Alena Krempaska: "Wer in den vergangenen zehn Jahren in der Politik war, muss von den Vorgängen gewusst haben."

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Demonstration am 3. Februar vor einem Regierungsgebäude im Zentrum Bratislavas, im Vordergrund Alena Krempaska.

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Der Gorilla muss hinter Gitter, fordert dieser Demonstrant.

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Tausende strömten auf den zentralen SNP-Platz, dessen Name an die slowakische Volkserhebung erinnert.

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Es ist ungewöhnlich leise am Hviezdoslavovo námestie in Bratislavas Altstadt an diesem Donnerstagmittag. Dichter Schneefall erstickt die Stimmen und Schritte der Passanten. Nur im Studentenbeisl herrscht jetzt, zur Stoßzeit, hektische Betriebsamkeit. Alle paar Minuten läutet Alena Krempaskas Blackberry. Alles sei so schnell gegangen, sagt sie. Und klingt, wenn sie über die vergangenen Wochen spricht, wie eine Historikerin, die über längst vergangene Zeiten räsoniert. "Man hat immer gedacht, die Slowaken seien eine passive Nation, die nie streikt und nie auf die Straße geht. Dass das nicht stimmt, haben wir auf jeden Fall bewiesen", sagt sie und nimmt einen Bissen vom vegetarischen Mittagsmenü.

Dabei sind die Tage, auf die sie anspielt, kaum drei Wochen her. Die 23-Jährige Studentin der Internationalen Beziehungen ist das Gesicht der sogenannten Gorilla-Proteste und Wortführerin der slowakischen Variante des Wutbürgers. Der Name der Bewegung rührt von einem Codenamen her, den der slowakische Geheimdienst 2005 für eine Abhöraktion gegen mutmaßlich korrupte Spitzenpolitiker und die Begehrlichkeiten einer Investorengruppe namens Penta ersann. Ruchbar wurde die Affäre erst, als eine Abschrift des Lauschangriffs im vergangenen Dezember im Internet auftauchte. Und ein System des Filzes offenbarte, das nahezu alle politischen Lager umfasste. "Alle wussten, dass diese Affäre irgendwann bekannt wird", sagt Krempaska, "aber jetzt kann jeder die Namen der Politiker nachlesen." Was Krempaska und ihresgleichen fordern? "Die Gorillas, die unsere Bananen essen, müssen verschwinden", sagt sie. 

"Kauza Gorila"

Des Volkes Zorn manifestiert sich jetzt, drei Wochen vor der Parlamentswahl, vor allem auf der Straße - 30.000 Menschen haben nach Angaben der Organisatoren vor zwei Wochen landesweit demonstriert - und in den sozialen Netzwerken, allen voran Facebook. Dort ist die "Protest Gorila"-Bewegung, so wie alle Bürgerbewegungen der jüngsten Zeit, auch entstanden. "Ein paar Leute, vor allem Studenten, haben auf Facebook über die Affäre diskutiert und überlegt, ob man dagegen nicht auf die Straße gehen muss. Das Ergebnis war, dass 5.000 Menschen zu der Kundgebung gekommen sind." Mehr als 12.000 "Likes" hat die Seite Kauza Gorila unterdessen gesammelt. Krempaska, die ein Studienjahr an der renommierten Universität Science Po in Paris absolviert hat und heute bei einer Anti-Rassismus-Organisation arbeitet, übernahm die Pressearbeit. Nach den ersten Erfolgen der Bewegung wuchs der Druck auf die Organisatoren, "jeder wollte mitreden und auf dem Podium stehen", schlaflose Nächte folgten. Als linke Bewegung will Krempaska die Proteste nicht verstanden wissen - auch wenn sie selbst sich durchaus als Linke versteht. "Wir wurden alle viel zu lange belogen."

Die Forderungen der Demonstranten sind schnell aufgezählt: Aufklärung der Gorilla-Affäre, Rücktritt der involvierten Politiker, Durchleuchtung der Parteifinanzierungen. Aber eigentlich gehe es mittlerweile um viel mehr, sagt Krempaska und reiht sich in den Chor der #occupy-Bewegung ein, der seit Wochen schon landauf, landab erschallt: "Wir wollen mehr soziale Gerechtigkeit und nicht acht Stunden am Tag für einen Hungerlohn arbeiten, während es sich die alten Eliten bequem richten."

Kurz vor Parlamentswahl

Das politische System in dem 5,5-Millionen-Einwohner-Land scheint jedenfalls nachhaltig erschüttert. Die Christdemokraten von Ministerpräsidentin Iveta Radicova und Parteichef Mikulas Dzurinda, der von 1998 bis 2006 Regierungschef war und im Mittelpunkt der Gorilla-Affäre steht, könnten Umfragen zufolge unter die Parlamentshürde von fünf Prozent fallen. Zwar darf Dzurindas Nachfolger Robert Fico mit seiner sozialdemokratischen Smer-Partei auf eine satte Mehrheit hoffen, aber auch der damalige Oppositionschef wird in den Gorilla-Akten genannt. Die wirklichen Profiteure der Aufdeckung der Affäre dürften andere sein. Eine Gruppierung namens "99%" kommt in den Umfragen auf fast sieben Prozent, die "Partei der gewöhnlichen Leute", eine Abspaltung der marktradikalen SaS-Partei, auf neun. Krempaska glaubt ihnen allen nicht. "Wer in den vergangenen zehn Jahren in der Politik war, muss von den Vorgängen gewusst haben." (flon, derStandard.at, 17.2.2012)