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Der neue Chef der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller. Als Bischof von Regensburg war der heute 64-Jährige - trotz seiner Begabung zum leutseligen Volksbischof - schlicht eine Katastrophe.

Foto: APA/Armin Weigel

Ich glaube Folgendes: Eine laufende Filmkamera hätte weder das Auferstehungsereignis noch die Ostererscheinungen Jesu vor seinen Jüngern in Bild und Ton festhalten können. Jesu Auferstehung ist nicht die Rückkehr eines Verstorbenen in die Daseinsbedingungen des irdischen Lebensweges des Menschen.

Bevor mich jetzt irgendjemand aus meiner katholischen Kirche hinauswirft, möchte ich zu meiner Verteidigung sagen: Diese Ansicht ist deckungsgleich mit dem Dogmatik-Lehrbuch des neuen Präfekten der Glaubenskongregation.*

Gerhard Ludwig Müller ist nämlich in vielerlei Hinsicht ein moderner Theologe, der auch gleich mit einem falschen Jungfräulichkeitsmythos aufräumt. (O-Ton: "Der Inhalt der Glaubensaussage bezieht sich also nicht auf physiologisch und empirisch verifizierbare somatische Details.")

Auch sonst findet sich Erfreuliches in der Vita des neuen Großinquisitors. Er wandte sich gegen Diskriminierung von Migranten (Zitat: "Die Kirche kennt keine Ausländer"), organisierte eine Demo gegen NPD-Umtriebe und verurteilte energisch jede Art von Holocaust-Leugnung. Als Student werkte er während der Ferien als Helfer in Peru und gilt als Freund von Gustavo Gutierrez, einem der Begründer der Befreiungstheologie.

Doch dann gibt es die Schattenseiten des Zwei-Meter-Mannes. Als Bischof von Regensburg war der heute 64-Jährige - trotz seiner Begabung zum leutseligen Volksbischof - schlicht eine Katastrophe: In Missbrauchsfällen agierte er fahrlässig. Absolutistisch herrschend maßregelte er Theologen und schränkte die ohnehin schmalen Mitwirkungsmöglichkeiten der Laien ein.

Seine lieblose Wortwahl lässt ihn manchmal eher als wortgewaltigen populistischen Politiker erscheinen denn als einen Seelsorger. Die Pfarrer-Initiative nannte er schlicht "unchristlich", und zu einer Gegenveranstaltung beim jüngsten Katholikentag erklärte er: "Es kann nicht sein, dass Leute, die von sich aus nichts zustande bringen, sich an die großen Veranstaltungen dranhängen und eine parasitäre Existenzform bringen." Das ist für einen Bischof mehr als unpassend. Verständlich, dass der Theologe Hans Küng die Berufung Gerhard Ludwig Müllers nach Rom als "katastrophale Fehlbesetzung" einschätzt.

Was ist nun von dem neuen deutschen Zweigespann an der Spitze Roms zu halten? So gegensätzlich Müller und Ratzinger an äußerlicher Statur und Wortwahl sind, so sehr gleichen sie sich in ihrer zentralen Grundlinie: Beide sind sie umfassend gebildete Theologen, die das Zeug dazu hätten, die katholische Kirche in der modernen Welt ankommen zu lassen. (Oben genannte Positionen Müllers knüpfen an Ratzinger an.)

Sie würden über die theologische Kapazität verfügen, die Aussöhnung mit der protestantischen und der orthodoxen Kirche herbeizuführen. Beide haben sich aber irgendwann in ihrer Biografie (wann und warum, das wäre eine spannende Forschungsarbeit) dazu entschieden, alles einem bedingungslosen Gehorsamskult zu unterwerfen.

Die modernen Positionen wurden seither unter einen Scheffel gestellt. Mutierte Ratzinger in Rom endgültig zum Panzer-Kardinal, besteht bei Müller die akute Gefahr, zum Rottweiler des Papstes zu werden.

Kurzfristig wird sich daher aller Wahrscheinlichkeit nach die innerkirchliche Situation weiter verschärfen. Am traurigen Bild einer engen, rückwärtsgewendeten, in den Fundamentalismus abgleitenden Institution werden die Konturen schärfer gezeichnet werden.

Aber ein Hoffnungsaspekt bleibt für die Zukunft: Durch Ratzinger und Müller wurden theologische Positionen in Rom eingeschleppt, die Basis für spätere Reformen sein können. Eine so traditionsorientierte Organisation braucht nämlich immer Zitate der Vorgänger. Da bieten die Werke der beiden eine wahre Fundgrube. Für die Umsetzung braucht es dann freilich Menschen (Männer und hoffentlich bald auch Frauen), die weder so skrupulös eng wie Ratzinger noch so ungehobelt polternd wie Müller agieren - und aus dem absolutistischen Regierungsamt des Papstes ein Dienstamt machen.

PS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig. (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 9.7.2012)