung falsch war: Wenn man sich anschaut, was wirklich das Einkommen einer Facharbeiterfamilie ist, kommt man drauf, dass die oft sehr wenig verdienen. Und dass eine Familie mit sechs Kindern tatsächlich von einem Facharbeitergehalt nicht leben könnte. Und dass man da etwas tun muss. Aber das ist noch immer kein Argument, gegen die Asylwerberfamilie zu hetzen. Würde die Position, die wir damals eingenommen haben, auch von der Gewerkschaft übernommen werden oder von der Sozialdemokratie, wäre schon viel gewonnen. (Maria Sterkl, derStandard.at, 22.2.2015)