Kennzahlen und Prognosen

Grafik: STANDARD

Es sind noch gezählte 245 Tage. Dann, mit dem 1. Mai 2004, wird die Europäische Union nicht nur zehn Mitgliedsländer und rund 75 Millionen Bürger mehr haben, sie wird auch eine ökonomische Dynamik aufnehmen, die dem vereinten Europa schon seit Jahren abgeht. Und dieser Wirtschaftsschwung wird vor allem von den mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) getragen. Das haben das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) und im Ostgeschäft tätige österreichische Banken in ihren jüngsten Studien zur Region festgestellt.

Doppelte Wachstumsraten im Osten

Die beitretenden MOEL (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien) haben in den vergangenen Jahren substanzielle Wachstumsraten geschrieben - obwohl Wirtschaft und damit Nachfrage der EU-Staaten stagnierten. Während die meisten der EU-15 nicht über ein Prozent Wachstum hinauskamen, wurde aus dem Osten mindestens das Doppelte gemeldet. Und so wird es den Prognosen im Bericht des WIIW (Juli 2003) zufolge auch bleiben (siehe Grafik).

"Die Rückwirkung der Erweiterung ist klar quantifizierbar: Mit der Erweiterung von den EU-15 auf die EU-25 wird es nach unseren Berechnungen ein Produktivitätswachstum von jährlich zusätzlich 0,25 Prozentpunkte in der Europäischen Union geben", erklärt Peter Havlik, der stellvertretende Direktor des WIIW, im Gespräch mit dem STANDARD. Die Vorteile würden überwiegen, Schwierigkeiten könnte es in Hinkunft für die MOEL nur in der Geld- und Fiskalpolitik geben (Stichwort Euro), bei den Kosten für die Erweiterung oder bei einem weiter flauen Wachstum in der EU.

Arbeitslosigkeit

Der einzige wirkliche Wermutstropfen, den das WIIW ausmachen kann, sind die anhaltend hohen Arbeitslosenraten in den Beitrittsländern. Zeigen sie in der Slowakei immerhin tendenziell nach unten, liegen sie in Polen gleich bleibend hoch. "Wir sind skeptisch, dass es hier zu schnellen Verbesserungen kommt", so Havlik. Migrationswellen nach Westen schließt er allerdings aus, die kämen selbst in Ungarn, einem Land mit einem ausgeprägten ökonomischen West-Ost-Gefälle, nicht vor.

In der "Strategie Ost - 4. Quartal" der Wiener Raiffeisen Zentral-Bank (RZB) wird eine ähnliche Position vertreten: "Kein einziges Land der gesamten Region, auch in Südeuropa, ist in ein Stagnationsszenario zurückgefallen. (. . .) 2004 wird der Wachstumsvorsprung gegenüber Euroland zwar leicht abnehmen, doch mit deutlich über drei Prozent durchschnittlichem BIP-Wachstum wird für die Kapitalmärkte eine gesunde Basis gelegt." In den kommenden Quartalen werde zum letzten Mal eine "EU-Beitrittsfantasie auflodern".

"Getragen wurde das Wachstum vor allem durch den privaten Konsum und durch expansive Budgets in einigen Ländern (Ungarn, Tschechien, Slowenien - dort wurde gewählt, Anm.)", erklärt Marie Louise Burkart, Ost-Analystin bei der RZB. Was die Rückwirkung des Beitritts auf die EU angeht, ist sie etwas skeptischer als das WIIW: "Wachstumsmäßig ist für die EU sicher noch etwas drinnen, der Großteil der Geschichte ist aber abgeschlossen." Viel hänge davon ab, wie sehr die neuen Mitgliedsstaaten imstande seien, etwa von EU-Zahlungen zu profitieren.

"Problemfall Balkan"

In Südosteuropa, so Burkart, sei das Wachstum sogar - von einem viel niedrigeren Niveau ausgehend - höher ausgefallen als bei Österreichs unmittelbaren Nachbarn. Die ersten Reformen griffen, die Frage sei bloß, wie nachhaltig diese - vor allem in Serbien - seien. Kroatien indes habe intakte Chancen, der EU mit Rumänien und Bulgarien voraussichtlich 2007 beizutreten.

Die größte Herausforderung für die MOEL ist laut RZB der Beitritt zur Eurozone, der zwischen 2008 und 2010 angestrebt wird. Burkart: "Das heißt, 2006 müssten sie die Maastricht-Kriterien erfüllen. Man wird sehen, ob die Dynamik dafür reicht." (Christoph Prantner, DER STANDARD Printausgabe, 8.10.2003)