Holzinger über seine frühere Rolle als Spitzenbeamter. "Ich habe zum Glück mit Vorgesetzten zu tun gehabt, die meinen Rat schätzten."

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"Der Umstand, dass man jetzt noch immer über zweisprachige Ortstafeln diskutiert, ist eine äußerst problematische Angelegenheit."

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"Eine kleine Gruppe von Soldaten zu führen, hat mir Freude gemacht. Aber meine militärische Karriere hat eine Blockade erlitten."

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Standard: Was raten Sie hohen Beamten im Land, die nicht die Auffassungen und Einschätzungen ihrer Minister teilen: still weiterarbeiten, laut aufbegehren - oder sich auf Facebook verwirklichen?

Holzinger: Grundsätzlich halte ich das traditionelle Beamtenethos für gut: Die Beamten machen den Gesetzen verpflichtet ihre Arbeit. Dazu unterstützen sie die Regierungen, welcher Couleur auch immer, bei der Arbeit - wobei sie sich allerdings parteipolitischer Aktivitäten enthalten müssen.

Standard: Die Abberufung von Generalstabschef Edmund Entacher, einem Anhänger der Wehrpflicht, durch Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ), der eine Freiwilligenarmee will, wird wahrscheinlich durch den Verfassungsgerichtshof zu prüfen sein. Egal, wie das Urteil lauten wird - fördert man so die Zivilcourage von Staatsdienern?

Holzinger: Courage hängt mit der Persönlichkeit des Einzelnen zusammen - das ist gesetzlich schwer zu regeln. Aber generell gesprochen, gibt es natürlich ein Spannungsfeld zwischen den Verpflichtungen von Beamten, etwa einer Weisung des Ministers zu entsprechen, und ihren Grundrechten, etwa das der freien Meinungsäußerung. Und das kann eben zu Konstellationen führen, wie wir sie derzeit erleben.

Standard: Aber ihre kritische Meinung dürfen Spitzenbeamte schon äußern?

Holzinger: Intern sowieso, und auch öffentlich ist das innerhalb bestimmter Grenzen möglich.

Standard: Sie selbst waren jahrelang Leiter des Verfassungsdienstes. Jemals solche Auffassungsunterschiede mit Vorgesetzten gehabt?

Holzinger: Ich habe stets das Glück gehabt, mit Vorgesetzten zu tun gehabt zu haben, die meinen Rat schätzten - auch wenn ihnen dieser inhaltlich nicht immer willkommen war.

Standard: Ein Beispiel, das Ihnen da in Erinnerung geblieben ist?

Holzinger: Da möchte ich jetzt keine nennen.

Standard: Haben Sie einst beim Bundesheer gedient?

Holzinger: Ich war Einjährig-Freiwilliger an der Jägerschule Saalfelden und habe dann die Reserveoffiziersausbildung gemacht. Allerdings bin ich dann bald ins Bundeskanzleramt gekommen - und wurde dort als unabkömmlich eingestuft. So gesehen hat meine militärische Karriere rasch eine Blockade erlitten.

Standard: Haben Sie beim Bundesheer etwas fürs Leben gelernt?

Holzinger: Definitiv. Als junger Mensch Verantwortung zu übernehmen - und zwar nicht nur für sich, sondern auch für andere. Wenn man etwa eine kleine Gruppe von Soldaten zu führen hat. Das hat mir Freude gemacht hat.

Standard: Alle fünf Parteien sind sich bei der anstehenden Heeresreform bloß in einem einig: Ein Volksentscheid muss her. Eine kluge Idee?

Holzinger: Eine Aussetzung oder Aufhebung der Wehrpflicht braucht eine Verfassungsänderung. Die direkten Instrumente der Demokratie können freilich eingesetzt werden, wenn die zuständigen politische Organe es als zweckmäßig erachten. Dazu sind sie in der Verfassung ja ausdrücklich vorgesehen.

Standard: Wie beurteilen Sie aber die generelle Tendenz der Parteien, ständig Volksabstimmungen und Volksbefragungen anzukündigen? Stichwort Ortstafelstreit: Da verspricht Landeshauptmann Gerhard Dörfler (FPK) nach den Verhandlungen mit dem Kanzleramt das Ergebnis einer Volksbefragung zu unterziehen. Politisch redlich?

Holzinger: Natürlich gibt es eine Einschränkung: Eine Mehrheitsentscheidung über verfassungsrechtlich gewährleistete Rechte von einer Minderheit herbeiführen zu wollen ist problematisch.

Standard: Heute, Donnerstag, beginnen die Gespräche, wie viele zweisprachige Schilder noch aufzustellen sind. Haben Sie eine Empfehlung für die Verhandler?

Holzinger: Der Verfassungsgerichtshof hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von Einzelentscheidungen zu Ortschaften gefällt. Es kann nicht Sinn des Rechtsstaates sein, immer wieder aufs Neue über Einzelfälle zu entscheiden. Die Politik ist daher aufgefordert, eine dauerhafte Lösung zu finden, die sich nach bisheriger Judikatur des Verfassungsgerichtshofs richtet. Ich hoffe, dass das gelingt.

