"Leonora im Morgenlicht" (1940): Rund 36.000 Besucher der Max-Ernst-Retrospektive bewunderten bislang dieses Gemälde, das ein Südamerikaner im Mai 2012 für 7,9 Millionen Dollar bei Sotheby's erwarb.

Foto: Sotheby's

Was ihn mit Werner Spies verbinde, daran ließ Klaus Albrecht Schröder keine Zweifel aufkommen: tiefe Freundschaft und Bewunderung. Für die Person und den Experten für den späten Pablo Picasso und alle Jahrgänge von Max Ernst sowieso. Die laufende Retrospektive sei gewissermaßen der Höhepunkt. Mittwochabend hatte die Albertina in ihre Prunkräume geladen, wo der 1937 in Tübingen Geborene Einblick in seine Vita gewährte. Er, der die genannten Künstler und unzählige andere persönlich kannte und von dem das Publikum die obligate Picasso-Anekdote oder einen anderen kurzweiligen Zipfel der jüngeren Kunstgeschichte zu fassen hoffte.

Matter Abgesang

Im hinteren Teil des Musensaals lagen kleine Stapel der im August 2012 im Hanser-Verlag publizierten Memoiren bereit. Im hauseigenen Museumsshop hatte sich der Ansturm auf den Mein Glück-Wälzer bisher deutlich in Grenzen gehalten. Die Lesung sollte die Wende bringen.

Nach dem ersten Monolog weiß man: Werner Spies ist hingerissen. Von sich selbst und ganz besonders von seiner Schreibe. Ein langer, mit allerlei hübschen Füllwörtern angereichter Schachtelsatz folgt dem nächsten. Eine auditive Qual, die auf den 605 Seiten über klassische Interpunktionsregeln in die Schranken gewiesen wird.

"Vor mir auf dem Tisch liegt ein goldener Stift", der schwierigste, weil wichtigste, weil allererste Satz, demgegenüber der allerletzte nur enttäuschen kann. Und er tut es, sogar sehr vehement, nicht so stilistisch, vielmehr inhaltlich.

Denn man kann es drehen und wenden, wie man will: Spies war in den größten Fälscherskandal des internationalen Kunstmarktes verwickelt (siehe der Standard, 12. 1. 2013, "Surrealistische Verstrickungen"). Nicht als Randfigur, sondern mittendrin, in verantwortungsvoller Position als erfahrener Fachmann.

Sieben Fehlurteile sind am Ende des Expertentages zumindest deren sechs zu viel. Spies, der sich selbst lieber zum Opfer des Meisterfälschers Beltracchi stilisiert, will zu diesem Thema nicht Stellung beziehen. Als ob er vom Verlagschef irgendwie doch verdonnert worden wäre, verschanzen sich ein paar wehleidige Anmerkungen dazu im gerade mal 4,5 Seiten langen Epilog.

Sein Glück, so der matte Abgesang, wäre damit nicht zerstört worden, vielmehr habe es "ihm das 'Ach!' verliehen, ohne das kein Leben gelebt werden kann".

Im persönlichen Gespräch wird er nicht müde, seine Erfolgsbilanz zu deklamieren: 6000 begutachtete Werke, 400 entlarvte Fälschungen. Kunstmarkt? Der interessiere ihn nicht, sagt er. Nur, genau hier spießt es sich: Für seine Expertisen sei er nie entlohnt worden, betont er im Standard -Gespräch, vielmehr habe er "nur" an den Provisionen aus den Verkäufen verdient. Das sei ja völlig legitim. 400.000 Euro von Beltracchi und Co, eine unbekannte Summe von involvierten Kunsthändlern. Wie viel, will er nicht beziffern. Ein mehrstelliger Millionenbetrag? Das sei absolut lächerlich.

Überhaupt, im juristischen Sinne habe er keine Gutachten verfasst, sondern lediglich auf der Rückseite eines Fotos des jeweiligen Bildes notiert, dass er das Gemälde in das Werkverzeichnis aufnehmen, also bei einer Neuauflage berücksichtigen würde. Ein juristischer Kniff? In Frankreich, wo ihn ein getäuschter Sammler vor Gericht zu belangen versuchte, gelang der. Interessant jedenfalls für die Rechtsabteilungen internationaler Auktionshäuser, die seine handschriftlichen Notizen in den Katalogangaben bis heute als "Photo Certificate" bezeichnen. Dass Käufer daraus einen Beleg für die Echtheit ableiten ist also nur ein großes Missverständnis? Die Realität ist eine andere. Und Spies weiß das besser als jeder andere, denn "ohne meine Expertise kann man einen Max Ernst nicht verkaufen". (kron, Album, DER STANDARD, 23./24.2.2013)