Zwei Frauen, die sich im "Job" behaupten müssen: Julia Herr, Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, wünscht sich eine Frau an der Parteispitze, Ordensschwester Gabriele Schachinger hätte gern Frauen im Priesteramt. Einig sind sich aber beide: Jesus war ein echter Sozi.

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STANDARD: Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass Sie beide ein Problem eint? Frauen werden in Ihren Organisationen - ob nun katholische Kirche oder SPÖ - mitunter gern benachteiligt.

Herr: Das stimmt durchaus. Es ist tatsächlich so, dass wir uns beide in unserem Arbeitsfeld etwas überlegen müssen: Wie können wir Frauen ansprechen? Es ist sehr schwierig, vor allem junge Frauen zu erreichen. In meiner Situation muss man das getrennt sehen, weil ich ja aus der Sozialistischen Jugend komme, und da bin ich jetzt die erste weibliche Vorsitzende seit 120 Jahren. Da haben wir also gerade einen Meilenstein hinter uns gebracht. Wir halten auch unsere 50-Prozent-Quote im Vorstand schon lange ein. In der SPÖ ist es eine etwas schwierigere Debatte - was die aktuelle Diskussion um die Frauenquote leider deutlich gezeigt hat. Die Erfahrung in der SJ zeigt aber: Es ist möglich. Ich gehe daher in der SPÖ sicher mit entsprechendem Kampfesgeist voran.

Schachinger: Man muss ein bisserl unterscheiden zwischen Frauenorden, wo ich ja bei den Kreuzschwestern an erster Stelle stehe, und dem anderen Teil der Kirche. Ich selber würde mich schon freuen, wenn es so weit käme, dass auch Frauen die Möglichkeit zum Priestertum haben. Es geht aber auch darum, sich die Wesenseigenschaften einer Frau bewusster zu machen. Da kommt es nicht unbedingt darauf an, wo ich bin, sondern darum, wie ich das einbringen kann.

STANDARD: Sehen Sie unter Papst Franziskus eine Bewusstseinsbildung hin zu mehr Weiblichkeit im Haus Gottes?

Schachinger: Von offizieller Seite ist man offenbar noch nicht so weit. Ich vertraue sehr darauf, dass es einmal dorthin kommt. Ein Stück weit sind wir Frauen halt auch zurückhaltender - gerade im kirchlichen Bereich.

STANDARD: Möglicherweise braucht es eine Art verpflichtende Frauenquote?

Herr: Ja! Diesen Vorschlag könnten Sie dem Papst durchaus einmal unterbreiten.

Schachinger: Da bin ich mir jetzt nicht so sicher, ob der Papst auf mich hört. Eine Frauenquote durchzusetzen ist eben nicht so einfach. Oder, Frau Herr?

Herr: Mühsam, aber wir sind auf einem guten Weg. Da ist noch viel Spielraum nach oben. Ich warte auch noch auf die erste weibliche Parteivorsitzende. Es ist längst nicht alles erfüllt. Auch in der eigenen Partei muss immer wieder die Diskussion geführt werden.

STANDARD: Um als Frau in der katholischen Kirche Karriere machen zu können, muss offensichtlich der Ordensweg eingeschlagen werden. Haben solche Überlegungen bei Ihrem Eintritt in den Kreuzschwestern-Orden eine Rolle gespielt?

Schachinger: Nein. Ich bin jetzt schon 30 Jahre im Orden. Damals gab es solche Diskussionen auch gar nicht. Ich wäre als Kind gerne Ministrantin geworden - was aber leider noch nicht möglich war. Es ist kein großer Schmerz. Ich habe andere Möglichkeiten der Entfaltung. Es gibt auch immer mehr Frauen, die in der Kirche Positionen einnehmen, die früher nur Männern überlassen waren. Denken Sie nur etwa an die vielen Pastoralamtsleiterinnen.

STANDARD: Aber kann ein Orden junge Frauen überhaupt heute ansprechen?

Schachinger: Wir haben, wie gesagt, viele Möglichkeiten zur Entfaltung. Meine Ordensgemeinschaft hat ein weites Spektrum: von Bildung über Sozialwesen bis zu Schutzwohnungen von Frauen, die zwangsprostituiert worden sind. Da eine Gemeinschaft als Rückhalt zu haben finde ich ganz toll. Wir müssen nur unser Profil noch schärfen, unseren Auftritt nach außen. Frau Herr, wir sind von der Wurzel her schon sehr ...

