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Nationalratspräsidentin Prammer mahnt zur Eile.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) will nicht mehr zuwarten: Zum ersten Mal in der Geschichte sei man knapp vor dem Ziel, die Opfer des Austrofaschismus zu rehabilitieren: "Das ist mir wichtig. Wie waren noch nie so weit wie jetzt." Prammer räumte am Dienstag zwar ein, "dass noch so manches offengeblieben ist". Bei allem Verständnis für Kritik solle man jedoch nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, appellierte sie.

Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser hatte im Standard- Interview (Dienstagsausgabe) den von SPÖ und ÖVP vorgestellten Gesetzesentwurf als unzureichend bezeichnet und erklärt, dass seine Partei den von den Regierungsparteien angestrebten gemeinsamen Antrag ablehnt. Die Grünen stört, dass im Gesetzestext nur "Mitgefühl" für die Opfer des Dollfuß-Regimes ausgesprochen werde, es fehle das Wort "Austrofaschismus" - ebenso wie eine Klarstellung, dass es sich um Unrecht handelte. Steinhauser will einen entsprechenden Passus im Gesetz festgeschrieben sehen.

ÖVP-Verhandler und Zweiter Nationalratspräsident Fritz Neugebauer versteht die Kritik nicht. Er hält die Türe zu den Grünen weiter offen. "Im Zuge des parlamentarischen Prozesses ist bis zur Beschlussfassung immer die Möglichkeit für Gespräche gegeben", sagt Neugebauer zum Standard. Noch im Oktober soll das Gesetz laut Plan im Nationalrat beschlossen werden.

Neugebauer sieht die Wünsche der Grünen auch in der Antragsbegründung erfüllt. In dieser ist nämlich von der "Zeit nach Außerkraftsetzung des Parlamentarismus in Österreich" die Rede.

Austrofaschismus-Experte und Politologe Emmerich Tálos erwarte sich vom Regierungsentwurf, dass "auch das Unrechtsregime beim Namen genannt wird". Tálos sieht vor allem die Volkspartei gefordert. "Die ÖVP ist in der Bredouille. Wenn sie die Opfer benennt, muss sie auch erklären, warum es diese gab. Sie muss auch erklären, wieso es in diesem System möglich war, dass Menschen für ihr Eintreten für Demokratie und Freiheit eingesperrt wurden, ihr Leben verloren und ihre Familien die Lebensgrundlagen einbüßten", erklärt Tálos im Standard-Gespräch. "Die ÖVP muss über ihren Schatten springen und den Charakter des Herrschaftssystems benennen."

Außerdem, findet der Politikwissenschafter, gehöre das Dollfuß-Bild aus dem VP-Parlamentsklub entfernt: "Eine Partei, die für Demokratie eintritt, kann doch nicht ein Bild jener Person hängen lassen, die hauptverantwortlich für die Ausschaltung der Demokratie war."

"Verdrängt und tabuisiert"

Warum auch nach mehr als siebzig Jahren der politische Diskurs so belastet ist, erklärt der Politologe damit, dass SPÖ und ÖVP nach 1945 "die Phase 1933 bis 1938 schlicht verdrängt und tabuisiert haben, um die konträren Sichtweisen nicht zu einem Stolperstein der Großen Koalition zu machen". Der Umgang mit dem Austrofaschismus war "wesentlich durch Pragmatismus" geprägt - und ist es auch heute noch.

An die SPÖ adressiert sagt Politologe Tálos: Es sei "schon äußerst merkwürdig, dass gerade die Partei, welche die Opfer des Austrofaschismus immer wieder ins Blickfeld gerückt hat, eigentlich dermaßen defensiv agiert hat".(Peter Mayr, DER STANDARD, Printausgabe, 28.9.2011)