Die Sanktionen gegen Russland, so heißt es, würden die europäische Wirtschaft mindestens genauso treffen wie die russische, und die ersten negativen Folgen seien bereits zu spüren: Weil Russland keine Lebensmittel mehr aus der EU importiert, würden die hiesigen Obst- und Gemüsepreise in den Keller fallen. Ein echter Notstand, erklärt etwa Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter (ÖVP), der als Gegenmaßnahme zum Apfelessen aufruft.

Seltsam. Wenn einmal im Monat die Inflationszahlen bekanntgegeben werden, die in Österreich meist über dem EU-Durchschnitt liegen, dann sind gerade saisonale Agrarprodukte oft die Preistreiber, dann werden teure Äpfel oder Paradeiser als Ursache für Kaufkraftverluste geortet. Ist billigeres Obst und Gemüse nun gut oder böse?

Es hängt vom Standpunkt ab

Das hängt, wie bei jeder Preisschwankung, vom Standpunkt ab. Steigende Preise sind gut für Produzenten und schlecht für Verbraucher, bei fallenden Preisen verhält es sich zumindest kurzfristig immer umgekehrt.

Aber wenn in den Medien oder in der Öffentlichkeit über Preise gesprochen wird, dann meist mit einem Werturteil, das das Interesse der einer Seite zu einem absoluten moralischen Werturteil macht – einmal wird Preistreiberei beklagt, das nächste Mal brutaler Preiswettbewerb.

Nützliche Preissignale

In Wirklichkeit sind Preisschwankungen weder gut noch böse, sondern signalisieren dahinterliegende ökonomische Entwicklungen, die meist dem einen Geld bringen und dem anderen eines kosten.

Das Gute daran ist, dass alle Betroffenen auf die Preissignale reagieren, indem sie mehr kaufen oder mehr produzieren. So entsteht dank des Preismechanismus ein neues Gleichgewicht mit einer möglichst effizienten Ressourcenverteilung.

Rupprechter muss die Österreicher daher nicht unbedingt zum Apfelessen aufrufen. Wenn Äpfel billiger werden, werden auch (etwas) mehr gekauft.

Verwirrung bei Weltmarktpreisen

Die gleiche Verwirrung über gute und böse Preisschwankungen taucht in der Debatte über steigende Weltmarktpreise für Lebensmittel auf, die etwa von NGOs regelmäßig als Quelle von Elend und Hunger verteufelt werden. Verantwortlich wird dafür gerne die Spekulation mit Lebensmitteln gemacht, von der man allerdings wenig hört, wenn die Preise wie zuletzt wieder gefallen sind. Dabei ist der Handel mit Agrarderivaten am Preisrückgang genauso beteiligt wie am Anstieg.

Was in der Debatte aber stets vergessen wird, ist, dass steigende Lebensmittelpreise zwar Verbraucher belasten, aber den Produzenten nützen. Und das sind nicht nur internationale Agrarkonzerne, sondern auch Kleinbauern, oft die Ärmsten in armen Ländern.

Auch Immobilienpreise haben zwei Seiten

Selbst bei Immobilienpreisen werden stets objektive Beobachtung und Moral verwechselt. Wenn, wie derzeit in Österreich, Häuser, Wohnungen und Mieten teurer werden, dann schadet das jedem, der eine Wohnung sucht, nützt aber denen, die schon ein Heim besitzen. (Familien mit festen Mietverträgen sind kaum betroffen.)

Zu dieser Gruppe zählen nicht nur Reiche, sondern auch Millionen von Durchschnittsfamilien, die nun plötzlich etwas mehr Vermögen haben.

In den USA läuft die Debatte meist umgekehrt: Steigende Preise gelten als gut (weil es dort noch mehr Eigentümer gibt und Häuser öfter verkauft werden), fallende, wie etwa während der Weltfinanzkrise, als riskant.

Hoffen auf gestiegene Produktivität

Ganz allgemein gesprochen sind fallende Preise für einzelne Produkte steigenden vorzuziehen, weil sie mehr Konsum und damit mehr Wohlstand ermöglichen. Das gilt aber nur dann, wenn sie eine gestiegene Produktivität widerspiegeln und nicht bloß geringere Nachfrage.

Im Fall der von russischen Importsperren betroffenen Lebensmittel ist die Ursache ein Verlust an Absatzmärkten, was einen Wohlstandsverlust für die gesamte Volkswirtschaft mit sich bringt. Dieser aber wird durch die Kostenersparnis für die Verbraucher zum Teil aufgehoben.

Daher: Helfen wir jenen Bauern, die nun wirklich Hilfe brauchen. Aber freuen wir uns über billigere Äpfel und Paradeiser.

Und wenn vitaminreiche Lebensmittel günstiger werden, dann ist das abseits aller ökonomischen Folgen gut für die Gesundheit. (Eric Frey, derStandard.at, 21.8.2014)