Das "Top-Lokal" wird vom AMS gefördert. Langzeitarbeitslose sollen so den Weg zurück in den Arbeitsmarkt finden.

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Elisabeth Schügerl (rechts), Geschäftsführerin: "Wir begleiten sie, damit sie nicht sechs Monate bei uns bleiben, sondern schon früher in ein geregeltes Arbeitsverhältnis übergehen."

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Küchenchef Lukas Proyer sagt über seine Mitarbeiter "Wir züchten keine Wirtshausabwäscher, wir lernen gute Hilfskräfte an und es kommen richtig gute Leute dabei raus."

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Der berühmte Gugelhupf.

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Philipp Schultes war seit zwei Jahren arbeitslos und von seinem Nichtstun zunehmend frustriert. Jetzt arbeitet er seit zwei Monaten im "Top-Lokal" in Wien, ein sozialökonomischer Betrieb, der es sich zur Aufgabe gemacht hat Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Beim Arbeitsmarktservice (AMS) war er eine Nummer und hat sich "nur verwaltet" gefühlt, im "Top-Lokal" hat er einen Namen. Seine neuen Aufgaben mag er, auch wenn er in der Gastronomie davor noch keine Erfahrungen gemacht hat. "Ich glaube, ich habe Talente, die auch hier von Nutzen sein können..." "Die von Nutzen sind", unterbricht ihn Geschäftsführerin Elisabeth Schügerl. "Herr Schultes ist ein Kommunikationstalent, er stellt viele Kontakte her."

Vom AMS gefördert

Von außen ist das "Top-Lokal" ein Restaurant am Fleischmarkt, tritt man ein, merkt man, dass es mehr ist. Seit Juni vergangenen Jahres gibt es die Kooperation des AMS mit dem Betreiber "Die Berater". Geschäftsführerin Elisabeth Schügerl erklärt, dass das Lokal kein Ausbildungsbetrieb ist. "Wir machen eine Art Auffrischung der Ausbildung und in den meisten Fällen eine Weiterbildung."

Bis zu 45 Transitarbeitskräfte arbeiten hier, hinzu kommen zehn Menschen im Arbeitstraining. In vier verschiedenen Sparten können sich die Neo-Angestellten engagieren: In der Küche und im Servicebereich im Lokal am Fleischmarkt, im Catering oder auch im Büro. Zusätzlich gibt es eine fixe Crew von Schlüsselarbeitskräften - dazu zählen die Geschäftsführerin, Küchenchef und Küchenleiter, zwei Serviceleiter und eine Sozialpädagogin.

Beschäftigung für maximal sechs Monate

Einer der 45 Transitarbeitskräfte ist Philipp Schultes. Der 31-Jährige versteht sich nicht als typischer Arbeitsloser. Er hat Matura und hat danach in verschiedenen Bereichen gearbeitet. Zuletzt war er im Vertrieb eines Kosmetikunternehmens tätig. Dann hatte er plötzlich Zeit. Eigentlich hätte es jeden treffen können. Am Anfang war er noch zuversichtlich bald wieder einen Job zu finden, mit den Monaten wurde er realistischer und hat es nicht mehr persönlich genommen, eine Absage zu bekommen. Er sagt Sätze wie "Ich bin in einer Situation in der ich niemals sein wollte." Oder: "Wie kommt es, dass jemand in meinem Alter, mit meiner körperlichen Verfassung, zwei Jahre arbeitslos ist?" Und: "Meistens bekomme ich nicht einmal die Chance auf ein Vorstellungsgespräch." Hier könne er mehr bewegen, als wenn er sich "vom AMS von einem Kurs zum anderen tragen" lasse.

