Einfacher Landpfarrer in Niederösterreich und dennoch Stachel im "Fleisch" der heimischen Kirche: Helmut Schüller ist im Frühsommer 2011 zu seiner "ungehorsamen" Mission aufgebrochen - und sorgt seitdem national und international für Aufsehen.

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STANDARD: Die Pfarrerinitiative hat neue Regeln erlassen müssen, weil sich unter den Mitgliedern mutmaßliche oder tatsächliche Kindesmissbrauchstäter fanden. Wie wird nun weiter vorgegangen?

Schüller: Wir haben drei Schritte gesetzt: Bei der Aufnahme wird geprüft, um wen es sich handelt. Bei Vorwürfen muss man bis zur Klärung die Mitgliedschaft ruhend stellen. Sollten die Vorwürfe als zutreffend betrachtet werden, verliert er die Mitgliedschaft.

STANDARD: Dafür hat man mehrere Tage gebraucht? Der Fall des Salzburger Ex-Abtes ist seit langem bekannt und stand praktisch für den Beginn der Missbrauchsdebatte in der österreichischen Kirche.

Schüller: Wir haben uns keine Zeit gelassen. Es wurde die Vorgangsweise innerhalb des Vorstands abgestimmt. Jetzt haben wir die Regelung und schauen uns die Fälle an. Aber wir nehmen uns schon zwei Dinge heraus: Sorgfalt und Respekt - auch vor Menschen, die mit Vorwürfen konfrontiert sind.

STANDARD: Der Ex-Abt ist geständig. Man hätte längst handeln können.

Schüller: Wir haben eben zuerst die Regeln gemacht. Sind wir zu langsam in Ihren Augen?

STANDARD: Ja.

Schüller: Kann man nichts machen. Wir wollten es so gründlich wie möglich: zuerst den gemeinsamen Standpunkt, dann der Umgang mit den konkreten Fällen.

STANDARD: Zu den Inhalten der Initiative: Sie haben jüngst gesagt, erst eine Kirche mit Grundrechten würde den Ungehorsam unnötig machen. Was wäre ein solches Recht aus Ihrer Sicht?

Schüller: Das Recht auf Rechenschaft der Leitenden oder das Recht, an Entscheidungen mitzuwirken, etwa in synodalen Prozessen. In den anderen christlichen Kirchen gibt es das, keine Frage. Auch in den Klostergemeinschaften wird das seit Jahrhunderten praktiziert: Äbte werden gewählt, Mönche können einen Abt aber auch wieder abwählen. Und der Abt muss für bestimmte Entscheidungen die Mönche fragen.

STANDARD: Bei den Bischofsernennungen ...

Schüller: ... braucht es ein verbürgtes Mitwirkungsrecht.

STANDARD: In Salzburg wurde das Kirchenvolk zumindest befragt.

Schüller: Das reicht nicht. Die Frage ist: Welche verbürgte Möglichkeit der Mitwirkung habe ich, kann ich einklagen? Wir haben in der Kirche keinen verbürgten Rechtsweg - weder für die Getauften noch für die Priester.

STANDARD: Kritiker Ihrer Initiative werden jetzt einwerfen, dass das wieder keine Entscheidung sei, welche die Ortskirche fällen kann.

Schüller: Es gibt kein Thema, das lokal gelöst werden kann. Nennen Sie mir ein einziges! Rom selbst bindet ja alles an sich.

STANDARD: Dann ist aber der Dialog Pfarrer/Bischöfe doch sinnlos. Und Sie müssen sich an Rom wenden.

Schüller: Wir haben dem Papst einen Brief geschrieben, und wir waren extra in Rom. Natürlich wollen wir, dass auf weltkirchlicher Ebene etwas weitergeht. Nur: Die Bischöfe haben eine Doppelaufgabe. Sie sind Vorsteher der Ortskirche, und sie sind Mitglieder der Weltkirchenleitung. Daher sind sie auch Adressaten, weil sie bei den weltkirchlichen Entscheidungen mitmischen sollen.

STANDARD: Gibt es überhaupt Gespräche mit den Bischöfen?

Schüller: Wir wären zu allen Gesprächen erschienen. Es hat nur keine gegeben. Zu den Themen der Pfarrerinitiative gibt es keine Bewegung. Ich glaube auch, dass die Bischöfe keinen gemeinsamen Standpunkt uns gegenüber haben. Das zeigt sich ja daran, dass die einen mit Sanktionen drohen und die anderen das gar nicht machen.

STANDARD: Pfarrer Peter Meidinger, viele Jahre Dechant des Dekanats Piesting im südlichen Niederösterreich, legte auf Druck Schönborns sein Amt nieder. Es ist also nicht nur bei den Drohungen geblieben.

Schüller: Es gibt zwei klar definierte Geschichten. Die eine ist: Ein Mitglied der Pfarrerinitiative kann in keiner Diözese Österreichs ein diözesanes Amt übernehmen. Das ist für uns seit ein paar Monaten gesperrt. Die zweite ist: Der Erzbischof von Wien hat angekündigt, dass er nur jene im Dechantenamt bestätigt oder Pfarrer mit dem Dechantenamt betraut, die sich von unserem Ungehorsamsappell distanzieren.

STANDARD: Wien schaltet auf hart?