Herr: ... nein! Sie haben sehr viel gesagt, dem ich in keinem Fall zustimme. Was ist das Wesen einer Frau? Inwiefern ist das unterschiedlich zu dem eines Mannes? Alle angeblichen Entfaltungsspielräume, die Sie aufzählen, sind die typisch weiblichen Berufe - Pflege, Sozialberufe. Dagegen arbeite ich, diese Stereotype gehören endlich aufgebrochen. Letztlich geht es eben doch genau darum, dass sich Frauen nichts scheißen. Da darf es absolut keine Einschränkungen mehr geben.

Schachinger: Wir haben ja weiblich besetzte Führungspositionen. Selbstverständlich schupfen bei uns auch Frauen den Laden.

Herr: Aber gesamtgesellschaftlich gibt es immer noch eine Hürde, wo es nicht weitergeht. Ich würde doch nie zu einer Organisation wie der Kirche gehen, wo Frauen so klar diskriminiert werden.

Schachinger: Ich habe es persönlich wirklich nie erlebt, dass ich einmal diskriminiert worden wäre.

Herr: Wie heißt es doch: Wer sich nicht bewegt, spürt seine Ketten nicht!

Schachinger: Möglich.

STANDARD: Frau Herr ist mit Ihrer harten Kritik an der Kirche nicht allein, viele Menschen denken wohl so. Trifft sie eine derart ablehnende Haltung - oder lernt man damit zu leben?

Schachinger: Man bekommt über die Jahre eine dicke Haut. Aber ich gehe ja nicht wegen eines Berufs ins Kloster. Das wäre ein völlig falscher Ansatz. Ich spüre ja, dass es mehr ist, nämliche eine Berufung. Das hängt natürlich mit meiner Spiritualität zusammen, mit meiner Gottesbeziehung.

STANDARD: Wie halten Sie es mit der Religion?

Herr: Ich bekomme relativ oft Briefe, ich möge doch meinen Kirchenbeitrag zahlen. Das ignoriere ich derzeit. Ich glaube nicht an Gott oder die Religion, ich glaube an die Menschheit. Wenn sie endlich wieder solidarischer ist, wird die Welt auch besser. Dafür braucht es keinen Gott. Es ist unser eigener Spielraum, ich muss nicht auf etwas Überirdisches warten. Es gibt eine Zeile in einem Lied, da heißt es: "Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun, uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun."

STANDARD: Aber Sie sind offensichtlich noch Kirchenmitglied.

Herr: Als mündiger Mensch habe ich nie einen einzigen Schritt in Richtung Kirche gesetzt. Ich wurde als Baby getauft und bin als Zwölfjährige gefirmt worden. Ich selbst bin mit der Kirche nie einen Vertrag eingegangen. Es ist mehr eine Prinzipsache oder einfach nur Faulheit, dass ich noch nicht ausgetreten bin. Ich will jedenfalls nicht als Mitglied der katholischen Kirche gesehen werden.

STANDARD: Verspürt man Sorge um die Entwicklung der Orden, wenn Sie solche Aussagen hören?

Schachinger: Existenzangst verspüre ich keine, falls Sie das fragen. Es ist durchaus berechtigt, dass es auch solche Ansichten gibt. Es ist dann umso wichtiger, ins Gespräch zu kommen. Und dass man den anderen aber in seiner Aussage wertschätzt - wir dürfen wohl beides sehen.

STANDARD: Die Herbergssuche gestaltet sich in Österreich schwierig. Wir schaffen es ja nicht einmal, Quartiere für mehrere hundert Flüchtlinge bereitzustellen. Was läuft falsch?

Herr: Das fängt schon bei der Zuständigkeit an: Hier findet ein rassistisches Pingpong zwischen Bund, Ländern und Gemeinden statt. Das Problem ist auch, wie Asylwerber gesehen werden. Asyl bedeutet Zuflucht. Es ist weder naiv noch überzeichnet, wenn man sagt: Diese Menschen rennen um ihr Leben. Denken Sie an Videoaufnahmen von Menschen aus Syrien, die in Richtung türkischer Grenze gelaufen sind. In Österreich werden diese Leute dann oft als Sozialschmarotzer diskreditiert. Wären wir in dieser Lage, würden wir auch auf Asyl hoffen.

Schachinger: Ja, das ist ganz schlimm. Wir haben das vergangenes Jahr live miterlebt. Da wollten wir ein komplettes Haus zur Verfügung stellen. Damals ging es um afghanische Flüchtlinge. Die wären auch top betreut worden. Aber die Bevölkerung und dann auch die Politik hat so einen Aufstand gemacht, dass es nicht möglich war. Das ist so schade. Wir versuchen nun in Einzelsituationen, für kleinere Gruppen, Möglichkeiten zu schaffen.

