Die Psychotherapeutin und Gruppenpsychoanalytikerin Elisabeth Vykoukal bietet an der Sigmund Freud Privat Universität Wien Therapiemöglichkeiten für Messies.

Foto: Elisabeth Vykoukal

Zeitschriften, Videokassetten, Kleidung, Wein, Schuhe, Fotos: Wenn einem die Dinge über den Kopf wachsen und das Messie-Symptom zum Thema wird, kann man sich an die Psychotherapeutin und Gruppenpsychoanalytikerin Elisabeth Vykoukal wenden, die an der Sigmund Freud Privat Universität Wien Therapiemöglichkeiten für Messies anbietet.

derStandard.at: Wann ist man ein Messie? Wie kann man feststellen, ob man betroffen ist?

Elisabeth Vykoukal: Es gibt mehrere Faktoren, nach denen man das beurteilen kann: Die Wohnung ist nicht mehr funktional, das heißt, man kann gar nicht mehr oder nur unter großer Anstrengung das Bett, das Bad, die Küche, die Toilette benutzen. Man kann manche Räume nicht mehr betreten oder die Eingangstür kaum öffnen. Man kann keine Freunde einladen, man kann dem Arzt oder Handwerkern keinen Zutritt gewähren.

Man hat zu viele Dinge, ist ständig mit Ordnen, Suchen, Transportieren beschäftigt, Wichtiges wird nicht gefunden. Man macht ein Geheimnis aus seinem Sammelverhalten und aus dem Zustand der Wohnung, man findet Ausreden, wenn jemand zu Besuch kommen will.

derStandard.at: Wie wird man zum Messie?

Vykoukal: Allgemein kann man sagen, eine Kombination von individueller Veranlagung, sozialer Lage und persönlichen Lebensumständen ist die Grundlage, auf der wir den Herausforderungen unseres Lebens begegnen. Wenn unsere äußeren Lebensumstände ausreichend gut sind und wenn unsere individuelle Veranlagung widerstandsfähig ist, können wir Schwierigkeiten und Schicksalsschläge unseres Lebens bewältigen und gesund bleiben.

Wenn die äußeren Bedingungen bedrohlich und traumatisierend sind oder wenn wir selbst besonders empfindsam sind, können wir mit psychischer Erkrankung reagieren. Auch die psychische Erkrankung ist eine Form der Bewältigung einer belastenden Lebenssituation, selbst wenn sie mit Leiden verbunden ist.

derStandard.at: Warum wird der eine depressiv, der andere drogensüchtig und wieder ein anderer ein Messie?

Vykoukal: Es kommt immer auf die individuelle Lebensgeschichte an. Man kann eine individuelle Erklärung finden, aber keine allgemeine, warum ein Mensch eine bestimmte psychische Störung entwickelt. Viele Betroffene sagen, sie haben in der Kindheit nie genug gehabt, sie hatten keine eigenen Sachen, sie hatten zu wenig Raum, die Mutter hat ihnen alles weggeräumt oder auch weggeworfen. Bei vielen beginnt es auch mit Beziehungsverlust: Scheidung, Tod des Partners, Tod eines Kindes oder der Eltern.

Manche Leidende wollen diese Geschichte herausfinden, andere wollen nur ihr Leid beenden. Eine Grundlage für psychische Störungen sind immer auch gestörte Beziehungen: Diese Störungen entstehen, wenn es nicht möglich ist, vertrauensvolle Beziehungen zu entwickeln, oder wenn bestehende Beziehungen zerbrechen: Es kann sein, dass man in belastenden Lebenssituationen allein gelassen oder nicht unterstützt wird, es kann sein, dass man betrogen, gedemütigt oder misshandelt wird.

derStandard.at: Ist das Messie-Syndrom tatsächlich mit dem medial verbreiteten Bild von verrottenden Lebensmittelbergen, Chaos, Müll verbunden?

Vykoukal: Viele Extremsituationen, die in den Medien gezeigt werden, sind eher als Vermüllung zu bezeichnen. Die Messies, die ich kennengelernt habe, leben nicht so, auch wenn sie zu viele Dinge haben und vielfach eingeschränkt sind im Alltagsleben.

derStandard.at: Das Messie-Syndrom wird erst seit ein paar Jahren gesellschaftlich thematisiert. Hat es immer schon Messies gegeben? Und gibt es sie auch in anderen Kulturkreisen?

Vykoukal: Dass ein Mensch ohne Dinge nicht existieren kann, ist eine Tatsache. Wir beseelen die Dinge auch, haben einen besonderen Bezug zu ihnen. Ich denke, es ist zeit- und kulturunabhängig, dass jeder Dinge hat, die er nicht missen will. Die Dinge können eine Erweiterung unseres Selbst sein.

Es kann passieren, dass der Besitz von Dingen irgendwann zur Not wird oder sich zu einer Störung des Alltagslebens wandelt. Zum Beispiel in der Geschichte vom König Midas: Er macht die Dinge seiner Umgebung zu Gold, dann sind sie zwar wertvoll, aber er kann sie nicht mehr gebrauchen. Er lebt im Überfluss, aber der Wert der Dinge für sein persönliches Leben geht verloren.

derStandard.at: Gibt es Zahlen, wie viele Menschen in Österreich betroffen sind? Gibt es eine Zunahme an Messies? Oder ist das Gegenteil der Fall? Wir leben ja sowohl in einer Konsum- als auch in einer Wegwerfgesellschaft, was beinhaltet, viel zu kaufen, sich aber auch leicht zu trennen.

