"Frau Doktor, war die Fahrt auch angenehm?", fragt Zivildiener Hashem die betagte Dame. Die Antwort der Patientin: "Bei so hübschen, jungen Burschen kann sie das ja bloß sein."

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Wien - "91 Jahre, ein schönes Alter!", sagt Maturant Arno Hashem, während er die Dame auf die Trage hievt. "Ich wünsch Ihnen nicht, dass Sie so alt werden", erwidert die betagte Frau lächelnd im schönsten Schönbrunner Deutsch. "Wobei, ich hab's jetzt vielleicht am Bein, aber bestimmt nicht am Kopf." Mit seinen ersten Patienten ist Hashem noch etwas unbeholfen, zwei Monate Ausbildung hat er hinter sich. Nun beginnt für ihn, wie für alle jungen Männer seines Alters, ein neuer Lebensabschnitt im Dienste des österreichischen Staates. Hashem ist Zivildiener, genauer: Rettungssanitäter beim Samariterbund.

Rund ein Drittel der tauglichen Wehrpflichtigen in Österreich entscheiden sich für den Zivildienst. Wie Rettungsorganisationen und andere soziale Einrichtungen nach einer Reform oder Abschaffung der Wehrpflicht arbeiten sollen und wie sich neue Systeme finanzieren könnten, ist derzeit dennoch unklar. "Wir haben nicht vor, vor der Volksbefragung dazu ein Konzept dazu vorzustellen", sagt ÖVP-Generalsekretär Hannes Rauch im Standard-Gespräch auf die Frage nach dem angekündigten ÖVP-Modell "Österreich-Dienst".

Das SPÖ-geführte Sozialministerium hingegen will diese Woche die rote Zivildienst-Alternative "freiwilliges Sozialjahr" vorstellen, erklärt Norbert Schnurrer, Sprecher von Minister Rudolf Hundstorfer - wie diese im Detail aussehen soll, müsse jedoch noch mit den Trägerorganisationen ausverhandelt werden. Das Konzept wird jedenfalls vorsehen, dass Männer und Frauen für 1386 Euro im Monat ein Jahr in einer Sozialeinrichtung arbeiten können. "Das wird sich mit dem derzeitigen Finanzvolumen nicht ganz ausgehen, aber leistbar sein", sagt Schnurrer zum Standard.

Etwa so viel, wie die "Freiwilligen" im SPÖ-Entwurf bekommen sollen, verdient Matthias Forster derzeit. Er hat vor fünf Jahren seinen Zivildienst absolviert und wurde danach hauptberuflicher Rettungssanitäter - gemeinsam mit dem "Zivi" Hashem bildet er ein vollständiges Team für einen Krankentransport. Er fährt, Ha shem sitzt hinten beim Patienten.

Erwachsenwerden

"Mit dem Zivildienst wird man erwachsen. Man lernt mit Geld umzugehen und Verantwortung zu übernehmen", sagt Forster, während er den Krankenwagen lenkt. Er hätte sich auch für ein Sozialjahr gemeldet, ist er überzeugt. Wie er bleiben viele junge Männer auch nach ihrem Zivildienst den Organisationen erhalten - beim Samariterbund wie auch beim Roten Kreuz arbeite fast jeder Zweite auch danach noch ehrenamtlich weiter. Doch in einer Studie im Auftrag des Roten Kreuzes gaben fast 90 Prozent der Befragten an, dass sie erst durch den Zivildienst erkannt haben, wie wichtig soziales Engagement ist.

Ob diese Freiwilligen also auch gefunden werden könnten, ohne dass sie den Job zuvor schmackhaft gemacht bekommen haben? "Es müssten auf jeden Fall genügend Anreize geschaffen werden", sagt Reinhard Hundsmüller, Bundesgeschäftsführer des Samariterbundes. Ihm sei auch die Abschaffung des Zivildienstes recht, solange "der Staat seine Aufgabe übernimmt und ein Äquivalent schafft".

Beim Roten Kreuz ist man anderer Meinung: Dass "Lohnarbeit die Gemeinwohlverpflichtung ersetzen soll", hält Generalsekretär Werner Kerschbaumer für sehr bedenklich. "Es gibt nur ein Modell, und das wurde nicht auf seine Tauglichkeit erprobt. Niemand garantiert, dass es mit der Ersatzvariante umsetzbar ist."

Der alten Dame, die von Ha shem und Forster für Untersuchungen in ein anderes Krankenhaus überstellt wird, ist es egal, wie der Rettungsdienst künftig organisiert wird, er muss funktionieren. "So Frau Doktor, war die Fahrt auch angenehm?", fragt sie der Zivildiener beim Ausladen der Trage. "Bei so hübschen, jungen Burschen kann sie das ja bloß sein", scherzt die Patientin - und legt sich zufrieden zurück. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 12.11.2012)