"Reich baut für Reich - das erleben wir derzeit im Wohnungsbau": Franz-Georg Rips (li.) im Gespräch mit Georg Niedermühlbichler.

Foto: Martin Putschögl

Franz-Georg Rips vom deutschen Mieterbund hätte gerne das österreichische Mietrecht, was Georg Niedermühlbichler von der österreichischen Mietervereinigung gut verstehen kann. Beide Präsidenten fordern jedenfalls mehr leistbare Wohnungen, erfuhr Martin Putschögl.

STANDARD: Herr Rips, viele österreichische Entwickler und Investoren hätten gerne das deutsche Mietrechtssystem in Österreich.

Rips: Das kann ich mir gut vorstellen!

Niedermühlbichler: Wir geben unseres aber nicht her! (lacht)

STANDARD: Hätten Sie gerne das österreichische System in Deutschland?

Rips: Ich kenne es nicht im Detail, aber es ist mit Sicherheit sozialer als das deutsche Mietrecht. Es ist aber auch das deutsche Mietrecht sozialer als jenes fast aller anderen europäischen Staaten. Ich fürchte also, dass wir durch eine Europäisierung des Mietrechts - und diese Versuche gibt es immer wieder - im EU-Raum insgesamt ein mieterfeindlicheres Mietrecht bekommen würden. Deswegen ist mein Fokus derzeit darauf gerichtet, das deutsche Mietrecht mit seinen Standards zu erhalten und nicht zu verbessern.

STANDARD: Aber im Moment wird es doch gerade verbessert - Stichwort Mietpreisbremse?

Rips: Ja, jetzt kommt als neues Element eine Kappungsgrenze bei Wiedervermietungen bestehender Wohnungen. Wir hatten in manchen Ballungsräumen zuletzt Mietensteigerungen von 40 bis 45 Prozent. Nun wird das auf zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete begrenzt. Ich erwarte mir davon eine deutlich positive Wirkung auf die Mietpreishöhe insgesamt. Daneben brauchen wir auch mehr Neubau.

STANDARD: Das österreichische Mietrecht ist so zersplittert, dass es in einem Gebäude oft zu krassen Unterschieden kommt: Hier die billigen Altmieten, dort neue Verträge mit wesentlich höheren Mieten. Wollen Sie das wirklich haben?

Rips: Natürlich ist es mir lieber, wenn alle Mietparteien gleichbehandelt werden. Aber der Zug ist in Deutschland abgefahren. Das System der ortsüblichen Vergleichsmieten hat sich durchgesetzt und wird nicht ernsthaft von politischen Parteien hinterfragt.

STANDARD: Zum bereits angesprochenen Neubau: Da fällt auf, dass trotz des schon bisher liberaleren Mietrechts in Deutschland wenig gebaut wird. Warum?

Rips: Nun, zuletzt haben die Bewilligungen wieder zugenommen. Davor hatten wir aber zehn Jahre lang eine dramatische Inaktivität, das stimmt. Die großen Investoren zogen sich aus dem Wohnungsbau zurück und haben lieber gekauft als gebaut - in der Erwartung erheblichen Mietenerhöhungspotenzials. Der zweite Grund ist, dass sich viele Investoren vor den Auseinandersetzungen scheuen, die mit Vermietung verbunden sind - obwohl wir wissen, dass 95 Prozent aller Mietverträge völlig unproblematisch verlaufen.

STANDARD: Sind auch in Österreich nur fünf Prozent der Mietverträge "problematisch"?

Niedermühlbichler: Bei uns gibt es sicher mehr Streitfälle. Das hängt aber mit dem besseren Mietrecht zusammen. Es zahlt sich bei uns eher aus, zur Schlichtungsstelle oder vor Gericht zu gehen.

STANDARD: Herr Rips, wie viele leistbare Wohnungen fehlen Ihrer Ansicht nach in Deutschland?

Rips: Nach unserer Berechnung jedenfalls vier bis fünf Millionen. Das ist eine Riesenzahl, das muss man deutlich sagen. Deshalb bin ich im Augenblick froh darüber, dass wir eine neue Welle an Investitionen erleben. Der von manchen vorhergesagte Investitionsstau durch die Mietpreisbegrenzungen ist ausgeblieben. Das große Problem dabei ist: Es werden sehr teure Wohnungen gebaut. "Reich baut für Reich" - das erleben wir derzeit im Wohnungsbau. An ganz attraktiven Stellen entstehen teure Wohnungen. Und jene, die da hinziehen, kommen selbst schon aus teuren Wohnungen.

STANDARD: Es werden also keine günstigen Wohnungen frei?

Rips: Genau. Deswegen ist die Wirkung in Bezug auf leistbare bzw. "bezahlbare" Wohnungen, wie wir das nennen, viel zu gering.

STANDARD: Wie viele leistbare Wohnungen fehlen in Österreich?

Niedermühlbichler: Ich gehe davon aus, dass wir 150.000 bis 200.000 Wohnungen bräuchten, mittlerweile auch schon für die Mittelschicht. Einerseits müssen wir mehr bauen - das ist überhaupt keine Frage. Aber wir brauchen auch bei Bestandswohnungen, die dem Mietrecht unterliegen, wirkliche Obergrenzen. Und was Präsident Rips gesagt hat, stimmt auch für Österreich: Selbst wenn mehr in den Wohnungsneubau investiert wird, bedeutet das nicht, dass diese Wohnungen für die große Masse leistbar sind. Es nützt nämlich nichts, viele Wohnbauten zu errichten, wenn sich diese dann erst nur eine kleine Gruppe von Menschen leisten kann. (Martin Putschögl, DER STANDARD, 30.5.2014)