Wolfgang Richter ist beim AMS für sozialökonomische Betriebe zuständig. "Es ist das Ziel mit zeitlich begrenzter Beschäftigung und persönlicher Betreuung, den Transit aus der Arbeitslosigkeit über Arbeit im Projekt zum Arbeitsmarkt zu schaffen." Die Mitarbeiter des "Top-Lokals" sollen schon während ihrer Tätigkeit einen Job am ersten Arbeitsmarkt finden. Sechs Monate dürfen die Klienten maximal im Betrieb arbeiten. Der Übergang vom dritten in den ersten Arbeitsmarkt soll keine Flucht nach vorne sein "Sie sollen in ein langfristiges, nachhaltiges Arbeitsverhältnis einsteigen, wo sie bleiben können und das Umfeld passt."

Verantwortungsgefühl kommt zurück

Das Konzept sei der "arbeitsmarktfernsten Zielgruppe" also Langzeitarbeitslosen gewidmet, daher sei die persönliche Betreuung entscheidend. "Wir begleiten sie, damit sie nicht sechs Monate bei uns bleiben, sondern schon früher in ein geregeltes Arbeitsverhältnis übergehen", so Schügerl. "Wir haben auch Menschen mit persönlichen Problemen, für sie ist das Gefüge im Restaurant sehr wichtig. Die anderen motivieren sie und nehmen sie mit. Der Gedanke, 'ich werde gebraucht und ich lasse die anderen im Stich, wenn ich nicht arbeiten komme' spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie bekommen ein Verantwortungsgefühl zurück."

Die Rückmeldungen der ehemaligen Arbeitskräfte sind sehr positiv, vor allem im Hinblick auf die Sinnhaftigkeit der Arbeit. "Da gibt es etwas zu tun. Der Umstand, dass man wieder in einem Dienstverhältnis steht und Entgelt bezieht", sagt Wolfgang Richter.

Sozialpädagogische Betreuung nach Dienstverhältnis

Auch nach dem Arbeitsverhältnis im "Top-Lokal" haben die ehemaligen Mitarbeiter die Möglichkeit auf Betreuung. Dazu ist der Trägerverein verpflichtet. Viele Ehemalige machen auch Gebrauch davon, in den meisten Fällen wollen sie "erzählen, was sie in der Zwischenzeit erreicht haben".

Ein Mitarbeiter war im Team und bei den Gästen dafür bekannt, hervorragenden Gugelhupf zu backen. "Als er weg war, ist es uns nicht mehr gelungen, einen so guten Gugelhupf zu machen. Bei einem Besuch haben wir ihm davon erzählt. An seinem nächsten freien Tag ist er gekommen und hat vier Gugelhupf gebacken", erzählt Elisabeth Schügerl lächelnd von ihrem ehemaligen Schützling.

"Aus einem Schlosser wird kein Koch"

Dass das Konzept funktioniert, bestätigt der Küchenchef Lukas Proyer. Er strahlt Gelassenheit aus, seine Arbeit macht ihm Spaß. "Aus einem Schlosser wird kein Koch", sagt Proyer, während er die letzten Vorbereitungen vor dem Abendgeschäft trifft. Es gebe natürlich Unterschiede zum normalen Küchenbetrieb, aber er ist davon überzeugt "wir züchten keine Wirtshausabwäscher, wir lernen gute Hilfskräfte an und es kommen richtig gute Leute dabei raus."

In der Küche des "Top-Lokals" wird viel Wert auf den Umgangston gelegt, "es geht sehr viel über menschliche Beziehungen. Bei uns in der Küche herrscht kein diktatorischer Ton. Es rennt gemütlich und locker, ich versuche zu den Leuten einen Draht zu finden." 

Philipp Schultes ist in der Zwischenzeit schon aufgebrochen, er musste zu einem Vorstellungsgespräch. Er möchte nicht mehr abhängig sein. "Das ist gegen meine Einstellung", sagt er im Gehen. "Durch mein Tätigkeit im 'Top-Lokal' bin ich jetzt wieder Steuerzahler", fügt er nicht ohne Stolz hinzu. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 12.10.2011)