Lust auf rohe Kuh-Innereien? Geräucherten Maismost? Vergorene Palatschinke? Äthiopien hat dem interessierten Esser einiges zu bieten. Man kann die Küche des Landes mögen oder nicht, sie ist auf jeden Fall die eigenste, mitunter seltsamste, die ich auf dem Kontinent südlich der Sahara kennen lernen durfte.

Hier wird tagtäglich praktiziert, was in der Hochküche derzeit sehr schick ist: Der Äthiopier - oder vielmehr, die Äthiopierin - räuchert und fermentiert, dass es eine Freude ist, und vegetarisches Essen hat, dank orthodoxer Fasttage (mehr als 200 im Jahr!) eine große Tradition.

Ich war das erste Mal vor zwei Jahren in Äthiopien. Dass ich nun nochmals deutlich mehr sehen und essen durfte, verdanke ich Menschen für Menschen. Die Organisation hat mich für eine Woche eingeladen und mir einige ihrer Projekte gezeigt (anderswo bald mehr davon). Daneben hatte ich genügend Zeit, zu essen und zu kochen - unter anderem auch mit einer der Nutznießerinnen der NGO.

Alemi Kafana hat mit ihrem Mann einen Kredit von Menschen für Menschen bekommen und so das gemeinsame Wirtshaus und die Fleischerei ausgebaut. In ihrer und anderen Küchen habe ich mich herum getrieben.

Foto: Tobias Müller

Äthiopien ist ein Land des Getreides: Mais, Sorghum, Weizen und vor allem Tef sind die Hauptnahrungsmittel.

Die Mühle des Dorfs ist daher ein zentraler Treffpunkt: Kinder, Frauen und Männer drängen sich um den Müller und warten, dass er seine Maschine anwirft - was er nicht tut, wenn eine Kundschaft kommt, sondern erst, wenn genug Säcke und Kunden warten und sich das Anwerfen lohnt. Den Wartenden gibt das genug Zeit fürs soziale Ereignis.

Foto: Tobias Müller

Was dem Chinesen das Soja ist dem Äthiopier das Tef: Er bäckt aus dem Mehl der sehr kleinkörnigen Hirse sein Injera, das Haupt- und im Fall großer Armut, Allein-Nahrungsmittel. Die Flade gibt es immer, egal wo, wann oder wozu. Sie ist Beilage, Teller und, weil mit der blossen (rechten, die andere ist für die Körperhygiene) Hand gegessen wird, Besteck in einem.

Das Essen wird auf ihr liegend serviert, mit ihr gegriffen oder aufgetunkt.

Foto: Tobias Müller

Injera ist eine Art Sauerteig-Palatschinke. Tefmehl wird eins zu eins mit Wasser zu einem dickflüssigen Brei gemischt. Dabei wird stets der gleiche Rührstock verwendet und etwas alter Teig beigemischt, um Hefen in den neuen Ansatz zu bekommen und schnell eine Gärung zu starten.

Geht alles gut, dann blubbert der Teig bereits nach wenigen Stunden kräftig. Drei Tage wird der Teig nun meist stehen gelassen, bevor es ans Backen geht. Fast jedes Haus hat für diesen Zweck einen Injera-Gäreimer in der Küche stehen.

Foto: Tobias Müller

Kurz vor dem Backen wird er mit heißem Wasser auf die Konsistenz von Palatschinkenteig verdünnt. Die Wärme soll dafür sorgen, dass die Hefen nochmals ordentlich anziehen.

Foto: Tobias Müller

Diese Mischung wird nun, wie eine französische Crepe, kreisförmig auf eine sehr heiße Platte gegossen und erst offen, dann mit Deckel drauf ein paar Minuten gebacken. Optisch erinnert das Ergebnis ein wenig an Kutteln, weich, feucht und elastisch. Einmal auf den Geschmack gekommen muss ich sagen: je saurer, desto besser!

Foto: Tobias Müller

Seit sehr kurzem gibt es auch in Äthiopien Heineken, die Tradition des Brauens ist aber noch sehr weit verbreitet. Wie bei uns zeigt auch hier ein Büschel Blätter an einem Stock vorm Haus an, dass hier ausgeschenkt wird.

Das lokale "Bier" heißt Tella und wird aus drei verschiedenen Getreiden zusammengebraut: Mais, Weizen und Sorghum. Das Endprodukt sieht nicht sehr appetitlich aus: erdig braun, mit zahlreichen Flankerln, die ein wenig an Dreck erinnern. Alles in allem macht es den Eindruck, als hätte jemand ein Glas Feldschlamm abgefüllt. Geschmacklich ist es aber durchaus angenehm: leicht süß, brotig, ein wenig alkoholisch, erinnert es deutlich an Most, wie er in Oberösterreich gern ausgeschenkt wird.

Foto: Tobias Müller

Zuerst wird Weizen zum Austreiben gebracht (also Malz draus gemacht) und dann zu Mehl gemahlen. Dann wird Wasser dazu gekippt und mit dem immer gleichen Bier-Stock (wegen der guten Hefe- und Bakterienkulturen, siehe Injera!) umgerührt.

