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Zur Person

Dieter Böhmdorfer, geboren 1943 im tschechischen Trautenau (Trutnov), ist seit Februar 2000 Justizminister. Als Rechtsanwalt war er zuvor vor allem auch für die FPÖ und seinen Freund Jörg Haider, der "über jeden Verdacht erhaben" sei, tätig. Böhmdorfer musste in seiner Regierungszeit insgesamt sieben Misstrauensanträge im Parlament über sich ergehen lassen.

Foto: REUTERS/Herwig Prammer
Standard: Haben Richter in Österreich zu viel Macht?

Böhmdorfer: Die These, dass die Richter bei uns zu mächtig sind, würde ich nicht unterschreiben. Aber es ist selbstverständlich, dass sich auch die richterliche Gewalt mit größter Selbstverständlichkeit Kontrollmechanismen unterwerfen muss.

Standard: Ein Linzer Richter befand in einem Urteilsspruch, dass der Ausspruch "Scheiß- Neger" nicht die Menschenwürde verletze. Sie haben eine Überprüfung angeordnet. Ist die Kontrolle der Justiz also zwingend notwendig?

Böhmdorfer: Es darf keine richterliche Entscheidung geben, die nicht in irgendeiner Form kontrollierbar ist. Aber man hat auch hier gesehen, dass unser Rechtssystem funktioniert. Es gibt zur Wahrung der Einheitlichkeit der Judikatur die Möglichkeit einer Nichtigkeitsbeschwerde. Von der haben wir, wenn es auch selten vorkommt, Gebrauch gemacht. Gerade im Strafrecht und hier wieder im Ehrenbeleidigungsstrafrecht braucht die Bevölkerung Trittsicherheit. Sie muss wissen, welche Ausdrücke erlaubt sind und welche nicht.

Standard: Die politisch heiklen Entscheidungen finden woanders statt, auf Ebene der Höchstgerichte. Haben die Höchstrichter die Möglichkeit, sich in die Politik einzumischen?

Böhmdorfer: Die Möglichkeit schon, aber die Richter tun es nicht. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis praktizieren sie nicht Politik. Der Gerichtshof ist zwar nach politischen Mechanismen bestellt, das ist unbestritten, aber er mengt sich nicht aktiv in die Politik ein. Der Verfassungsgerichtshof ist aber auch ein gutes Beispiel, dass jede gerichtliche Entscheidung kontrollierbar sein muss. Es gab etwa eine dauernde Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, dass das ORF-Monopol in Österreich verfassungskonform sei. Ich selbst bin als Anwalt nach Straßburg gegangen, habe argumentiert, dass die Judikatur unseres Verfassungsgerichtshofes unrichtig ist und habe Recht bekommen. Dieses Monopol wurde beendet.

Standard: Aber es war eben ein Außenstehender notwendig, der den Anstoß gibt.

Böhmdorfer: Auch der Außenstehende gehört zum System. Wesentlich ist, dass im System eine Überprüfbarkeit aller Entscheidungen möglich ist. Natürlich kann man über Verbesserungen sprechen. Ob zum Beispiel der Verfassungsgerichtshof in allen Causen erreichbar sein muss.

Standard: Sehen Sie Verflechtungen von Politik und Justiz?

Böhmdorfer: Wichtig ist, dass sich die Richter nicht mit der Politik verflechten. Das ist auch ein Prinzip der österreichischen Richterschaft. Das wird allerdings immer dann kritisch, wenn der eine oder andere Richter mit einer bestimmten Partei in Verbindung gebracht wird. Richter, vor allem Standesvertreter, sollen sich aus der Politik fern halten - oder ganz den Schritt in die aktive Politik machen.

Standard: Wie ist das denn damit vereinbar, dass der Verfassungsgerichtshof streng parteipolitisch besetzt wird?

Böhmdorfer: Streng kann ich nicht sagen. Aber es gehört zu unserem System dazu, dass er so besetzt wird. Nach seinem Selbstverständnis beugt sich der VfGH aber nicht den Regeln der Politik. Die Politik sollte dort nicht stärker sein als das Recht. Gefährlich wird es vor allem dann, wenn sich die Politik über die rechtlichen Spielregeln hinwegsetzt.

Standard: Es gibt den Ortstafelstreit, da hat sich ein Landeshauptmann über die Judikatur hinweggesetzt. Der gleiche Landeshauptmann will das Höchstgericht entpolitisieren.

Böhmdorfer: Sie diskutieren jetzt Einzelfälle. Das ist etwas anderes. Das System ist in Ordnung, allerdings ist jeder Verbesserungsvorschlag willkommen.

Standard: Soll man die parteipolitische Besetzung des Verfassungsgerichts ändern?

Böhmdorfer: Über den Bestellungsmodus kann man durchaus diskutieren. Ich sage aber dazu, dass ich niemandem im VfGH vorwerfe, sich in seiner sachlichen Tätigkeit politisch vereinnahmen zu lassen.(DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2003)