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Hochsicherheitsverwahrung in einer Grauzone völliger Ungewissheit: ein Gefangener während einer Unterrichtsstunde im Lager Guantánamo.

Foto: Brennan Linsley, File/AP/dapd

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Demonstranten gegen das Straflager auf Kuba im Jänner vor dem US Surpreme Court in Washington.

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Bevor es losgeht, läuft ein Uniformierter durch den dünn besetzten Kinosaal und lässt wissen, dass es in den oberen Reihen gemütlich warm ist und unten deutlich kühler, eine Tücke der Heizanlage. Amerikaner haben es gern bequem, der Mann meint es gut. "Cellphone detected, cellphone detected", krächzt eine Roboterstimme. Irgendein verborgenes Gerät hat ein Handy geortet, und Handys sind hier strengstens verboten. Allerdings schlägt die Roboterstimme öfters falschen Alarm, sodass man sie plärren lässt, ohne sie groß zu beachten.

Es ist neun Uhr früh. In Guantánamo beginnt ein neuer Verhandlungstag, in Fort Meade in Maryland eine neue Live-Übertragung. In der Kaserne der National Security Agency, des auf Abhören spezialisierten Militärnachrichtendienstes, kann jeder, der will, dem Verfahren folgen, ohne dass er dazu in die Karibik fliegen muss. Das Interesse ist dürftig, die sechs Zuschauer verlieren sich fast im Stützpunktkino.

Braver Mustermandant

Körnige Aufnahmen flimmern über die Leinwand. Militärrichter James Pohl, grauhaarig und resolut, zupft an seiner schwarzen Robe, bis sie akkurat sitzt. Khalid Scheich Mohammed, der mutmaßliche Chefplaner der Anschläge des 11. September 2001, sitzt brav wie ein Mustermandant neben seinem Verteidiger David Nevin. Sein üppiger Vollbart ist mit Henna rot-orange gefärbt, er hat ein weißes Tuch um den Kopf gebunden und trägt eine grün-braun gefleckte Tarnjacke. Hinter ihm sitzen seine Komplizen, unter ihnen Ramsi Binalschibh, Mitbewohner des Terrorpiloten Mohammed Atta in Hamburg.

Irgendwann füllt ein Strickmuster aus blauen Linien die Leinwand aus, der Schaltplan einer ausgeklügelten Mikrofonanlage. Ein Experte erklärt die verschiedenen Stränge, es wird sehr technisch: Die Software trennt das gesprochene Wort in zwei Kanäle. Der eine, für alle hörbar, überträgt nur normale Lautstärke. Der andere, er endet in einem geheimen Büro, überträgt auch Flüstertöne. Stundenlang geht es um die blauen Linien. Die Anwälte haben mitbekommen, dass sie bei vertraulichen Gesprächen mit Klienten belauscht wurden. Es geschah in extra dafür vorgesehenen Räumen, wo die Rauchmelder verwanzt waren. Aber auch aus dem Gerichtssaal, vermuten sie, werden leise Unterhaltungen auf Kanal zwei durchgestellt zu unsichtbaren Hörern. Deshalb schwitzt jetzt ein Techniker namens Maurice Elkins im Zeugenstand und soll die Schaltskizze erklären.

Routine im Niemandsland

Wäre es nach den ursprünglichen Plänen Präsident Barack Obamas gegangen, säßen KSM und seine vier Mitangeklagten jetzt in Manhattan, nur ein paar Straßenzüge von den eingestürzten Zwillingstürmen entfernt. Daraus wurde nichts. Kongressabgeordnete legten sich quer, der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg bekam kalte Füße, er fürchtete, der pulsierende Alltag werde empfindlich gestört durch eine weiträumig abgeriegelte Gerichtsfestung im Herzen der Stadt. Im Mai 2012, als im Südostzipfel Kubas die Verhandlung begann, horchte das Land noch auf. Heute ist es nur noch ferne Routine in einer Art Niemandsland.

"Viele haben sich abgefunden mit Guantánamo, der Ausnahmefall ist Normalität geworden", sagt Omar Farah, Anwalt des Center for Constitutional Rights, einer Organisation, die zahlreiche Häftlinge des Lagers vertritt. (Siehe Interview) Zum einen liege es an der Person Obamas. Der werde nicht in Verbindung gebracht mit den Rechtsverletzungen, für die Namen wie George W. Bush und Dick Cheney standen. Zum anderen sei es die Folter von Terrorverdächtigen gewesen, die den Widerstand gegen Guantánamo schürte, das Unbehagen verstärkte. Im öffentlichen Bewusstsein sei das Folterkapitel abgehakt, das Interesse schwinde.

Keine Rückkehr möglich

Farah verteidigt sieben Jemeniten, keine Terrorplaner, sondern Mitläufer, denen auch die US-Regierung nichts zur Last legt. Sie könnten frei sein, wäre da nicht ein Moratorium Obamas. Verfügt wurde es, nachdem Omar Faruk Abdulmutallab, der sogenannte Unterhosenbomber, zu Weihnachten 2009 versucht hatte, eine Transatlantikmaschine auf dem Flug nach Detroit in die Luft zu sprengen. Der Nigerianer Abdulmutallab war von einer Al-Kaida-Zelle im Jemen ausgebildet worden, weshalb kein Gefangener in den Jemen zurückkehren darf. 56 der 86 Insassen, deren Freilassung theoretisch nichts mehr im Wege steht, ein Drittel der insgesamt 166 Häftlinge, stammen von dort. Dass sie weiter einsitzen, ohne Verfahren, in der Grauzone völliger Ungewissheit, nennt Farah kollektive Bestrafung.

Morris Davis ist, was Amerikaner "whistleblower" nennen, ein Insider, der aus dem Nähkästchen plaudert. Berufen unter Bush, war er von 2005 bis 2007 Chefankläger der Terrorprozesse. Heute lehrt er an der Howard University in Washington und zählt zu den schärfsten, beharrlichsten Kritikern des Camps. Anfangs, sagt der Colonel a. D., habe er noch geglaubt, Guantánamo sei ein zweites Nürnberg - eine Neuauflage der Kriegsverbrecherprozesse nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Kopie jenes leuchtenden Vorbilds. Dass er sich irrte, merkte er, als er erfuhr, dass etliche Aussagen auf Folter beruhten, als er Einspruch erhob und zur Antwort bekam: Bush sagt, wir foltern nicht, damit basta. "Ich weiß, das Publikum hat weitgehend abgeschaltet", bedauert der Jurist. "Und ich mache das Abschalten so schwer, wie ich kann, indem ich darüber rede." (Frank Herrmann aus Fort Meade, DER STANDARD, 16.2.2013)