Der Seitenwechsel kam unerwartet: Seit den Schuldsprüchen in der Causa Birnbacher ermittelt die Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen drei Gutachter, die sich mit Birnbachers Honorar (sechs Mio. Euro; wert war es nur rund 200.000 Euro) beschäftigt hatten. Unter Berufung darauf haben die Chefs der Landesholding Birnbacher bezahlt - und wurden (nicht rechtskräftig) wegen Untreue verurteilt. Nun wird gegen die Privatgutachter wegen Beihilfe ermittelt, sie weisen die Vorwürfe zurück.

Freilich hat sich auch das Strafgericht in der Causa auf einen Gutachter verlassen, der Birnbachers Leistung taxiert hatte. Der Sachverständige Frank A. Schäfer wurde im Ermittlungsverfahren vom Staatsanwalt beauftragt - der Richter hat seine Expertise in die Urteilsfindung einfließen lassen.

Genau an dieser verfahrensrechtlichen Konstellation scheiden sich die Geister immer heftiger. Ob Causa Birnbacher, Bawag, Immofinanz, Buwog oder Meinl: Vor allem in den komplexen Wirtschaftscausen spielen die Gutachter eine ganz zentrale Rolle; ihre Honorare sind sehr beträchtlich. Vor der Reform der Strafprozessordnung 2008 hatten die Untersuchungsrichter die Gutachter beauftragt; seither tut es der Staatsanwalt, der das Ermittlungsverfahren leitet und die Fragen an den Sachverständigen formuliert.

Dass sich die Richter im Prozess weitgehend auf deren Arbeit verlassen, kritisieren vor allem die Strafverteidiger. Sie sehen darin ein Ungleichgewicht zulasten der Angeklagten und eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren. Die Gutachter würden vom Gericht als "Zeugen der Anklage" betrachtet, formuliert es Strafverteidigerin Alexia Stuefer von der Kanzlei Soyer & Partner/in.

Schwierige Gegenwehr

Es sei eine "schwere Aufgabe", die meist belastenden Sachverständigengutachten zu entkräften, fasste Anwalt Thomas Kralik das beim vorjährigen Strafverteidigertag zusammen. Wie die Gegenwehr in der Praxis aussieht, ist aus der Causa Bawag in Erinnerung: Der Verteidiger von Ex-Banker Helmut Elsner stellte tausend (sic) Fragen zum Gutachten des Sachverständigen Fritz Kleiner.

Eine ebenso zentrale wie umstrittene Rolle nehmen die Gutachter beim Immofinanz-Prozess ein, bei dem gerade der Teilbereich rund um Optionsgeschäfte verhandelt wird. Hier fungierte Gerhard Altenberger als Gutachter der Staatsanwaltschaft, nun tritt er als Sachverständiger des Gerichts auf. Für Anwalt Georg Zanger ist diese Doppelrolle unvereinbar, er hat die Nichtzulassung des Experten beantragt.

Entschieden ist der Fall noch nicht, doch werden jedenfalls Verzögerungen befürchtet: Wird der Antrag abgelehnt, droht die Anfechtung eines allfälligen Schuldspruchs wegen Nichtigkeit. Wird er angenommen, hätte das wohl die Bestellung eines neuen Gutachters zur Folge. Diesfalls wäre mit einer Verzögerung von zwei Jahren zu rechnen, meint Rechtsanwalt Andreas Köb, der geschädigte Immofinanz-Anleger vertritt. Die Verfahren sind nämlich ziemlich komplex. Der Immofinanz-Akt umfasst 280.000 Gigabyte an Daten, die ein neuer Gutachter zumindest auszugsweise sichten müsste. Dazu kommt, dass der Überblick über derart umfassende Sachverhalte nur wenigen Experten zugetraut wird - und die sind in die Causen meist schon involviert.

Inzwischen thematisiert auch der Oberste Gerichtshof die Gutachter-Problematik, die Justiz erwägt Änderungen. Debattiert wird derzeit, die Gutachterbeauftragung an die (unabhängigen) Haft- und Rechtsschutzrichter zu delegieren. Eine Änderung, die Anwalt und Strafrechtsprofessor Richard Soyer nicht für sinnvoll hält. Er plädiert dafür, dass die Angeklagten (allenfalls per Verfahrenshilfe finanziert) private Gutachter beiziehen dürfen, die dann das vom Staatsanwalt beauftragte Gutachten "kritisch würdigen" können. Das, so der Anwalt, würde qualitative Dynamik in die Gerichtssäle bringen. (Renate Graber, Andreas Schnauder, DER STANDARD, 16./17.2.2013)