Annamária Láng und János Derzsi als die weniger schrecklichen Aufpasser der jungen, dem Pornobusiness ausgelieferten Frauen in einem Lkw irgendwo im Osten.

Foto: Márton �?gh

... lehrt in zwei gestrandeten Lkws Europapolitiker das Fürchten.

Wien - Mit seinem ersten Festwochen-Gastspiel 2009, Das Frankenstein-Projekt, hat sich der ungarische Filmregisseur Kornél Mundruczó in die vordersten Reihen des internationalen Theaterbetriebs gehievt. Während der 36-Jährige mit seiner eigenen Produktionsfirma in Budapest Filme macht und mit einigen davon auch in Cannes vertreten war, fährt das Theaterpublikum auf dessen Quereinsteiger-Qualitäten ab. Seine wenigen, allerdings nachhaltig begeisternden Bühnenarbeiten erwachsen wie Improvisationsstücke, in denen der Regisseur wie ein Cutter agiert, also das aufgetürmte Material ordnend arrangiert.

Wie Castorf, nur kälter

Das sieht dann aus wie bei Castorf, fühlt sich allerdings noch ein paar Grad kälter an. So glich Mundruczós Theateradaption von Vladimir Sorokins Sciencefictionroman A jég - Ljod bei den Festwochen 2010 auch einer eiskalten Achterbahnfahrt durch das finstere Herz des Neokapitalismus.

Mundruczós Theater vermag Formen der Gewalt auf rohe, aber unspekulative Weise darzustellen. Eine seiner Qualitäten liegt darin, in der oft schockierenden Kombination von Körperlichkeit, Text und Gesängen hohe Spannungen und aufrührende Unverträglichkeiten zu erzeugen. Die Vorstellungen sind oft, auch im aktuellen Gastspiel, erst ab 18 Jahren zugänglich.

In Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein steckt wiederum ein gutes Stück russischer Schundliteratur: der gleichnamige Sci-Fi-Roman der Brüder Arkadi und Boris Strugatzki aus den 1960er-Jahren. In diesem untersucht ein von den Menschen abgesandter Kundschafter auf einem fernen Planeten die Repressionen eines zivilisatorisch fragwürdigen Regimes. Bei Mundruczó wird daraus folgendes: In zwei auf osteuropäischem Boden abgestellten Lastkraftwagen werden drei Prostituierte von brutalen Möchtegernrevolutionären gefangen gehalten.

Unter der erfolglosen Obhut einer "Mammy Blue" (Annamária Láng) werden die jungen Frauen zum Dreh von Gewaltpornos gezwungen, die nach Ansicht des Regisseurs und Drahtziehers einem guten Zweck dienen: Sie sollen, alsbald ins Netz gestellt, die Wahrheit über die familiären Gewalttaten seines Vaters und nunmehrigen Europapolitikers György Varjassy ins Licht bringen.

Rache und Vergeltung einer grausamen Tat, die ihrer eigenen Grausamkeit gegenüber blind ist - diesen Teufelskreis bildet Mundruczó ab. Ein dem Kundschafter in der Romanvorlage nachempfundener, als Arzt getarnter Beobachter versucht sich in größter Not an der Schadensbegrenzung. "Doc! Vagina, Urin. Mädchen!" heißt der Befehl der Puffmutter an ihn, die jungen Frauen vor Drehbeginn gynäkologisch zu untersuchen.

In der Remise Erdberg stehen die Lkws im rechten Winkel zueinander, einer ist der Längsseite entlang einsehbar und stellt die als Schneiderwerkstätte getarnte Bleibe der Prostituierten dar; das Innere des anderen ist Schauplatz der Drehs und nur auf Monitorbildern zu sehen.

Europa am Abgrund

Die Szenen drücken ihre Gewalt nicht in vordergründigen Darstellung aus, sondern in der Konfrontation von Bildinhalten mit sprachlichen oder musikalischen Stimmungen: Einer Frau wird der Hals gebrochen, während man sie lebend, aber mit Blut übergossen, in die Erde einbuddeln will, "ein Unfall" (die Männer sind ihren eigenen Drehbuchvorgaben dümmlich erlegen und deshalb äußerst rücksichtslos). Das auf mimetisches Understatement Wert legende, stimmlich starke Ensemble (vor allem Diána Magdolna Kiss) hebt in gemeinsamer Trauer darüber schließlich zu Mammy Blue an.

Den privaten Racheakt (an seinem Vater) verknüpft der Pornofilmregisseur mit seinem Hass auf die Politik: "Das Scheißeuropa tanzt schon seit Jahren am Rande des Abgrunds." Der politische Zweck heiligt also die Porno-Mittel, und kein Gott greift ein. Keine verantwortliche Instanz ist verfügbar. Die Menschen sind von allen guten Geistern verlassen. Ein Zustand, der sich auf frappierende Weise vermittelt.  (Margarete Affenzeller/ DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2011)