Vykoukal: Leider gibt es keine verlässlichen Zahlen. Das öffentliche Interesse an dieser Störung scheint zuzunehmen. Auch Angehörige und professionelle Helfer - Sozialarbeiter, Sachwalter, Pflegepersonal - wenden dem Umgang mit Dingen mehr Aufmerksamkeit zu.

Auch die Betroffenen selbst erfahren manchmal durch die Medien, dass ihr Leiden einen Namen hat und dass es auch andere gibt, denen es ähnlich geht wie ihnen. Mich haben immer wieder nach Medienberichten Menschen kontaktiert, die gesagt haben: "Ich habe Ihr Interview gelesen - ich glaube, ich bin auch ein Messie."

derStandard.at: Was bietet die Sigmund Freud Privat Universität Wien für Messies?

Vykoukal: Messies haben hier die Möglichkeit, die kostenlose Selbsthilfegruppe zu besuchen, in Einzeltherapie zu gehen, eine Kunstgruppe zu besuchen und Hilfe zu Hause in Anspruch zu nehmen. Einige der Messies nutzen das gesamte Therapieangebot, weshalb wir manchmal den Eindruck haben, sie sammeln Therapien.

Die Messies, die zu uns in die Gruppe oder in Einzeltherapie kommen, lassen, sobald sie ihr Haus oder ihre Wohnung verlassen, alle materiellen Dinge, die sie belasten, hinter sich. Deshalb geht es ihnen hier oft recht gut. Der Leidensdruck verstärkt sich wieder mit ihrer Rückkehr in die Wohnung. Deshalb führen Studenten im Zuge ihrer Praktika auf Wunsch der Patienten auch kostenlose Hausbesuche durch. Oft ist es der erste Schritt zu einer Änderung des Sammelverhaltens, einen fremden Menschen in die eigene Wohnung zu lassen.

derStandard.at: Nach dem Besuch der Selbsthilfegruppe in der Sigmund Freud Privat Universität sagte ein Betroffener: "Wir haben das Muster des Mangels mit in die Überflussgesellschaft genommen." Wie denken Sie darüber? Wie kann man so ein Muster durchbrechen oder ablegen?

Vykoukal: Wenn man von Überflussgesellschaft spricht, dann ist das eine Verallgemeinerung und trifft nicht auf jeden so zu und auch nicht in allen Situationen. Manche leben im Überfluss und manche in Not, von manchem haben wir zu viel und anderes fehlt uns. Es ist wichtig, auf den Einzelnen und die konkrete Situation zu schauen.

Es kann sein, dass die vielen Dinge dazu da sind, die Not zu verbergen. Die Dinge sind aufgetürmt und beschäftigen uns und bewahren uns vor der Wahrnehmung unserer Verlassenheit. Die Dinge können nicht die Menschen ersetzen, die wir verloren haben, die uns verlassen haben, die wir nie kennenlernen konnten. Die Dinge können auch nicht die Erfahrungen ersetzen, die wir nicht machen konnten, das versäumte Leben nicht ausgleichen. Ich denke, Messies hängen oft an dem, was nicht vorhanden ist, was nicht geschehen ist, und bemerken nicht, was sie tatsächlich besitzen und wer sie sind.

derStandard.at: Wie kann eine Therapie für Messies vor sich gehen?

Vykoukal: Jede Psychotherapie geht von der konkreten, aktuellen Situation des Patienten aus und von der Tatsache, dass der Patient bereit ist, andere an dieser Situation teilhaben zu lassen. In der Einzeltherapie ist das der Psychotherapeut und in der Gruppentherapie oder in der Selbsthilfegruppe sind das auch alle anderen Teilnehmer. Die Beteiligung von anderen gibt eine neue Perspektive auf die Situation und bewirkt so Veränderung.

Bei einigen Patienten hat sich gezeigt, dass sie, wenn es um die Veränderung der Wohnung und die Ordnung der Sammlungen geht, Hilfe vor Ort brauchen. Diese Hilfe ist weniger eine Hilfe bei Anpacken und Aufräumen, mehr eine Hilfe der Anwesenheit, der Zeugenschaft: Es hilft, wenn man in den Augen des Besuchers sieht, wie die Wohnung oder die Sammlung erlebt wird.

derStandard.at: Gibt es Heilung? Oder müssen Messies lernen, möglichst gut damit zu leben?

Vykoukal: Auch das lässt sich nicht verallgemeinern. Es gibt Menschen, die sich als geheilte Messies bezeichnen und diese Lebensform hinter sich gelassen haben. Es gibt andere, die immer wieder daran arbeiten, manchmal besser, manchmal schlechter damit zurechtkommen. Ich lerne ja nur die kennen, die damit beschäftigt sind und nach Möglichkeiten der Bewältigung suchen, und ich bewundere immer wieder ihre Ausdauer und ihre Beharrlichkeit und auch ihre Fähigkeit, mit Rückschlägen umzugehen. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 16.2.2012)