Der veränderte Cartoon, wie er auf der Facebook-Seite Heinz-Christian Straches veröffentlicht wurde.

Quelle: Facebook

Acht Tage ist es her, seit Sonja Ablinger, Nationalratsabgeordnete der SPÖ, "baff" auf die Antwort reagierte, die ihr Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) auf eine parlamentarische Anfrage wegen der auch hier zu sehenden Karikatur gegeben hat - und vor den Kopf gestoßen war Ablinger mit Recht.

Denn die Erklärungen der Ministerin, warum dieser Comic, der sich antisemitischer Klischees und Symbole bedient, keine Verhetzung laut Paragraf 283 StGB (der am Ende dieses Eintrags im Wortlaut zu lesen ist) darstellt, sind laut Presseaussendungen der Menschenrechtsgruppe SOS Mitmensch der vergangenen Tage einer ganzen Reihe ExpertInnen unverständlich: vom österreichischen Politikwissenschaftler Anton Pelinka hin zum Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, Werner Bergmann.

Und in Österreich, dessen Bevölkerung sich vor wenigen Generationen dem antisemitischen Kollektivwahn hingegeben hat, sind sie außerdem politisch äußerst bedenklich.

Straches Propaganda

Besagte Karikatur war von dem zu Propagandazwecken internetaffinen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache im August 2012 auf seiner Facebookseite veröffentlicht worden. Neben der ausgehungerten "Volk"- und der servilen "Regierungs"-Figur stellt sie den übergewichtigen und gierigen "Banken"-Repräsentanten mit einer (von Antisemiten als "jüdisch" bezeichneten) Hakennase sowie mit Davidsternen als Manschettenknöpfen dar.

Nach Sachverhaltsdarstellungen an die Staatsanwaltschaft Wien waren Ermittlungen wegen Verhetzung aufgenommen worden - aber sie wurden am 7. Jänner 2013 ohne Anklageerhebung beendet. Warum, wollte Ablinger wissen. Weil, so Ministerin Karl in der Anfragebeantwortung, "durch genannte Karikatur nicht gegen die Gesamtheit der jüdischen Bevölkerung gehetzt wurde, sondern - wie sich aus dem die Karikatur begleitenden Text ergab – Kritik an der österreichischen Bundesregierung und dem von dieser beschlossenen Euro-Rettungsschirm geübt werden sollte".

Dieses Argument kann der Verfassungsexperte Bernd-Christian Funk nicht nachvollziehen: Vielmehr sei die Zeichnung als "bösartige Karikatur" zu sehen, meint er: Als Darstellung, die die "gesamte Gruppe" - alle Juden und Jüdinnen - "herabsetzt", indem sie sie "direkt in Zusammenhang mit abzulehnendem Spekulantentum bringt". So, wie es Paragraf 283 Absatz 2 definiert, der als Tatbestandsmerkmal das Beschimpfen oder Verächtlichmachen einer Gruppe "in einer die Menschenwürde verletzenden Weise" nennt.

"Ökonomischer" Antisemitismus

Tatsächlich ist der Irrglaube, dass Juden und Jüdinnen eine besondere Nähe zu Banken, Kapital und Spekulation hätten, ein zentrales Versatzstück des Antisemitismus, dort, wo er "ökonomisch" argumentiert. Angesichts der um sich greifenden Schuldenkrisen und der daraus folgenden ökonomischen Verwerfungen feiert Derartiges in Form judenfeindlicher Verschwörungstheorien derzeit Urstände.

Doch die Staatsanwaltschaft Wien und das Justizministerium finden offenbar nicht, dass eine mit Hakennase und Davidsternen versehene "Banken"-Karikatur solche Verblendungen bestärkt. Das ist eine oberflächliche Sichtweise, die nur den Text ("Banken", "Regierung", "Volk"), nicht aber die judenfeindlichen optischen Signale berücksichtigt.

Und diese Sichtweise geht mit einer weiteren - sagen wir - bemerkenswerten rechtlichen Einschätzung einher. "Der Begriff des 'Antisemitismus' ist kein Tatbestandselement des zu prüfenden Deliktes der Verhetzung", steht an anderer Stelle in der Anfragebeantwortung. Soll das heißen, dass Antisemitismus laut Rechtsmeinung des Justizministeriums nicht verhetzend ist? Oder, dass man gegen Antisemitismus nach jenem Paragrafen, der Verhetzung ahndet, nicht vorgehen kann? Was immer, hier herrschen Klärungs- und Diskussionsbedarf - und die Einstellung besagter Ermittlungen wäre dringend zu prüfen. (Irene Brickner, derStandard.at, 6.4.2013)