Ou Virak muss schmunzeln. Morddrohungen ist der kambodschanische Menschenrechtler mittlerweile gewohnt, nur konnte er sie früher regierungsnahen Kreisen oder großen Unternehmen zurechnen, die Hauptadressaten seiner beruflichen Kritik. Was in den vergangenen Wochen aber auf ihn hereinbrach, via E-Mail oder in sozialen Netzwerken, hatte einen vollkommen neuen Beigeschmack. Die Hassbotschaften stammen nämlich aus dem Lager der Oppositionellen, mit denen gemeinsam Ou eigentlich gegen Langzeitpremier Hun Sen anzukämpfen pflegt. Der Grund: Die Protestbewegung mobilisiert unter anderem mit Rassismus gegen den Regierungschef. Das kritisierte Ou – und wurde dafür als Verräter beschimpft.

Ein Hauch von Wandel

Seit der Parlamentswahl am 28. Juli 2013 und dem umstrittenen Sieg Hun Sens herrscht eine Art Aufbruchstimmung im südostasiatischen Königreich. Trotz der üblichen Wahlmanipulationen vonseiten der regierenden Volkspartei CPP fiel ihr Sieg überraschend knapp aus, die oppositionelle Partei zur Rettung der Nation (CNRP) konnte 55 der insgesamt 123 Sitze und somit 22 mehr als bei der vergangenen Wahl erobern. Angespornt durch diesen Erfolg erhoben sich die Oppositionellen und gingen auf die Straßen. Unter fairen Bedingungen, vermutet CNRP-Chef Sam Rainsy, hätte er die Wahl gewonnen.

Was folgte, war eine Protestwelle, die das Land noch nie gesehen hat und die auch mehr als ein halbes Jahr später noch andauert. Die Opposition hat es geschafft, all die Unzufriedenen um sich zu scharen: die sozial Schwächeren, die jungen Kritischen, die rund 600.000 Fabriksarbeiter. Sie stören sich daran, dass es vielen im Land so schlecht geht, obwohl sich die Wirtschaftszahlen des Landes sehen lassen können, und obwohl jährlich viele Milliarden an Hilfsgeldern nach Kambodscha fließen. Ihr Zorn richtet sich gegen Hun Sen, der vor mehr als 28 Jahren an die Macht kam und sie bis heute sukzessive ausgebaut hat; inklusive einem geschätzten Privatvermögen von 500 Millionen US-Dollar.

Doch neben all diesen nachvollziehbaren Gründen gibt es auch eine dunkle Seite der Proteste. Sie hat mit der Nähe Hun Sens zum großen Nachbarn Vietnam zu tun; jenem Land, das Kambodscha 1979 von den Roten Khmer befreite, dann allerdings auch bis 1989 besetzte. In dieser Zeit wurde Hun Sen mit dem Segen Hanois zum Regierungschef ernannt, und auch nach dem Ende der Besatzung blieb die Beziehung ausgesprochen innig. Hier setzt nun Oppositionsführer Rainsy an.

Schon weit vor der aktuellen Protestwelle wetterte Rainsy in aller Regelmäßigkeit gegen Vietnamesen. Sie nehmen den Kambodschanern das Land und die Arbeit weg, sagt er in populistischer Manier und kündigt an, alle Vietnamesen des Landes zu verweisen, wenn er denn endlich an der Macht sei. Und genau damit rennt er bei vielen Kambodschanern offene Türen ein.

Als am 3. Jänner in der Haupstadt Phnom Penh eine erneute Protestaktion gegen Hun Sen stattfand, eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer und töteten mehrere Menschen. Zeitgleich wurden nur wenige Straßen weiter vietnamesische Ladenbesitzer von Demonstranten beschimpft und ihre Geschäfte zerstört. Es ist dies kein Einzelfall. Die Vietnamesen werden unter anderem für Spione gehalten, die Informationen sammeln, damit sich Vietnam das kambodschanische Territorium einverleiben könnte, gab einer der beteiligten Demonstranten zu Wort.