Foto: Tobias Müller

Einstweilen räuchert die Brauerin ein Fass mit Wayira-Holz aus, das stark aromatisch-süßlich riecht, ein wenig wie Weihrauch. Wenn das Fass noch voller Rauch ist, wird das Malzmehl-Wassergemisch hinein gekippt und einen Tag zum Gären stehen gelassen.

Foto: Tobias Müller

Am nächsten Tag wird ein ebenfalls vergorener Sorghumbrei (siehe Injera) zu einer Flade gebacken, bis er auf beiden Seiten sehr braun bis angekokelt ist, anschließend zerbröckelt und zum Sud gemischt.

Nach einem weiteren Tag Gären kommt noch eine ordentliche Portion geröstetes Maismehl dazu, bevor der Sud einen weiteren Tag gären darf. Alles in allem steckt die Frau Kafama sicher einen ganzen Arbeitstag in ihre wöchentliche Tella-Produktion, inklusive halbstündigem Fußmarsch mit Esel zur Mühle. Ihr Gewinn: etwa vier Euro. 200 Liter verkauft sie, ein Glas kostet bei ihr umgerechnet 4 Cent.

Foto: Tobias Müller

Tella wird, nona, aus dem lokalen Wasser gebraut, was dem ungeübten Gedärm unvergoren mitunter wenig zuträglich sein kann. Ich war bei der Verkostung daher ein wenig feig und vorsichtig. Ein ebenfalls europäischer Mittrinker aber hat sich furchtlos mehr als einen halben Liter in den Schlund gekippt. Soweit ich weiß, ist es ihm tadellos bekommen.

Foto: Tobias Müller

Die klassische äthiopische Fastenspeise besteht aus diversen gebratenen und gekochten Gemüsen, das häufigste vegetarische Gericht ist Shero (siehe oben, gemeinsam mit Yetekele Gomen, süß-scharfem Kraut), ein Eintopf aus getrockneten Bohnen und Gewürzen. Er sieht zwar nicht immer appetitlich aus, gut gemacht kann er wirklich köstlich schmecken.

Shero für Vier:

Eine große Zwiebel klein schneiden und in einer Pfanne anschwitzen. Vier Knoblauchzehen häckseln und kurz mitraten. Ordentlich Mitmita (siehe oben), ein Teelöffel Kreuzkümmel und ebenso viel gemahlenen Zimt untermischen, zwei Schöpflöffel Bohnenmehl dazu geben und mit einem 1/8 Liter Sonnenblumenöl aufgießen. Köcheln lassen und die Konsistenz mit Wasser oder Suppe nach Belieben anpassen.

Kurz vor dem Servieren ordentlich Basilikumblätter dazu werfen und kurz mitziehen lassen. Auf Injera kippen und servieren. Wer kein Bohnenmehl hat, kann sich frische Bohnen kochen und zerstampfen. Das Ergebnis ist nicht ganz originalgetreu, aber durchaus genießbar.

Foto: Tobias Müller

Fasttag hin oder her - wer es sich leisten kann, der isst in Äthiopien so oft es geht Fleisch - und zwar ausschließlich und am liebsten roh. Das Fleisch wird dafür nicht unbedingt a la Tatar faschiert, sondern oft erst am Tisch von den Essern in grobe Würfel geschnitten, in Mitmita und Senfsauce getunkt und verzehrt.

Ich habe mich an einer Zunge versucht, deren Kuh ich am Vorabend noch kennen lernen durfte: Sie lag im Garten der Bar, in der wir unser Bier tranken und kaute ihr letztes Abendmahl wieder.

Foto: Tobias Müller

Am nächsten Morgen bekamen wir ihren Magen, ihre Kutteln und die Zunge schlachtfrisch als Rohkost vorgesetzt. Zunge gilt als besondere Delikatesse, was ich gekocht sofort unterschreiben würde.

Roh aber ist sie meiner Meinung nach eher ungenieß- weil fast nicht kaubar. Was Äthiopier nicht abhält, sie in Unmengen zu verdrücken. Nur der ganz hintere Teil aus dem Schlund, der äußerst fett ist, schmeckt in der Form auch für Europäer gut.

Foto: Tobias Müller

Der Magen ist, in dünne Stücke geschnitten, besser. Zur Gewohnheit machen werde ich mir diese Art des Verzehrs trotzdem nicht.

Foto: Tobias Müller

Ein paar Tage später habe ich den Chef von Slow Food Äthiopien über einem Teller Kitfo gefragt, was seine Landsleute denn so an den rohen Fleischbrocken finden. Die Konsistenz, hat er geantwortet - und den Glauben, dass rohes Fleisch den Mann und seine Kraft stärkt.

Kitfo ist ebenfalls rohes Fleisch, diesmal faschiert, absichtlich mit ranziger Butter übergossen. Man kann die Küche des Landes mögen oder nicht, sie ist auf jeden Fall etwas besonderes. (Tobias Müller, derStandard.at, 10.11.2013)

Foto: Tobias Müller