Unbeabsichtigt ist Österreich durch die aktuellen Hypo-Gesetze in eine der großen Debatten unserer Zeit hineingestolpert – nämlich über die Frage, ob Staaten gegenüber Privaten immer ihr Wort halten müssen. Das betrifft vor allem vertraglich und gesetzlich festgeschriebene Eigentumsrechte, so wie sie durch die Emission von Anleihen entstehen.

Selbstverständlich sagen die einen, denn Wortbruch ist ein moralisches und rechtliches Vergehen, weil es das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit erschüttert. „Pacta sunt servanda“ galt ja als Grundsatz schon im Römischen Reich.

Sozialer Wandel muss möglich sein

Aber Staaten, vor allem demokratische, müssen die Möglichkeit haben, in bestehende Verträge und Eigentumsrechte einzugreifen. Sonst wäre sozialer Wandel nicht möglich – keine progressive Besteuerung oder keine Landreform.

Auch die Abschaffung von Leibeigenschaft und Sklaverei im 18. Und 19. Jahrhundert war ein Bruch früherer Zusagen – und wurde damals als massiver Eingriff in Eigentumsrechte verdammt.

Auch Staaten, die unter normalen Umständen Privateigentum respektieren, werden bei massivem öffentlichem Interesse einen Teil davon konfiszieren. Im Kriegsfall ist das selbstverständlich. Ob dem Privaten eine Kompensation zusteht, hängt wiederum von den Umständen ab.

Und manchmal erkennt ein Staat, dass er Einigen einst zu viel versprochen hat und versucht dies dann zu korrigieren - so wie etwa bei den österreichischen Luxuspensionen.

Debatte um Klagerecht für Konzerne

In diesem Spannungsfeld findet auch die Debatte über das Klagerecht von Konzernen vor Schiedsgerichten statt, das das transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) vorsieht. Was geschieht, wenn ein Staat Investoren unter bestimmten Voraussetzungen ins Land lockt und diese dann verändert? Haben sie dann nicht das Recht, vor einem unabhängigen Gericht zu klagen?

Die meisten Juristen sagen, ja, weisen aber darauf hin, dass sie nicht in jedem Fall  Schadenersatz erhalten müssen. Denn wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen sind nicht in Stein gemeißelt, und können verändert werden, wenn die Umstände dies verlangen.

Eine gewählte progressive Regierung muss das Recht haben, unfaire Investitionsabkommen mit ausländischen Konzernen, die ihre Vorgänger abgeschlossen haben, infrage zu stellen oder zumindest die Steuern zu erhöhen. Und viele tun es auch regelmäßig.

Was Kelsen sagen würde

Es gibt daher keine eindeutige ethisch und rechtliche Antwort auf die oben gestellte Frage. Grundsätzlich hat ein souveräner Staat – wenn er nicht gerade EU-Mitglied ist – die Macht, nach eigenem Gutdünken zu handeln. Und Rechtspositivisten in der Tradition von Hans Kelsen würden sagen: Wenn ein Gesetzgeber das Gesetz verändert, dann ist das grundsätzlich Recht.

Aber nicht jeder Eingriff kann auf diese Weise rechtfertigt werden. Eine Vermögenssteuer von 0,9 Prozent ist sicherlich legitim, eine von 50 oder 80 Prozent wäre reiner Raub. Wo die Grenze liegt, ist schwer zu sagen.

Sinnvoller als eine ethische ist eine pragmatische Abwägung solcher Wortbrüche. Ist ihr Nutzen höher als die Kosten?

Raubende Staaten sind arm

Wie Daron Acemoglu und James Robinson in ihrem Buch „Why Nations Fail“, aber auch viele andere Autoren, gezeigt haben, neigen Staaten, die Eigentumsrechte regelmäßig verletzen und missachten, zu Unterentwicklung und Instabilität. Rechtsstaatlichkeit ist die vielleicht wichtigste Qualität für Wohlstand und Entwicklung, wichtiger noch als Bildung oder Rohstoffe. Staaten, die ihre eigenen und andere Bürger berauben, haben am Ende weniger als jene, die sich an ihre Zusagen halten.

Aber selbst bei Maßnahmen, die die Rechtsstaatlichkeit nicht grundsätzlich gefährden, muss man sich fragen, ob sie es wert sind. Wenn als Folge des Hypo-Gesetzes in Österreicher die Zinsaufschläge auf Schulden von Bund, Ländern oder Banken auch nur ein wenig steigen, weil Finanzinvestoren öffentlichen Schuldnern weniger vertrauen, dann kostet das über die Jahre weitaus mehr, als sich der Steuerzahler jetzt erspart.

Lehren aus dem Fall Argentinien

Dieses Dilemma wird auch im Falle Argentiniens deutlich. Der drastische, den Gäubigern aufgezwungene Schuldenschnitt von 2002 inmitten einer katastrophalen Finanzkrise war politisch verständlich, wenn auch hart an der Grenze der Rechtsstaatlichkeit.

Jahrelang hatte es aber angesichts von guten Wachstumsraten und ausreichender Finanzinvestitionen so ausgeschaut, als ob Argentinien das Risiko richtig eingeschätzt hätte und davon kommen würde. Aber nun, zwölf Jahre später, steht das Land nach dem Urteil des US-Höchstgerichts vor einem rechtlichen und finanziellen Scherbenhaufen.

Das liegt allerdings auch daran, dass Argentiniens Umschuldung per Dekret unter dem Präsidentenpaar Kirchner kein „untypischer Sonderfall“ (Zitat Ewald Nowotny zu Hypo)  war, sondern der Beginn einer Politik,  bei der ständig gelogen, gestohlen und konfisziert wurde. Das wird wohl in Österreich nicht geschehen.

Luxuspensionen lassen sich scheren

Bei der jüngst beschlossenen Deckelung der „Luxuspensionen“ ist die Regierung pragmatisch auf relativ sicherem Boden. Mehr als den Zorn einiger wohlhabender Beamter hat sie nicht zu befürchten.

Aber ob das neue Gesetz den Grundprinzipien unserer Republik genügt, sollte eine unabhängige Instanz prüfen, etwa der Verfassungsgerichtshof. Dass dieser durch eine Zweidrittelmehrheit ausgehebelt wurde, ist der wahre Skandal.

Großer Schnitt nein, kleiner Schnitt ja

Zurück zur Hypo. Die Bundesregierung hat entschieden, dass die große Entschuldung per Insolvenz der Bank und des Landes Kärntens ein zu großes Risiko gewesen wäre, der kleine Schuldenschnitt aber vertretbar ist, auch wenn damit eine öffentliche Haftung zerrissen wird.

Das ist kein ethisches Problem, aber nach Meinung vieler Experten eine große Dummheit. Wer recht hat, wird man erst in einigen Jahren wissen. (Eric Frey, derStandard.at, 19.6.2014)