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Der Aufgang zum Flakturm im Esterhazypark ist für eine bestimmte Gruppe gratis - aber kaum jemand weiß darüber Bescheid.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Manchmal muss man gar nicht wichtig sein. Man muss niemanden kennen. Und das Alfons Haider'sche Diktum, dass "manche Leute in diesem Land einen Ausweis brauchen - und andere ein Gesicht haben", muss auch nicht auf einen zutreffen: Mitunter kann sogar der Meldezettel zum VIP-Ausweis mutieren. Wenn man Bescheid weiß.

Aber der Reihe nach: Ich wohne in Mariahilf. Schon lange. Auch deshalb habe ich den Esterhazy-Flakturm oft auf dem Radar. Ich klettere fast so gerne wie schlecht an dem Klotz rum. Die Fische sind zum Kinderbespaßen denkbar unoriginell - aber eine sichere Bank. Und die Aussicht von oben ist genial. Seit ich mit der Ausrede "Job" im Augarten, im Arenbergpark und eben in Mariahilf auf die Türme durfte, ärgere ich mein Umfeld mit Erzählungen. Was sie versäumen, weil sie nicht ... und so weiter.

Gesperrte und offene Türme

Im Arenbergbunker kam man mit Glück (ich habe nie kapiert, nach welchen Kriterien) von der MAK-Sammlung auf die "Ohrwascheln". Ganz hinauf durften Normalsterbliche nie. Blöderweise ist der Turm "bis auf weiteres" wegen "unvorhergesehener Sanierungsarbeiten" geschlossen, sagt die MAK-Homepage. Die Augartentürme sind noch geiler - aber für das Volk noch unerreichbarer

Anders im Esterhazypark: Der Rundlauf ist Aussichtsplattform. Man muss kein Fisch-Ticket-lösen: Wer halbwegs gut zu Fuß ist, darf um vier Euro über die Nottreppe außen hinaufstapfen - und 40 Meter über dem Boden die Stadt erleben. Weiter rauf geht es bisher nicht. Das soll sich aber ändern, erzählte unlängst der Chef des Bunkeraquariums.

Weiterhin gratis?

Freilich nicht für alle: Der Direktor bedauerte, dass es aufgrund der Knüppel, die das Haus des Meeres von der Stadt mit schöner Regelmäßigkeit vor die Beine geworfen bekommt (siehe auch Ein Wiener Flakturm, der nach innen wächst), auch in Zukunft nicht möglich sein werde, nur zur Aussicht mit Rollstuhl oder Gehhilfe hinauf zu kommen: "Wir hätten, wenn wir die Außenlifte bauen hätten dürfen, natürlich auch die oberste Ebene allen Bezirksbürgern weiterhin gratis zugänglich gemacht. So geht das eben nur zu Fuß und bis zu den Ohrwascheln. Aber das bleibt so."

Ich stutzte: Was denn "weiterhin gratis" und "das bleibt so" bedeuten würden? Der Direktor wunderte sich: Es sei bekannt, dass der Besuch der Außenplattform seit langem für Mariahilfer gratis sei. "Als Dankeschön, dass die Anrainer mit Zweidrittelmehrheit unseren Aufbauwünschen zugestimmt haben." Ungeachtet der Tatsache, dass Rathaus und Magistrat alles von den Bürgern Genehmigte sukzessive unter jede Sinn- und Rentabilitätsgrenze gestutzt hätten, "gilt unser Versprechen", so der Aquariumschef.

Postleitzahlbefragung zum Ticket

Dass ich davon nie gehört hatte, konnte sich der Direktor nicht erklären: Jeder im Bezirk wisse das. Es stehe ja auch groß bei der Treppe. Das "Privilegium sechstum" ließ mir keine Ruhe: Das Schild beim Aufgang fand ich nicht - nur einen kleinen Hinweiszettel neben dem Eingang zum Haus des Meeres: Okay, ich bin oft unaufmerksam.

Also fragte ich Menschen mit meiner Postleitzahl: den Trafikanten. Den Optiker. Die Ärztin. Zwei Bezirksräte unterschiedlicher Parteien. Den Modemacher und seinen Freund. Kollegen. Freunde. Nachbarn. Lokalbetreiber. Sogar einen Fiakerkutscher und einen Fremdenführer: Davon, dass der Meldezettel ein Ticket sei, hatte keiner je gehört. "Soll ich den Zettel bei der Kassa vorlegen? Das klingt ein bissi grotesk", war eine der Antworten.

Der Meldezettel bringt's tatsächlich

Aber es funktioniert. Obwohl die Dame an der Kassa einräumte, "nicht sehr oft Meldezettel zu sehen". Doch als wir dann an einem der letzten schönen Tage auf dem Südwestohrwaschel zur Gloriette blinzelten und mitgebrachte Sushi genossen, poppte ein Verdacht auf: Was, wenn es noch 1001 ähnliche Privilegien gibt - aber niemand von ihnen weiß? Gratifikationen, für die man dann Freischwimmerausweis, das erste Volksschul-Halbjahreszeugnis, Nutella-Banderole oder Thermenwartungsrechnung vorlegen muss?

Gibt es - im Land der Schnorrer, Privilegiensammler und Schnäppchenjäger - denn nirgendwo einen Überblick über solche Vorteile? Und wenn ja: Wo? Wie googelt man sowas? Oder ist vorstellbar, dass das Haus des Meeres als Monolith der seltsamen Vergünstigungen allein auf weitem Felde steht? Das wäre schade. Schließlich birgt der Gedanke, dass ein Meldezettel tatsächlich für etwas gut sein könnte, fast etwas Tröstliches. Man müsste es nur wissen. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 18.10.2012)