Wien - In Justizkreisen herrscht Empörung über zwei im Sparpaket versteckte "überfallsartige" Maßnahmen. Richter, Gewerkschaft und Rechtsanwälte wurden von den Plänen, die Diversion und die Zuständigkeit der Bezirksgerichte auszuweiten, überrascht. Beides hätte weitreichende Folgen und bedürfe eingehender Beratung, fordern Richter-Präsident Werner Zinkl, Rechtsanwälte-Präsident Rupert Wolff und die Justiz-Gewerkschaft, diese Punkte aus dem Sparpaket herauszulösen. Wolff warnte vor einem "Super-GAU" in der Rechtsprechung.

Laut dem Entwurf von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) soll ab 1. Juli 2012 für Zivilrechtssachen die Streitwertgrenze, bis zu der Bezirksgerichte zuständig sind, von 10.000 auf 25.000 Euro erhöht werden. Als Grund nennt Karl die Aufwertung der Bezirksgerichte und einen Ausgleich der Belastungen. Denn nach der letzten Personalanforderungsrechnung (PAR) aus 2010 sind die Landesgerichte zu 121 Prozent ausgelastet, die Bezirksgerichte zu 105 Prozent. An den Landesgerichten gibt es derzeit 150,84 Richter-Planstellen für das allgemeine Zivilrecht, an den Bezirksgerichten 323,80.

"Stillstand droht"

Wird Karls Plan tatsächlich zur Jahresmitte umgesetzt, drohe ein "Stillstand in der Rechtsprechung", meinte Wolff gegenüber der APA. Gleichzeitig sollen kleine Bezirksgerichte zusammengelegt werden - was mit Vorbereitung und Übersiedlung ohnehin drei bis sechs Monate längere Erledigungsdauern bedeute. Und mit den höheren Wertgrenzen würden dann noch 42 Prozent des Zivilrechtsanfalls der Landesgerichte zu den Bezirksgerichten verschoben. Die Wertgrenzen-Erhöhung solle wohl "Druckmittel" in den Verhandlungen sein - indem man die Landeshauptleute zur raschen Zustimmung zu den Schließungen drängt, "weil sonst der Super-GAU droht".

Die "überfallsartige" Erhöhung der Wertgrenze sei organisatorisch und personell derart kurzfristig nicht zu bewältigen, stellt die Justiz-Gewerkschaft in der Begutachtung fest. Die Auswirkungen seien "überhaupt nicht bekannt" und würden im Entwurf "offensichtlich auch bewusst verschwiegen". Die letzte Erhöhung von 30.000 auf 100.000 Schilling sei sinnvollerweise in einem Stufenplan über mehrere Jahre erfolgt - und auch jetzt sei eigentlich vom Ministerium eine umfassende Vorbereitung zugesagt worden.

"Sparen kann man nichts"

Zinkl hält zwar prinzipiell eine Wertgrenzennovelle zum Ausgleich der Belastung für sinnvoll - "aber nicht in so dramatisch kurzer Frist und unausgegoren". Er fordert, "sich Zeit zu nehmen und das seriös durchzurechnen". Die neuen Wertgrenzen könnten auch erst 2013 in Kraft treten, denn "sparen kann man sich damit ohnehin nichts". Derzeit seien die Folgen nicht abschätzbar, klar sei nur, dass "der Entwurf einen Haufen Arbeit verschiebt". Deshalb müsse man die "Personalanforderungsrechnung" (PAR) neu durchführen. Die höhere Wertgrenze könnte sich auf die Zusammenlegung auswirken: "Vielleicht werden dann manche Gerichte so groß, dass sie erhalten bleiben können", merkte Zinkl an.

Breiter Widerstand gegen neue Diversion

Auf breite Ablehnung stößt der Plan des Justizministeriums, die Diversion auf Wirtschafts-, Amts- und Korruptionsdelikte auszuweiten. Gerade jetzt, wo ständig neue Korruptionsfälle bekannt werden, sei dafür ein "extrem schlechter Zeitpunkt". Es passe nicht zur "Vertrauensoffensive" der Ministerin, mit einer solchen Regelung den Eindruck zu erwecken, "da wird etwas gemacht, damit Politiker es sich richten können", stellt ÖRAK-Präsident Rupert Wolff fest.

Es entstünde der Eindruck, dass schwerer Korruptionsdelikte Beschuldigte privilegiert werden - und das sei "für das ohnehin angeschlagene Image der Justiz katastrophal", meint auch der Innsbrucker Strafrechtler Klaus Schwaighofer. Zwar wäre eine Öffnung der Diversionen prinzipiell - etwa für alle Delikte mit bis zu fünf Jahren Strafdrohung - zu begrüßen, aber die Ausweitung nur auf ausgewählte Schöffendelikte sei "rundweg abzulehnen". "Gerade in Zeiten, in denen eine härtere Gangart gegen Großkorruption angesagt ist, wäre das Absehen von einer Anklage und förmlichen Verurteilung das falsche Signal", meint auch der Innsbrucker Strafrechtler Andreas Venier in der Begutachtungs-Stellungnahme.

Die Strafrechtler, aber auch Richter-Präsident Werner Zinkl, Wolff und die Justiz-Gewerkschaft lehnen strikt ab, dass mit der "neuen Diversion" ein Verfahren auch beendet werden kann, wenn der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt ist. Voraussetzung soll sein, dass der Beschuldigte die Opfer entschädigt und den Schaden wieder gutgemacht hat. Es stelle sich aber die Frage, wie der Staatsanwalt dann den zu erwartenden Schaden abklären soll. "Wonach bemisst der Staatsanwalt den Schaden z. B. einer 'noch nicht hinreichend geklärten' Untreue?", fragt Venier. (APA)