Sam Rainsy ruft nicht explizit zu Gewalt gegen Vietnamesen auf, dafür ist er zu clever. Auf Rassismus-Vorwürfe antwortet er, dass er Gewalt grundsätzlich ablehne, ohne detailliert auf die Angriffe einzugehen. Auf jeden Fall verwendet er aber in seinen zahlreichen Reden eine vietnamfeindliche Rhetorik, die viele verurteilen. Dazu zählt auch Surya Subedi, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in Kambodscha. Bei einem Besuch in Phnom Penh Mitte Jänner zeigte er sich "alarmiert über die anti-vietnamesische Sprache, die viele Oppositionelle in der Öffentlichkeit verwenden". Toleranz und Harmonie seien essentiell für die demokratische Zukunft Kambodschas, erklärte Subedi weiters.

Anti-vietnamesische Rhetorik, damit ist vor allem der Begriff "Yuon" gemeint. Früher wurde das als normaler Teil der kambodschanischen Sprache für Vietnamesen verwendet, erklärt Menschenrechtler Ou Virak im Gespräch mit derStandard.at. "Nach der Besatzung durch Vietnam hat es sich aber zu einem Schimpfwort entwickelt, auch wenn das viele abstreiten. Es ist nun so herabwürdigend wie Neger oder Japse." Nur zu oft hört man diesen Begriff bei diversen oppositionellen Protestaktionen, gerne auch kombiniert als "Yuon-Hunde" oder "Yuon-Tiere".

Ou Virak hat mal wieder mit mit Morddrohungen zu kämpfen. Diesmal stammen sie aber von oppositioneller Seite. (Foto: Wikimedia Commons)
Foto: Wikimedia Commons

Ou ist Präsident des Cambodian Center for Human Rights (CCHR) und einer der schärfsten Kritiker Hun Sens. Demzufolge müssten er und die Opposition eigentlich Verbündete sein. Auch Ou wünscht sich einen Sturz des Premiers und einen Wandel im Land, aber nicht auf die Art: "Die Oppositionellen spielen die Rassismus-Karte, um die Leute auf die Straßen zu bringen. Und nicht nur Hun Sen, alle, die sie nicht unterstützen, werden als Verräter beschimpft. Bist du nicht für sie, bist du automatisch gegen sie. Dieses Verhalten ist undemokratisch und sehr gefährlich."

Ou Virak weiß, wovon er spricht. Er und seine Organisation haben vor einigen Wochen den Rassismus der Opposition verurteilt. Mögliche Migrationsprobleme, sagt er, könne man diskutieren, aber nicht so. Was Ou Virak dann ereilte, war geballter Hass, übertragen via E-Mail, Youtube und vor allem auf Facebook und Twitter. Der Begriff "Yuon" sei überhaupt nicht abwertend gemeint, sagten einige wenige. Andere schimpften ihn einen Verräter oder einen Spion der Vietnamesen und hinterfragten seinen Patriotismus. Manche forderten ihn auf, seine Menschenrechtsarbeit zu beenden und das Land zu verlassen. Und dann gab es noch jene, die ihm schlicht mit Mord drohten.

Im Vergleich zu früheren Drohungen fallen die aktuellen viel massiver aus, da die Oppositionellen Zugang zum Internet haben und davon auch verstärkt Gebrauch machen. Ironischerweise ist das auch einer der Gründe, weshalb sie nun gegen Hun Sen aufbegehren. Nur im Netz finden sie Medien, die nicht von der Regierung kontrolliert werden und daher auch Hun Sen kritisch hinterfragen.

Trotz allem steht Ou weiterhin hinter der Protestbewegung. Die Demonstrationen waren ein "erster Schritt" zur Veränderung, auf die die Regierung weiterhin mit harter Hand reagiert. Protestaktionen werden verboten, viele Demonstranten und Menschenrechtsaktivisten sitzen im Gefängnis. Es ist also noch ein langer Weg bis zu einem richtigen Wandel in Kambodscha. Doch Ou sind dabei nicht alle Wege recht: "Wenn wir uns gegenseitig dämonisieren, führt das zu einem geteilten Land. So kam es auch zur Herrschaft der Roten Khmer." (Kim Son Hoang, derStandard.at, 12.2.2014)