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Massentrauer in Pjöngjang: Tausende beweinten den Tod Kim Jong-ils.

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Der plötzliche Herztod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-il am Samstag, der 48 Stunden geheim gehalten wurde, hat die gesamte asiatische Region von Südkorea bis Japan in Alarmstimmung versetzt. Südkoreas Militär ordnete die Beobachtung der Grenzen des aggressiven Nachbarn an, der wiederholt Angriffe verübt hatte. Die Armee wurde in Alarmbereitschaft gesetzt. Präsident Lee Myung-bak versammelte den Nationalen Sicherheitsrat zur Krisensitzung und rief die Südkoreaner auf, Ruhe zu bewahren. Ein nordkoreanischer Raketentest vom Montag - Pjöngjang ließ Kurzstreckenraketen ins Japanische Meer abfeuern - stehe nicht im Zusammenhang mit dem Tod Kims.

US-Präsident Barack Obama versicherte laut Weißem Haus Südkoreas Präsident am Telefon, dass die USA Seoul zur Seite stehen. In Tokio tagte der Sicherheitsrat.

Die Nachfolge von Kim senior steht fest. Sein Sohn Kim Jong-un (28) soll ihn politisch beerben. Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA schrieb, dass die "Koreanische Revolution von Kim Jong-un angeführt wird" . In einem Kommuniqué des ZK der Arbeiterpartei, der beiden Militärkommissionen des Landes und des Präsidiums von Nordkoreas sogenanntem Parlament wurden alle Parteimitglieder und Militärs zu "Treue und Loyalität" gegenüber dem "verehrten Genossen" aufgerufen.

Zehn Tage Staatstrauer

Nordkorea, das seit 2006 mit einem unterirdischen Atomtest seinen Anspruch, Atommacht zu sein, demonstrierte, ordnete Staatstrauer vom 19. bis 29. Dezember an. Dem Trauerkomitee gehören 200 der höchsten Repräsentanten aus Armee und Regierung an. Den Vorsitz hat der Sohn. Das Staatsbegräbnis wird am 28. Dezember in Pjöngjang stattfinden. Ausländische Staatsgäste werden nicht eingeladen. Der Leichnam Kims wird im Kumsusan-Mausoleum in Pjöngjang zur Abschiednahme der Bevölkerung aufgebahrt. In dem gigantischen Mausoleum liegt auch die in einem gläsernen Schrein aufbewahrte, einbalsamierte Leiche seines Vaters.

Chinas und Japans Regierungen kondolierten nach wenigen Stunden Nordkorea zur Todesnachricht. Die Nachrichtenagentur Xinhua hatte als Erste Montagvormittag die von Nordkoreas KCNA bekanntgegebene Todesnachricht weitergemeldet. Demnach war der Diktator, der seine 24 Millionen Untertanen mit eiserner Faust regierte, auf einer Zugreise am Samstag um 8.30 Uhr an physischer Erschöpfung und Stress kollabiert. "Er starb durch große mentale und physische Anstrengung auf einer Inspektionstour durchs Land." Um Gerüchten eines Attentates zuvorzukommen, gab KCNA erstmals bekannt, dass Kim, der im August 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte, seit "langer Zeit in medizinischer Behandlung wegen seiner Herzerkrankungen war. Er erlitt einen akuten Herzinfarkt."

Der Tod des Führers wurde in Nordkorea beinahe theatralisch betrauert. Kim wäre am 16. Februar 70 Jahre alt geworden. Er bereitete gerade pompöse 100-Jahr-Feiern zum Geburtsjubiläum seines Präsidentenvaters Kim Il-sung vor. Mit dessen Geburtstag beginnt die Saga von Nordkoreas Familiendynastie.

Peking tappt im Dunkeln

Pjöngjangs wichtigster politischer und wirtschaftlicher Verbündeter ist die Volksrepublik China. Kim besuchte sie seit 2000 siebenmal, seit Mai 2010 allein dreimal. Doch auch für Chinas Nordkorea-Experten kam die Todesnachricht unerwartet. "Auch wir tappen meist über die Vorgänge beim Nachbarn im Dunkeln" , sagt der Nordkorea-Experte an der Parteihochschule Zhang Liangui.

Kim junior ist ein unbeschriebenes Blatt. Er war offiziell noch auf keiner der Reisen des Vaters nach China und nach Russland dabei. Der einzige ausländische Politiker, der den Sohn mit dem Vater zusammen traf, war Zhou Yongkang, Chinas oberster Sicherheitsfunktionär. Er war Ehrengast bei der nordkoreanischen Militärparade Ende 2010, wo Vater und Sohn den Aufmarsch beobachteten.

"Können nur spekulieren"

Zhang, der einst in Pjöngjang studierte und heute zu Chinas kenntnisreichsten Nordkorea-Experten zählt, sagt: "Wir kennen viel zu wenige Tatsachen, um uns ein Urteil über Kim Jong-un zu machen, wissen nicht, wofür er steht und vor allem nicht, wie stabil die Lage unter seiner Führung bleibt." Dabei gehe es vor allem um Innenpolitik und die Armee. "Wir können da nur spekulieren" .

Nordkorea gehört zu den intransparentesten Ländern der Welt. Das ist es auch für China, obwohl Peking mit Öl und Nahrungsmittel-Hilfen zum wichtigsten Energie- und Notversorger Nordkoreas und mit 3,5 Mrd. Dollar 2010 größter Handelspartner wurde.

Stratege Zhang verhehlt nicht, wie besorgt Peking über die undurchsichtige Gemengelage ist. Auch der pensionierte ehemalige Parteisprecher und außenpolitische Forscher Wu Xingtang warnt, dass Nordkorea vor einer Versorgungskrise mit Getreide im Winter steht. Vater Kim sei dabei gewesen, mit Reformen nach Art von China in Nordkorea zu experimentieren. "Wird der Sohn das weiterführen wollen und können?" , fragt sich Wu.

Das Gleiche gilt für die seit 2009 versandeten Sechs-Parteien-Gespräche, um die koreanische Halbinsel atomwaffenfrei zu machen. "Alles ist möglich" stimmt Zhang zu. Nordkorea sei jedoch ein zu kleines Land, um Chaos außerhalb seiner Grenzen auslösen zu können. Weil es den Kalten Krieg nicht mehr gebe, könnten selbst im Inneren ausbrechende Wirren nicht mehr zum Zunder für weltpolitische Konflikte werden. Die Experten verfolgen nun, wie die Trauerfeiern ablaufen, um daraus Schlüsse zu ziehen, wie fest Kim im neuen Sattel sitzt.

Auch die Atomenergiebehörde IAEO gab sich Montag betont vorsichtig: "Es ist zu früh, um abschätzen zu können, welche Implikationen der Tod Kims haben wird" , hieß es auf Anfrage des Standard. Die IAEO hat seit 2009 keine Einsicht mehr in die nordkoreanischen Anlagen erhalten.

Hunderte Verhaftungen

Amnesty International hat nach eigenen Angaben Hinweise, dass die nordkoreanische Regierung bereits am Montag politische Säuberungen durchführen ließ. Hunderte von Beamten seien hingerichtet oder in Straflager verbannt worden, weil sie eine Bedrohung für die Nachfolge durch Kim Jong Un darstellten.

Bereits als sein nun verstorbener Vater 1994 ins Amt kam, seien als Gegner wahrgenommene Menschen und deren Familien zu Zehntausenden in Straflager gesteckt worden. Politische Konkurrenten seien zudem in Geheimverhandlungen oder auch in Schauprozessen verurteilt und darauf hingerichtet worden. (DER STANDARD Printausgabe, 20.12.2011)