Schüller: Wir haben jetzt einmal einen Fall. Man wird sehen, was passiert, wenn der nächste Dechant zur Bestätigung ansteht oder zur Neubestellung.

STANDARD: Aber in Wahrheit will die Kirchenführung das Problem mit Ihnen schlicht aussitzen, oder?

Schüller: Den Eindruck habe ich schon, aber ob es gelingt, weiß ich nicht. Interessant ist ja, dass schon unsere bloße Existenz nach wie vor Nervosität in der Amtskirche auslöst. Ein Indiz dafür ist ja, dass wir kein diözesanes Amt ausüben dürfen. Mittlerweile habe ich auch Informationen, dass päpstliche Nuntien Warnbriefe vor uns an Bischofskonferenzen anderer Länder schreiben. Ich rede hier nicht von einem Gerücht, das ist so! Auslaufen kann man aber auch nur etwas lassen, das von selbst weniger wird, wir werden aber immer mehr.

STANDARD: Nächster Streitpunkt ist die in Wien geplante Strukturreform. Wirtschaftsökonomisch gesehen ist die Sache doch klar: Weniger Personal und weniger "Kunden" bedeuten kleinere Strukturen und Bündelung der Kräfte.

Schüller: Die Kirche ist nicht der Privatkonzern des Kardinals. Die Bischöfe täuschen sich, wenn sie glauben, dass der Verzicht auf den Nahkontakt eine Besserung bringt. Noch weniger Kirchen heißt noch weniger Leute.

STANDARD: In Deutschland gab es schon längst Strukturreformen.

Schüller: Dort wird seit Jahren zusammengelegt, und was passiert: Es tritt ein, wovor man gewarnt hat - die Leute beginnen, sich zu verlaufen, die Pfarrer werden zu Großkoordinatoren, die nirgends zu Hause sind.

STANDARD: In Wien ist der Anteil der Katholiken in den letzten 20 Jahren auf unter 50 Prozent gesunken, in manchen Bezirken soll er schon unter einem Drittel liegen. Darauf muss man doch reagieren.

Schüller: Ja, aber wie! Ich würde mehr kleine Gemeinden gründen - mit Vorstehern. Mit ehren- oder teilamtlichen Menschen. Außerdem: Sitzt eine Gemeinde in Wien auf einer zu großen Immobilie, dann ist das eine Immobilienentscheidung. Dann suche ich für sie kleinere Räume und überlege, was ich mit der großen Kirche mache. Aber ich kann doch nicht Pfarrauflösungen danach entscheiden, ob eine Kirche zu groß ist!

STANDARD: Aber für die Seelsorge ändert das doch nichts.

Schüller: Werden die Pfarrer weiter weniger, dann bereitet das die Mega-Pfarre mit einem Pfarrer vor. Jetzt wohnen dann dort vier, in fünf Jahren vielleicht drei, dann einer. So gesehen sollte man gar nicht so viel in die neuen Räumlichkeiten der Priester investieren, weil die ersten zwei Wohnungen werden ohnehin schon bald wieder frei. Und dann geistert ein Pfarrer durch eine als Priester-WG geplante Immobilie. Und man soll dann ausrücken wie zu einer pastoralen Dienstleistung zu Menschen, die einen kaum kennen, die man selbst kaum kennt? Das Gespräch, das Vertrauen, die Basis, von dem das Ganze lebt, gibt's nicht mehr. So möchte ich sicher nicht Pfarrer sein.

STANDARD: Sie sehen schwarz?

Schüller: Unter diesen Umständen? Ja. Die gegenwärtige Lage ruft nach einer Reform des Priesterberufes und nicht nach Strukturreformen. Das Amt kommt ja ganz woanders her, das wurde nur vergessen, weil wir seit Jahrhunderten auf diesem System sitzen. Aus den Gemeinden gingen die Leiter hervor. Genau das war der Anfang.

STANDARD: Lange hat man Priester aus dem Ausland zugeholt ...

Schüller: ... was langsam beginnt, unmoralisch zu werden. Diese Länder brauchen immer mehr die eigenen Priester. Schauen Sie sich doch den Rückgang von Eintritten in Priesterseminaren etwa in Polen an. Pro Jahr 25 Prozent minus! Das geht sogar noch schneller als bei uns. Und dann stößt man Priester hier in Österreich in eine Situation, die mitunter sehr, sehr schwierig ist. Es gibt natürlich einige, die das alles sehr großartig machen, nur es kann nicht die Hauptstrategie sein. Wir haben in einer Reihe von Gemeinden Pfarrer, die leider nicht ausreichend Deutsch für eine Predigt können. Und ich rede nur von der Predigt. Das Um und Auf ist das Gespräch - ein Seelsorgegespräch ist ja kein Smalltalk.

STANDARD: Sie haben Kritik am Kirchenbeitragssystem anklingen lassen. Braucht es eine Umverteilung?

Schüller: Bisher baut der Beitrag darauf auf, dass die Katholiken in der eigenen Pfarre das vorfinden, was man sich von der Kirche erwarten darf. Das stellt sofort die Frage, wie das im neuen System ist. Wenn die Kirche jetzt gewissermaßen die pastoralen Handlungen konzentriert und nur mehr Fernbetreuung durch Pfarrer bietet, dann fällt ja vieles davon weg. Es wird daher eine Debatte über die Verteilung von Mitteln folgen. (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 5.11.2012)