Zur Person: Omar Farah (36) ist Anwalt am Center for Constitutional Rights, einer New Yorker Organisation, die in Guantánamo Inhaftierte verteidigt. Der Absolvent der Columbia University und des Georgetown University Law Center vertritt sieben Häftlinge des Lagers.

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STANDARD: Die amerikanische Regierung hat ihr Büro, das die Auflösung des Lagers Guantánamo vorbereiten sollte, geschlossen. Bedeutet das, dass Barack Obama gar nicht mehr die Absicht hat, das umstrittene Camp dichtzumachen?

Farah: Erst vor wenigen Tagen, im Jänner, hat Obama den National Defense Authorization Act (NDAA) für das neue Finanzjahr unterschrieben. Das Gesetz enthält harte Auflagen für den Fall der Auflösung Guantánamos und der Überstellung dort einsitzender Gefangener. Zudem schloss der Präsident das Büro von Daniel Fried, der im Außenministerium für den Transfer von Häftlingen in andere Länder zuständig war. Das sind zwei negative Signale, die für die zweite Amtszeit Obamas nichts Gutes verheißen. Ob es nun auch bedeutet, dass sämtliche Pläne zur Schließung des Lagers ad acta ge- legt sind, das kann ich nicht sagen. Es scheint, als wäre der Präsident mit dem Status quo ganz zufrieden.

STANDARD: Was kann Obama denn tun? Der Kongress würde doch jeden seiner Schritte blockieren ...

Farah: Obama beruft sich häufig auf den NDAA - ein Gesetz des Kongresses, das ihm angeblich die Hände binde. Wenn er wollte, könnte er aber durchaus handeln. Die Novelle enthält eine Ausnahmeregelung, die es ihm gestattet, Restriktionen zu umgehen - zum Beispiel die Regel, wonach der amerikanische Verteidigungsminister bestätigen muss, dass ein Land, das Guantánamo-Gefangene aufnimmt, dafür sorgt, dass die Freigelassenen in Zukunft weder die Vereinigten Staaten noch deren Verbündete bedrohen. So etwas kann kein Staat garantieren, schon gar nicht, wenn es derart vage formuliert ist. Folglich hat es Verteidigungsminister Leon Panetta ebenso wie sein Vorgänger Bob Gates immer abgelehnt, ein solches Papier zu unterschreiben. Nach dem NDAA sind jedoch Ausnahmen möglich, wenn sich das Aufnahmeland bemüht, das Gefährdungsrisiko zu verringern. Bei 86 der 166 verbliebenen Häftlinge sind CIA, FBI und Militär übereinstimmend zu dem Schluss gelangt, dass man sie freilassen kann. Der Präsident ist nicht ehrlich, wenn er behauptet, er könne nichts unternehmen.

STANDARD: Sind die amerikanischen Restriktionen nicht auch ein willkommenes Argument für potenzielle Aufnahmeländer? Sie können sich dahinter verstecken und sind so aus dem Schneider.

Farah: Auf einige Länder mag das zutreffen. Aber im Laufe der Zeit haben sich dutzende Staaten bereit erklärt, Häftlinge aufzunehmen. Ein anderes Problem ist, dass sich die US-Regierung weigert, Gefangene aus Guantánamo ins Land zu lassen, und sei es auch nur, um sie vor ein amerikanisches Gericht zu stellen. Da kann man verstehen, dass einige Länder sagen, wir nehmen keine Gefangenen oder zumindest keine zusätzlichen.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass Washington demnächst einmal in dem Punkt seine Haltung ändert?

Farah: Die Administration hat meines Wissens darüber nachgedacht - aber nur, um Häftlinge noch länger einsperren zu können. Das ist keine Lösung für das Problem Guantánamo. Nur die Adresse Guantánamos zu ändern, das ist keine Lösung. Das Problem ist der unbefristete Arrest ohne Anklage, ohne die leiseste Andeutung, wann du freikommst. Das hat verheerende psychische und physische Folgen. Die Lösung kann nur sein, dass alle Häftlinge, denen die Regierung nichts zur Last legt, auf freien Fuß gesetzt werden.

STANDARD: Man spürt, dass das Thema in der amerikanischen Öffentlichkeit kaum noch eine Rolle spielt. Woran liegt das?

Farah: Der Widerstand gegen das Lager hatte viel mit Folter zu tun, mit diesem schwarzen Loch. Das Kapitel ist abgehakt, die Haftbedingungen für die meisten - nicht für alle - haben sich verbessert. Aber wenn man dich in eine Zelle aus Stahl und Beton steckt, dich nie eines Verbrechens anklagt und dir nie sagt, wann du freigelassen wirst, dann ist das auch Folter. Die meisten Leute verstehen, was es bedeutet, wenn man dich schlägt, dich sexuell misshandelt. Was sie weniger verstehen, sind die Qualen, die du empfindest, wenn du in dieser Kiste steckst und nicht weißt, wann du sie verlassen kannst. (Frank Herrmann, DER STANDARD, 16.2.2013)