Frauen in einem Dorf im Bezirk Oromia in Ostäthiopien beim wöchentlichen Treffen ihres Sparvereins. Mit dem Gesparten werden Tiere und Lebensmittel gekauft und Kredite finanziert.

Foto: Müller

Addis Abeba - Sechs Monate versuchte Mohamed, seine Frau Halima fernzuhalten von den Treffen. Geh nicht schon wieder zum Sparverein, sagte er, arbeite lieber auf dem Feld, kümmere dich um die Sorghumhirse und den Khat, die Kaudroge, die sich so gut verkaufen lässt. Hinter ihrem Rücken versuchte er sie abzumelden von der Gruppe - erfolglos. Dann kam der erste Zahltag.

458 Birr, knapp 19 Euro, hat Halima nach Hause gebracht - genug, um am Viehmarkt in der nächsten Stadt eine Ziege kaufen zu können. So viel Geld hat die Familie noch nie besessen. Seither hat Mohamed seine Meinung geändert.

Halima, 25 und vierfache Mutter, ist Mitglied eines Sparvereins für Frauen, den Care Österreich in ihrem Dorf in Ost-Äthiopien gegründet hat. Jeden Dienstag treffen sich die Mitglieder unter der großen Schirmakazie zwischen den Lehmhütten und zahlen einige Birr in eine Holzkiste ein. Einmal im Jahr wird das Gesparte ausgezahlt, dazwischen werden Kredite an Dorfbewohner vergeben. Das kleine Projekt soll helfen, Äthiopiens großes Leiden zu lindern: den Hunger.

Kleine Felder

85 Prozent der Äthiopier leben von der Landwirtschaft. Ihre Felder sind durch Erbrecht und Enteignung zu klein geworden, gerade einen Hektar bestellt eine durchschnittliche Familie. Der Boden ist durch Abholzung und Erosion ausgelaugt. Das Land ist kaum bewässert, die Bauern pflügen mit Ochsen und ernten mit der Hand. Die Wirtschaft wächst langsamer als die Bevölkerung.

In guten Jahren brauchen derzeit 7,5 Millionen Menschen in Äthiopien Nahrungsmittelhilfe, um nicht zu verhungern - das sind knapp zehn Prozent der Bevölkerung. In schlechten, wie 2011, sind es noch vier Millionen mehr.

Als Antwort auf steigende Nahrungspreise 2008 startete die äthiopische Regierung gemeinsam mit ausländischen Spendern das Food Safety Net Program. 2,1 Milliarden Euro will sie dafür ausgeben, die EU zahlt 240 Millionen.

Mit dem Geld wird Essen gekauft und an die Ärmsten verteilt, ein Fünftel der Betroffenen ist zudem Nutznießer von Projekten wie jenen von Care, die helfen sollen, dass die Hilfe nicht mehr gebraucht wird. Das Ziel: Bis 2014 sollen von den 7,5 Millionen nur mehr 1,2 Millionen Hilfe brauchen. Als "sehr ambitioniert" bezeichnen das Optimisten, "nicht realisierbar", sagen die meisten.

"Die Hilfe in Äthiopien ist politisiert, es gibt Tendenzen, nur jene Ethnien zu unterstützen, die den Machthabern nahestehen", sagt Tobias Hagmann, Politikwissenschafter mit Schwerpunkt Entwicklungshilfe an der Universität Berkeley. "Das ist kaum zu ändern, solange die Regierung so autoritär ist."

Mehr als 100 NGOs arbeiten derzeit in dem Land - allerdings nur dort, wo die Regierung es erlaubt. Seit 2009 dürfen sie keine politischen Projekte mehr umsetzten. Kritik kommt von den Organisationen nicht - aus Angst, aus dem Land geworfen zu werden.

Es werde noch Jahrzehnte dauern, bis die Menschen in der Region vielleicht nicht mehr hungern, meint Hagmann. "Derzeit findet Entwicklungshilfe statt, weil der Westen helfen möchte - nicht, weil sie funktioniert. Viele Projekte haben kaum nachhaltige Auswirkungen", sagt er. Es brauche neue Ansätze - etwa, Geld in Sozialsysteme zu investieren oder Versicherungen aufzubauen.

Seit einigen Jahren arbeitet Care an solchen Projekten: Neben Sparvereinen wie dem von Halima baut die Organisation Getreidebanken auf: In neuerrichteten Lagerhäusern legen ganze Dorfgemeinschaften Teile ihrer Ernte für harte Zeiten beiseite. Die Menschen sollen lernen, nicht alles Getreide nach der Ernte zu verkaufen, wenn der Preis dafür niedrig ist; dass sie nicht ihr gesamtes Geld ausgeben, sondern sparen, um Essen zu kaufen, wenn die Ernte wieder ausfällt.

Die grüne Dürre im Hochland

Halimas Dorf liegt auf 2000 Metern zwischen saftigen Feldern. Es hat geregnet in den vergangenen Wochen - doch das Wasser kam zu spät. Die Sorghumstauden sind zwar grün, reichen den Bauern aber gerade einmal bis zu den Knien. Im Juli sollten sie so hoch sein wie ein Mensch, die Ernte wird heuer ausfallen. "Die grüne Dürre" nennen die Bauern das Phänomen. Dank des Sparvereins trifft sie das weniger hart.

2012 werden die Care-Mitarbeiter ihr Dorf verlassen, das EU-Projekt geht zu Ende. Andrea Wagner-Hager, Chefin von Care Österreich, verhandelt über eine Verlängerung. 2014 läuft das gesamte Projekt Food Safety Net aus. Was dann mit jenen passiert, die Hilfe brauchen, ist ungewiss. (Tobias Müller, DER STANDARD/Printausgabe 12. August 2011)