So perfekt fügte sich das Buhgetöse in den Explosionslärm auf der Bühne, dass man glauben konnte, Regisseur Romeo Castellucci höchstselbst habe die Schreier klug im Zuschauerraum platziert. Es wäre stimmig, dass Jesus, Sohn jenes Gottes, der all die Schrecknisse des Menschseins zulässt, nicht nur mit Plastikhandgranaten attackiert, sondern verzweifelt ausgebuht wird. Das lag vermutlich nicht in der Absicht der Buhrufer, die am Samstag die Festwochenpremiere Sul concetto di volto nel figlio di Dio torpedieren wollten. Auch nicht der sofort einsetzende Bekennerapplaus. Störversuche im Theater haben eins zur Folge: Parteinahme für die Kunst. Wer nicht dagegen ist, ist bei einsetzendem Protestgeschrei dafür.

Fast dachte man schon, oje, fad, keine Theater- und Kunstskandale mehr, kein Misthaufen vorm Theater wie 1988 bei Thomas Bernhards Heldenplatz- Premiere, kein Pfuigeschrei wie, ebenfalls 1988, bei Rolf Hochhuths Stellvertreter, keine Turrini-Jelinek-sind-Nestbeschmutzer-Schimpftiraden, von Schweinerei-Rufen bei den Aktionisten ganz zu schweigen.

Und nun gleich zwei Skandale in Folge, einer in Düsseldorf, einer in Wien, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben außer gefühlsbeleidigte Unmutsbekundungen und die doch etwas eint: die falschen Schlüsse, die gezogen werden.

Opernregie-Debütant Burghard C. Kominsiki, im Hauptberuf Schauspielchef in Mannheim, hat Wagners Tannhäuser als Obersturmbannführer umgedeutet, weshalb etliche Zuschauer (angeblich) ärztlich versorgt werden mussten. Opernintendant Christoph Meyer zog daraus den - falschen - Schluss und lässt die Oper nur mehr konzertant aufführen. Doch das ist der wahre Skandal und nicht das - durchaus diskussionswürdige und platte - Nazi-Opern-Getue auf der Bühne: Kam Meyer etwa seiner Aufgabe als Intendant nicht nach? Hat er das Regiekonzept nie gelesen, alle Proben verschlafen? War ihm die Brisanz nicht bewusst? Und wenn doch: Warum setzte er die Oper nicht schon vor der Premiere ab? Oder steht jetzt dazu?

Vor der Burg erklärten Fundamentalchristen auf Handzetteln: Würde ein Mohammed-Bild auf der Bühne zerstört, der Teufel wäre los, Politiker würden Respekt vor Religionen einfordern. Stimmt leider. Aber der Schluss, (politischer) Protest sei auch im Falle christlicher Symbole gefordert, ist falsch. Natürlich soll Theater aufregen, empören, erregen. Aber bei aller Bildmacht: Theater ist Transformation. Auch Mord, Raub und Kindesmissbrauch auf der Bühne sind nicht real, sondern: ein Spiel. Brutal. Aber immer: als ob. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 14.5.2013)