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Foto: Reuters/Ribeiro

Mein Standard-Kommentar über die Aussichtslosigkeit der Proteste auf der Straße und in der Wahlzelle gegen die Armut und Sparpolitik hat heftige Reaktionen ausgelöst. Poster warfen mir Herzlosigkeit vor, und ein renommierter Experte wie Kurt Bayer kritisierte meine Position, dass es zur wirtschaftlichen Rosskur, zum „Tal der Tränen“, keine Alternative gibt.

Tatsächlich sind in den vergangenen Tagen auch anderswo die kritischen Stimmen gegen TINA („There is no alternative“), also die harte Haltung von EU-Kommission und EZB in Sachen Sparkurs, wieder lauter geworden. Dies ist auch eine Folge der italienischen Wahlen, wo die Bürger des größten der Euro-Schuldnerstaaten die Kritiker der Sparpolitik massiv gestärkt haben.

In einem viel zitierten Papier hat der belgische Ökonom Paul de Grauve dargelegt, dass weltweit Staaten durch die Griechenlandkrise 2010 sich in eine übertriebenen Sparpolitik hineinjagen haben lassen und die daraus resultierenden tiefen Rezessionen vermeidbar gewesen wären.

Keine Frage: Die Sparpolitik hat in den meisten betroffenen Staaten schlimme Folgen: Rezession, wachsende Arbeitslosigkeit, Frustration, Zorn und Radikalisierung in der Bevölkerung, und letztlich auch steigende Defizite und Schulden.

Das „Paradoxon des Sparens“, das schon John Maynard Keynes beschrieben hat, ist überall zu sehen: Wenn der Staat in einer Rezession spart, dann sinken seine Schulden nicht, sondern sie steigen, weil die Wirtschaft insgesamt noch schneller schrumpft.

Doch so treffend die Kritiker der Sparpolitik diese Fehlentwicklungen aufzeigen, so wenig beantworten sie die naheliegende Frage: Was ist eigentlich die Alternative zum Sparen?

Nichts zu tun und den alten Budgetkurs einfach fortzusetzen kann wohl nicht die Antwort sein. Wenn Staaten hoch verschuldet sind und die Finanzmärkte Defizite nicht mehr finanzieren wollen, dann muss irgendetwas passieren. Um einen Staatsbankrott abzuwenden, muss jemand anderer einspringen. In der Eurozone waren das die EU-Partner und - nach einigem unglückseligen Zögern - die EZB. Doch auch die wollen sehen, dass das hilfesuchende Land einen Kurswechsel vornimmt, um zukünftige Krisen dieser Art zu vermeiden. Das ist eine moralisch legitime und politisch zwingende Auflage.

Das Problem in der Eurozone ist, dass die Krisenstaaten nicht nur unter hohen Staatsdefiziten, großen Schuldenbergen oder massiver privater Verschuldung gelitten haben. Sie hatten auch alle gewaltige Leistungsbilanzdefizite, also viel mehr Einfuhren als Ausfuhren, als Folge einer  schwindenden Wettbewerbsfähigkeit.

Wenn ein Land in einer solchen Situation nicht abwerten kann, weil es keine eigene Währung hat, dann müssen Löhne und Preise anders gedrückt werden. Und das geht eigentlich nur, in dem der Staat seine eigenen Ausgaben kürzt. Das, und weniger die Staatsdefizite, sind der eigentliche Grund für eine Sparpolitik.

Bayer fordert in seinem Kommentar, die Sparpolitik zu verlangsamen und „mit massiven wachstumsfördernden Maßnahmen zu flankieren“. Nun, das richtige Tempo für die Sparpolitik zu finden ist ungemein schwierig, und tatsächlich wurden anfänglich ehrgeizige Ziele zuletzt von der EU  zurückgeschraubt. Aber auch eine langsamere Sparpolitik bleibt dennoch eine Sparpolitik und würde letztlich genauso viel Protest hervorrufen. Denn Demonstranten geht es um die Richtung, nicht um die Details.

Und die Wachstumsförderung? Niemand in der EU ist gegen Wachstum – im Gegenteil. Ein Großteil der Forderungen an die Krisenstaaten zielen darauf, strukturelle Wachstumsbremsen – verkrustete Arbeitsmärkte, fehlender Wettbewerb, lähmende Bürokratie - abzubauen und so eine gesündere nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen.

Letztlich sind solche wachstumshemmenden Strukturen an der Wurzel der Krisen. Denn gerade weil die Wirtschaft zu wenig produktives Wachstum hergab, wurden mit Staatsausgaben oder über Kredite künstlich Nachfrage und Arbeitsplätze geschaffen.

Eine solche schuldenfinanzierte Konjunkturbelebung können Bayer und andere wohl nicht mit „wachstumsfördernd“ meinen. Wenn sie aber nun nach Ausgabenprogrammen rufen, die tatsächlich die Produktivität erhöhen – etwa bessere Bildungsstätten oder sinnvolle Investitionen in die Infrastruktur – dann muss man sich fragen, warum das nicht schon früher geschehen ist, bzw. warum Ausgaben diesmal besser wirken sollen als früher.

Die Antwort ist recht klar: Sie werden es nicht. Und wo die Hoffnung besteht, steht es allen Staaten frei, durch härteres Sparen im unproduktiven Sektor – etwa rascheren Abbau der Staatsbediensteten – oder Privatisierungen Gelder für solche Investitionen freizumachen.

Es gibt übrigens Staaten, die eine Alternative zum Sparen haben. Sowohl die USA als auch Großbritannien können es sich leisten, weiter Schulden zu machen, weil die Finanzmärkte dies bisher ohne Zögern bezahlen. Auch Frankreich hätte noch mehr Zeit, kämpft allerdings mit besonders großen Wettbewerbsproblemen.

Insgesamt ist die Einstellung zur Sparpolitik auch eine Frage von Kultur und Charakter – calvinistisch oder katholisch, wie dies der Chef der Euro Working Group, der Österreicher Thomas Wieser, am Samstag im Ö1-Mittagsjournal gesagt hat. Vielleicht gibt es tatsächlich Alternativen zum allzu konsequenten Sparen. Aber Staaten, die in Krisen große Härten auf sich genommen haben, konnten in weiterer Folge eher einen nachhaltigen Aufschwung erzielen als andere.

Südkorea und Schweden sind zwei Beispiele für Länder, wo sich ein harter und kluger Sparkurs sehr wohl ausgezahlt hat.