40 Sorten insgesamt werden in der Manufaktur von Benedetto Cavalieri (rechts) gefertigt.

Foto: Wolfgang Jelinek

Spaghettoni von einzigartigen 110 Zentimetern Länge.

Foto: Wolfgang Jelinek

Legendäre Pastaräder mit dreierlei Biss (Ruote pazze).

Foto: Wolfgang Jelinek

Die Pasta wird in speziellen Holzschränken ganz langsam getrocknet.

Foto: Wolfgang Jelinek

Lecce, das klingt doch schon mal - Achtung, Bundesdeutsch-Alarm - lecker. Die kleine apulische Provinzhauptstadt sieht auch appetitlich aus. Überall teiggelbe Fassaden mit Kringeln, Kugeln und Wülsten; Kirchen und Palazzi wie aufwändig verzierte Pasteten. Naheliegend, dass man hier auch zu essen versteht. Außer an Burrata, Öl und am berühmten Hartweizenbrot labt man sich an Schnörkeln, Kringeln, Röhrchen und Öhrchen oder Schnüren und Bändern: an Pasta. Klassisch sind hier Nudeln mit Miesmuscheln und Bohnen, mit Seeigeln, mit Speck und Blumenkohl oder Öhrchennudeln mit Pferdesauce oder Stängelkohl.

Aber es gibt Pasta auch mit Pulpo und Pesto, mit Milchlammleber und Erbsen oder mit Schwertfisch und Auberginen. Und dann gibt es die Ruote pazze, die berühmten, verrückten Räder - mit Mandelsauce oder Minze, mit Zackenbarsch oder Saubohnenpüree. Diese irren Räder, eine von Köchen und Feinschmeckern gepriesene, krumme Rundnudel mit dreierlei Biss, also unterschiedlicher Teigdicke von Speichen, Nabe und Radkranz, sind die Erfindung einer herausragenden Pasta-Manufaktur, des Pastificio Benedetto Cavalieri.

In Maglie, dem Firmensitz, führt der heutige Benedetto Cavalieri, im diskreten Anzug mit Krawatte, mit blitzenden Augen und einer stattlichen Nase über dem gewinnenden Grinsen durch das Haus. Sohn Andrea, der, wie der Vater gern Pullunder unter dem Jackett trägt, ist Ökonom, bebrillt, ebenso beschlagen und ebenso beredt wie der Vater; er überragt ihn um eine Spaghettilänge, tritt aber dennoch respektvoll hinter dem Überschwang und Anekdotenreichtum des Seniors zurück.

Bronze

Seitdem der Großvater Benedetto, der 1918, nach dem Krieg mit Ehrgeiz und einer selbstentwickelten Bronzeform aus Neapel zurückkehrte, um aus dem Weizenkontor einen Pastificio zu machen, hat sich so gut wie nichts verändert bei den Cavalieris. Immer noch heißen die erstgeborenen Söhne abwechselnd Benedetto und Andrea. Es steht also allzeit einer für den Namen und dafür, dass die überragende Qualität der Cavalieri-Pasta niemals von irgendwelchen neumodischen industriellen "Verbesserungen" behelligt wird. Es bleibt bei fünf Tonnen Pasta am Tag, mehr ist mit 83 Angestellten auf drei Stockwerken nicht machbar. Zum Vergleich: Die gar nicht üble Nudlerei De Cecco stößt 800 Tonnen täglich aus und das Imperium des homophoben Guido Barilla deren über 1200.

Die verschiedenen alten Hartweizensorten, die die Cavalieris verarbeiten, kommen von apulischen Bergfeldern, die kaum gedüngt werden und nur 25 Zentner pro Hektar erbringen - Industrieweizen liefert 40 oder sogar 100.

Wasser aus eigener Quelle

Neben dem Grieß kommt einzig Wasser in die Pasta - aus eigener Quelle, einem Zufluss des Sinni. Dann wird geknetet, und zwar langsam, sorgsam: Der Teig darf keine 35 Grad erreichen, sonst denaturieren jene der vier Proteine, die da zu Gluten gedeihen. "Metodo delicato", insistiert Cavalieri Vater, die sanfte Art, Nudelteig zu fertigen. Der weiche Weizenmehlbatzen muss nun Gestalt annehmen und wird durch eine der alten Modeln gepresst, vielmehr sanft genötigt. Er muss durch eine schwere, alte, tortengroße Scheibe, um seine Bestimmung als Dischi volanti (Fliegende Scheiben), Gnocchi sardi (Sardische Nockerl) oder Mezze Maniche (Halbe Ärmel) zu erreichen.

Benedetto, der schlanke Pastaphile (Leibspeise: Spaghetti mit Tomatensauce) schwärmt, während die Nudelstränge langsam aus der Spaghettoni-Matritze gleiten, von der Kunst, getrockneten Mehlbrei nicht nur wohlschmeckend, sondern auch leicht, nahrhaft und überaus verträglich zu machen. In industrieller Pasta, die bei 120 Grad in drei Stunden ausgedörrt wird, gerinnen die Proteine, sodass auch minderwertiges Mehl die erforderliche Zähigkeit aufbringt. "Z!" schnalzt Herrn Cavalieris Zunge, "So einen Nährstoff- und Geschmacksverlust würden wir niemals hinnehmen!"

40 Stunden Trockenzeit

Deshalb geht es ganz sachte weiter: Damit sich die Nüdelchen nicht erschrecken, werden sie bei molligen 50 Grad getrocknet, auf Holzladen gebettet, von Ventilatoren gefächelt. Einen ganzen Tag lang die Bucatini etwa, 40 Stunden die komplexeren Sorten. Dann kommen sie zum Relaxen noch 24 Stunden lang in die Klimakammer. Täglich wird eine andere der 40 Sorten produziert und zum Trocknen bereitet; die Spaghettoni, weltweit einzigartige 110 cm lang, hängen derweil als seidengelbe Vorhänge über Bambusstangen (aus Tonkin, bitte schön!) und harren der Eintütung.

Diese wird von lächelnden, weißbemützten Damen besorgt, die jeder Nudeltüte händisch ein blaues Papierschleifchen verpassen. Ja, das Mascherl könnte man wohl weglassen und Kosten sparen, aber warum sollte man das tun? Die beliebtesten Paste des Hauses sind in dieser Reihenfolge: Spaghettoni, Penne rigate und Ruote pazze. Auch international ist die cavalierische Edelpasta in aller Munde - wenn auch manches Mal erst nach der Überwindung eines gewissen Kulturgefälles.

Benedetto berichtet etwa von einer bedauernswerten Hausfrau aus New York, die mehrmals anrief, um sich der Kochmethode für die Spaghettoni zu versichern. Als sie verzweifelt gestand, dass selbst ihr riesiger Fischbräter zu kurz für die extralangen Nudeln sei und Herr Cavalieri lakonisch meinte, sie solle die Dinger doch passgerecht brechen, rief sie erschüttert aus: " Ja, darf man denn das?" (Una Wiener, DER STANDARD, RONDO)

Zum Thema:
Pasta: Al dente macht weniger dick

Fiabio Giacobello: "Pasta musst du fühlen"