Polyamorie als aggressive und patriarchale Ideologie – so kann man mit ein paar Worten diese Lesermeinung von Michael Maurer zusammenfassen. In seiner Angst um die jahrhundertealten, bewährten (christlichen) Werte sieht sich Maurer gezwungen, gegen "den Polyamoristen", der plant, die mononormative Weltordnung durch eine polynormative zu ersetzen, mit schwachen Argumenten vorzugehen. Er präsentiert sich dabei als Befreier aller polymorösen Frauen und Verfechter des kleinen, rechtschaffenen Bürgers, der regelmäßig seiner Arbeit nachgeht und dem ob der Leistungen, die er zum Wohle der Gesellschaft bringt, kaum mehr Zeit für seine Partnerin und Kinder, geschweige denn für sich selbst hat. Maurer weiß meiner Meinung nach weder von Polyamorie noch von Feminismen genug, um an dieser Stelle die Feminismuskeule schwingen zu können. Hier einige Argumente:

Normen und Natürlichkeit von Beziehungen

Eine Vielzahl gesellschaftlicher Normen, wie Hetero- oder Mononormativität dürfen und sollten regelmäßig angefochten werden. Die Mononormativität nimmt einem die Entscheidungsfreiheit, sie macht Menschen, die sich für etwas anderes entscheiden wollen, das Leben schwer. Es ist jedoch keineswegs Ziel, eine gesellschaftliche Norm durch eine andere zu ersetzen: die bloße Existenz von Menschen, die in Poly-Beziehungen leben, bietet alternative Möglichkeiten, Beziehungen zu leben. Und ohne Alternativen kann man sich nicht für oder gegen etwas entscheiden. Die Menschheit soll nicht poly werden, die Menschen sollen sich bewusst machen können, was sie wollen und dann eine freie Entscheidung treffen können.

Der Hinweis auf die Natürlichkeit von Polyamorie in dem Interview mit Dominika und Josef ist zugegebenermaßen völlig unnötig: Dieser Art der wissenschaftlichen Legitimität bedarf es gar nicht, denn hier geht es nur um eins: Die Freiheit, mein Leben so zu gestalten, wie ich das möchte: Ich bin weder monogam noch polyamourös geboren worden, genauso wenig, wie ich konstitutionsbedingt hetero- oder homosexuell bin. Wie jedoch Maurer von dieser berechtigten Kritik auf die Idee kommt, die Polyamorie-Gruppe würde sich im Kampf gegen den Kapitalismus verorten, bleibt jedoch schleierhaft.

Angst vor Andersartigem

Völlig zusammenhanglos und unkommentiert wir die Polyamorie-Alternative als "regressiv" abgestempelt. Anscheinend geht Maurer von einem stetigen (wissenschaftlichen, moralischen?) Fortschritt in der Menschheitsgeschichte aus (allein das lässt sich schon anhand historischer Beispiele, wie den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs aushebeln). Im Rahmen dieses Fortschrittsdenkens wäre Polyamorie ein Rückschritt. Wieso eigentlich? Das wird nicht genauer erklärt, wieso auch, es reicht ja anscheinend mit Andeutungen und Beleidigungen um sich zu werfen. Vielleicht hat ja Maurer die angebliche patriarchale Unterdrückung von Frauen in Poly-Beziehungen im Kopf, auf die ich gleich zurückkommen werde.

Weitere Parolen bar jeden Arguments durchziehen den Artikel: "Nur eine gleichberechtigte, herrschaftsfreie monogame Beziehung verwirklicht das Ideal der romantischen Liebe." Nein, polyamouröse Beziehungen sind nicht herrschaftsfrei, denn keine zwischenmenschliche Beziehung ist herrschaftsfrei. Im Gegensatz zu monogamen Beziehungen, sind, ohne pauschalieren zu wollen, Menschen, die in polyamourösen Beziehungen leben es doch eher gewohnt, über Beziehungsdynamiken nachzudenken und Machtverhältnisse offen zu legen.

Das tun Menschen in Mono-Beziehungen weit weniger, denn die Diskussion wird ja bei dem Stichwort "gleichberechtigt" angeblich obsolet. Auch die an den Haaren herbei gezogene Analogie Hauptbeziehung/Nebenbeziehung - Herr/Sklave – Mann/Frau  ist denke ich naiv und hat keinen Erkenntniswert, ganz davon abgesehen, dass sie das Bild der ewig untergeordneten Frau weiter trägt. Von einer intelligenten, informierten Auseinandersetzung mit Polyamorie ist der Artikel sehr weit entfernt; sonst wüsste Herr Maurer, dass das Modell Dominika/Josef eben nur EIN Modell einer polyamourösen Beziehung ist und das nicht alle mit den Begriffen Haupt- und Nebenbeziehung operieren.

Eine "perfide Form des Patriarchats"

Lustig sind die Passagen, an denen Maurer andeutet, polyamouröse Frauen seien unterdrückt ohne es zu merken, da patriarchale Männer Polyamorie als Machtinstrument verwenden würden. Untermauert wird dieser Vorwurf nicht, weder mit Zitaten aus dem Interview, auf das er sich bezieht, noch mit der Beschreibung einer konkreten Situation. Es wird einfach davon ausgegangen, dass Polyamorie vor allem profitabel für Männer ist. In keinem Moment fällt Maurer in seiner heteronormativen Welt ein, dass es ja vielleicht nicht nur polyamouröse Heterobeziehungen gibt.

Ob Verhältnisse zwischen Männern und Frauen in einer Beziehung patriarchal sind oder nicht, hat wenig damit zu tun, in welcher Beziehungsform sie leben, sondern damit, wie viel sie reflektieren. So sind auch Poly-Beziehungen nicht potenziell patriarchaler als andere.

Gegen den Strich gelesen?

Es ist schleierhaft, wie man den Artikel im Sinne des letzten Absatzes (Wer meine Worte nicht gegen den Strich liest, wird sehen, dass sie alle Menschen umarmen..) verstehen kann. Er ist voller offensichtlicher und versteckter Beleidigungen: Der perfide, egoistische, patriarchale, sklaventreibende, lüsterne "Polyamorist" (es gibt da ja einen Prototypen) instrumentalisiert seine Liebes-Objekte, ist nur physisch erwachsen, denn ihm fehlt das Pflichtbewusstsein und er verwehrt seinen Kindern die angemessene ökonomische und emotionale Versorgung.

Ihn interessiert nur die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse und diese könne ja außerhalb einer monogamen Beziehungen, in der es einzig und allein guten Sex geben kann, das ist ja allgemein bekannt, sowieso nicht richtig befriedigt werden, deshalb lebt er nur eine Illusion; er lebt ein Pseudo-Leben, fernab der realen Welt, in der man morgens aufsteht, sich den ganzen Tag abrackert, abends nach Haus kommt, wo die Frau wartet, den Kindern den Kopf streichelt, bevor sie ins Bett gehen, danach seine Frau vögelt, während diese interessiert die Decke betrachtet, um das alles am nächsten Tag genauso wieder zu tun.

Ja, mein Leben ist anders: viel intensiver, spannender, so wie meine Beziehungen intensiver sind, weil sie zu keinem Zeitpunkt selbstverständlich sind, und das alles, obwohl ich viel mehr als 40 Stunden die Woche arbeite. Es stimmt, die von Mauerer beschriebene Welt erscheint mir ganz weit weg. (Leserkommentar, Karola Sigmund, derStandard.at, 8.5.2013)