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"Sie brauchen nichts zu tun, die Manatees kommen ganz von alleine zu Ihnen".

Foto: AP Photo/John Raoux

Anreise & Schnorcheltipps

Anreise: Nächstgelegener internationaler Flughafen ist Orlando. Günstige Flüge gibt es beispielsweise bei Virgin Atlantic (via London) oder Martinair (via Amsterdam).

Weiterreise: Am besten mit dem Mietauto über den Florida's Turnpike (mautpflichtig) und dann weiter über den Highway 44, circa 130 Kilometer.

Schnorcheln: Ein paar Shops in Crystal River haben sich auf Manatee-Tours spezialisiert, z. B. Manatee Tour and Dive

Information: www.savethemanatee.org

Grafik: DER STANDARD

Knautschgesicht, viel zu kleine Stummelflossen und ein wuchtiger Körper, als hätten sie einen Zeppelin verschluckt. Fast scheint es, als wäre Gott bei der Erschaffung dieser Tiere jäh unterbrochen worden. Selbst Christoph Columbus, der 1493 im Golf von Mexiko angekommen war, hielt in seinem Logbuch fest: "In einer Bucht an der Küste von Hispaniola sah ich drei Sirenen. Aber sie waren längst nicht so schön wie die des alten Horaz." Pech für Columbus. Nicht mit Meerjungfrauen hatte er es hier zu tun. Es waren Seekühe, sogenannte Manatees, die seinen Weg langsamen Flossenschlags gekreuzt hatten.

Jänner 2009. Crystal River, Florida. Ein Dutzend dicker Manatees schwebt reglos im Wasser. Ein paar Mal in der Stunde tauchen sie auf, um nach Luft zu schnappen. Den Rest der Zeit verbringen die vegetarischen Dickhäuter im fressenden Zustand. Im Maul landet, was im Weg ist. Bei einem Hirn, das ein bescheidenes Viertelkilo auf die Waage bringt, halten sie so ziemlich alles unter der Wasseroberfläche für schmackhaftes Seegras.

Schon hat sich der erste Manatee festgesaugt. Stülpt die schwabbeligen und borstigen Oberlippen über den menschlichen Fuß und knutscht, was das Zeug hält. Nach ein paar gescheiterten Kauversuchen wird die Nahrungsaufnahme an anderer Stelle fortgesetzt.

Spielsüchtige Viecherln

"Sie brauchen nichts zu tun, die Manatees kommen ganz von alleine zu Ihnen", hat Donna Apple noch wenige Minuten zuvor beim Briefing gesagt. "Verhalten Sie sich unauffällig und ruhig, und Sie werden die Neugier dieser Tiere schneller wecken, als Ihnen lieb ist." Donna weiß, wovon sie spricht. Vor Ewigkeiten hat sich die resolute Frau den vom Aussterben bedrohten Tieren verschrieben. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen betreibt sie in einem verschlafenen Nest an der Westküste Floridas einen Schnorchelshop, von dem aus Touristen die bevorzugten Aufenthaltsorte der Manatees ansteuern können – in freier Wildbahn und unter den Argusaugen der Naturschutzbehörde.

Crystal River ist der einzige Ort weltweit, wo es Menschen gestattet ist, sich im Hoheitsgebiet der fetten Sirenen legal aufzuhalten. Die Vorschriften sind streng, die polizeilichen Strafen hart, und die Wahrscheinlichkeit, hier einem Manatee zu begegnen, liegt bei hundert Prozent. "Manatees sind langsame und bequeme Tiere, und sie lieben den Komfort", erklärt Donna. Im Winter, wenn im Atlantik die Temperaturen unter 20 Grad Celsius fallen, beginnt die große Seekuhwanderung.

Urlaubsreif schwimmen die Artverwandten der Elefanten in Horden rüber in den Golf vom Mexiko, rauf in den Norden und rein ins Flussdelta des dicht verzweigten Crystal River. Zwischen Mangrovenwäldern und Buchten voll von schnuckeligen Sommerhäuschen ist das Wasser stets um ein paar Grad wärmer als draußen im offenen Meer. Jetzt sind es die Manatees, die hier wohnen, in der warmen Jahreszeit machen sie wieder Platz für die Zweibeiner. Ein Kompromiss der Natur.

"Passen Sie auf, wo die hinschwimmen und achten Sie auf Ihren Flossenschlag", sagt Donna und deutet bereits auf die ersten dunklen Flecken im Wasser. An die 300 Manatees halten sich hier zwischen November und März auf. Manchmal auch mehr. Abstieg ins Wasser. Die anfängliche Scheu der Tiere ist bald verschwunden. Nach ein paar Minuten kommen die ersten ausgewachsenen Exemplare direkt auf einen zu und bekunden unmissverständlich ihre Absicht zu spielen. Mit einem Gewicht von einer halben Tonne und einer Länge von drei bis vier Metern schwimmen die grauen Kolosse zwischen den Beinen hindurch oder klammern sich einfach an irgendwelchen Gliedmaßen fest. Dann wird gedrückt, geschnuppert und geboxt. Besonders aufdringliche Kollegen legen sich auf den Rücken und strecken den hellen Bauch nach oben. Klares Signal: Bitte kraulen.

Tod durch Motorboot

Was so entzückend klingt, hat weniger erfreuliche Nebenwirkungen. Die angeborene Zutraulichkeit treibt allein in Florida jährlich rund hundert Tiere in den Tod. Sie verfangen sich in Fischernetzen, werden von Schleusen zerquetscht oder – häufigste Todesursache – geraten in die Turbinen von Motorbooten oder Schiffen. Dem hält selbst die dickste Haut nicht stand.

Immer häufiger geraten Manatees in die Nähe von Elektrizitätswerken. In den warmen Kühlwasser-Ausläufen finden sie ein ungesundes, wenn auch ungestörtes Biotop fernab von Schifffahrt und Fischerei. Eine Pattstellung: Experten befürchten, dass mit der Schließung alter Anlagen viele Tiere eingehen könnten, weil sie sich unter natürlichen Bedingungen nicht mehr zurechtfinden würden.

Jahrhundertelang wurden die Seekühe wegen ihres Fleisches und wegen ihrer besonders zähen und derben Haut, die vor allem für Ruderriemen und Pferdepeitschen verwendet wurde, bis zur beinahen Auslöschung der Spezies gejagt. Von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) wird der weltweite Bestand aller Seekühe auf nicht einmal 5000 Exemplare geschätzt. Sie sind akut vom Aussterben bedroht.

Seit 1967 stehen alle noch lebenden vier Arten, darunter auch die Rundschwanz-Manatees Floridas, unter Naturschutz. Touristen, die sich nicht an die Spielregeln der IUCN halten, werden verwarnt. Bei wiederholtem Verstoß gegen die Vorschriften drohen Geldstrafen bis zu einigen tausend Dollar. Fischer und Unternehmer, die vorsätzlich gegen das Gesetz verstoßen, werden weitaus strenger belangt. Im schlimmsten Falle wandern sie für ein Jahr hinter Gitter.

Das wird sich bald ändern. Die Lobby der Fischer und Bootsbesitzer ist stark. Sie hat die richtigen Biologen beauftragt und fragwürdige Expertisen eingekauft. Nicht ohne Folgen. Das U. S. Fish and Wildlife Service möchte die paar hundert Manatees rund um Florida noch heuer zurückstufen. Statt vom Aussterben bedroht sind sie dann nur noch gefährdet. (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Rondo/20.2.2009)