STANDARD: Lässt die Politik also völlig aus?

Schachinger: Wie verstehe ich den Menschen, was würde ich mir wünschen, wenn ich in dieser Situation wäre? Dieses Denken bräuchte eine Reflexion. Und dann gibt es diese Fremdenfeindlichkeit. Das ist immer die Angst vor dem, was ich nicht kenne. Das scheint eine Veranlagung der Menschen zu sein. Es kommt nur darauf an, wie ich damit umgehe. Bei unserem Hausprojekt war die Politik schlicht zu feige.

STANDARD: Da ist Ihre Partei aber auch oft mit gemeint, oder?

Herr: Es finden sich schon Genossen und Genossinnen, die sich in der Debatte sehr positiv hervortun. Es ist sehr schwierig, wenn die SPÖ in vielen Wahlauseinandersetzungen direkt gegen die FPÖ kämpft, die den Hass schürt. Da gibt es die gleiche Klientel, die man als SPÖ bedienen muss. Da ist es sehr schwer, sich dieser Hetze entgegenzustellen, aber klar ist: Es müsste viel stärker und offensiver geschehen. Was wir zum Beispiel fordern, ist, dass endlich der Arbeitsmarkt für Asylwerber geöffnet wird. Es kann ja nicht sein, dass die Partei der Arbeit Arbeit verwehrt.

STANDARD: Sehen Sie genug Engagement auf Kirchenseite? Warum sperrt sie nicht die verwaisten Pfarrhöfe auf?

Herr: Am Rande der Refugee-Bewegung hat die Kirche das Servitenkloster zur Verfügung gestellt. Das habe ich extrem positiv empfunden. Anderseits sind die Asylwerber davor aus einer Kirche rausgeflogen. Die Kirche besitzt sehr viel, es müsste schon mehr Spielraum möglich sein. Allerdings nur der Kirche den Ball jetzt hinzuspielen wäre unfair.

Schachinger: In den letzten Jahren ist das Bewusstsein stark gewachsen. Ich erlebe viel Engagement. In Deutschland wurde kürzlich ein ganzes Kloster zur Verfügung gestellt, weil es leer stand. Manchmal entsteht nur der Eindruck, die Klöster sind leer, aber in Wahrheit leben dort viele pflegebedürftige Schwestern. In Graz stellen wir gerade ein Haus zur Verfügung.

STANDARD: Ein Herzensanliegen von Frau Herr ist, ganz nach Parteilinie, eine Vermögenssteuer. Ist so eine Art der "Umverteilung" für Sie vorstellbar?

Schachinger: Durchaus. Es lohnt sich, da genauer hinzuschauen. Es gibt eine große Ungerechtigkeit.

Herr: Bitte, auch bei der Kirche. Ihre Organisation ist von der Grundsteuer ausgenommen. Für mich völlig unverständlich ...

Schachinger: Diesen Vorwurf muss sich die Kirche oft anhören, richtiger wird er deswegen aber auch nicht: Die Kirche zahlt Grundsteuer. Etwa dort, wo es sich um Forstbetriebe und landwirtschaftliche Betriebe handelt. Ausnahmen sind laut Gesetz gegeben, wenn es sich um "gemeinnützige Tätigkeiten" handelt - also um Krankenhäuser, Pflegeräume und Schulen. Und da sind auch weltliche Institutionen befreit.

STANDARD: Aber eine Vermögenssteuer ist für Sie vorstellbar, oder?

Schachinger: In einem gewissen Ausmaß schon. Wichtig ist zu klären, wohin das eingenommene Geld dann fließt.

STANDARD: Frauenquote, Reichensteuer - die katholische Kirche und die SPÖ nähern sich gerade vorsichtig an.

Herr: Ich hab' immer gesagt, dass Jesus der erste Sozi war. Aber es gibt Bereiche, wo unsere Meinungen weit auseinandergehen. Etwa beim Kreuz im öffentlichen Raum. Das hat dort nichts verloren.

Schachinger: Da erwarte ich mehr Toleranz. Die Frage ist, ob all jene Dinge, mit denen angeeckt wird, gleich weg müssen. Warum kann ich mich nicht damit auseinandersetzen - oder es zumindest anderen zugestehen? Aber Jesus als Sozialist ist durchaus vorstellbar. (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 24.12.2014)