Standard: Wie viele Ortstafeln wären denn noch aufzustellen?

Holzinger: Wir im Verfassungsgerichtshof entscheiden immer nur konkrete Fälle, in denen Beschwerden eingelangt sind. Und kommen gegebenenfalls zu dem Ergebnis, dass die Verordnung wegen Widerspruchs zur Verfassungsbestimmung des Staatsvertrags aufzuheben ist. Der Gesetzgeber oder Verordnungsgeber hat eine generelle Regelung zu treffen.

Standard: Ist das nicht peinlich, dass damit immer noch ständig das Höchstgericht bemüht wird?

Holzinger: Der Umstand, dass man jetzt, Jahrzehnte später, noch immer darüber diskutiert, ist natürlich eine äußerst problematische Angelegenheit. Da sollte es endlich eine generelle Lösung geben.

Standard: Sie haben vor kurzem den Stillstand in der Politik beklagt. Woran krankt es?

Holzinger: Konkret habe ich damit die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit gemeint, den Abbau von Doppelgleisigkeiten und Kompetenzüberschneidungen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, insbesondere auf dem Gebiet des Schulwesens. Aber auch auf anderen Gebieten, wie in der Gesundheitsverwaltung. Seit Jahrzehnten erlebe ich, dass diese Themen zwar mit unzähligen Vorschlägen diskutiert werden - und am Ende ist es dann immer wieder zu Pattsituationen gekommen. Also hat man alles immer so belassen, wie es ist. Ich will darauf aufmerksam machen, dass man das jetzt realisieren sollte. Darum halte ich die Idee des Vizekanzlers, den notwendigen Reformimpetus in der Weise herbeizuführen, dass man sich in einer Konklave zusammensetzt, für gut.

Standard: Bei der Schulreform wie der Spitalsreform wollen weder Bund noch Länder Kompetenzen abgeben. Wer müsste nachgeben?

Holzinger: Man kann bei solchen Verhandlungen freilich nicht das Ergebnis vorwegnehmen. Es wird sich nur etwas bewegen, wenn sich diejenigen einigen, die aufseiten des Bundes und der Länder die wahren Machtträger sind. Man kann nur hoffen, dass es dieses Mal gelingt.

Standard: Könnte eine Wahlrechtsreform etwas an den ewigen Blockaden ändern?

Holzinger: Wir haben in Österreich ein fast reines Verhältniswahlsystem. Ich persönlich war immer ein Anhänger der Verhältniswahl, weil sie den politischen Willen der Bevölkerung in der reinsten und saubersten Form wiedergibt. Das Problem ist aber: Die Elemente der Persönlichkeitswahl greifen in unserem System trotz aller Vorkehrungen wie Vorzugsstimmen nicht.

Standard: Jetzt sitzen im Parlament Abgeordnete, die von ihren Parteichefs und Landeshauptleuten abhängig sind, wenn sie wieder auf die Liste gesetzt werden wollen. Diese Mandatare sind in ihren Entscheidungen also nicht immer sehr mutig.

Holzinger: Wenn man das ändern will, müsste man dafür sorgen, dass die Personalisierung des Wahlsystems intensiver wird. Es gibt ja Vorschläge. Man könnte sich am deutschen Beispiel orientieren. Da gibt es eine bestimmte Anzahl an Einer-Wahlkreisen, in denen eine Person gewählt wird - mit Proporzausgleich. Die zweite Stimme geht an eine Partei. Personalisierung heißt, dass es mehr auf den einzelnen Abgeordneten als auf die Liste ankommt. Das würde ich begrüßen. Wenn man den Effekt der Stärkung der Persönlichkeit des einzelnen Abgeordneten haben will, müsste man also die Elemente der Persönlichkeitswahl weiter ausbauen.

Standard: Allein unter der jetzigen Regierung wurde das Asylrecht gleich mehrfach novelliert. Ist das Asylrecht nicht längst schon ein Flickwerk, das kaum besser wird?

Holzinger: Seit der Öffnung der Grenzen in Europa kann man an der Zahl der Novellen auf dem Gebiet des Fremden- und Asylrechts ablesen, dass es eine unwahrscheinlich dynamische Entwicklung gibt. Es gibt immer wieder Neuregelungen, derzeit ist schon wieder eine in Arbeit. Es wird von Mal zu Mal nicht einfacher.

Standard: Das heißt, da kommt wieder viel Arbeit auf Sie zu?

Holzinger: Für den Verfassungsgerichtshof ist das eine große Herausforderung. Man muss auch befürchten, dass Änderungen der weltpolitischen Lage zu einer Intensivierung der Flüchtlingsströme führen werden.

Standard: Ein konkretes Problem ist auch Griechenland. Das EU-Mitglied ist überfordert, des Flüchtlingsansturms Herr zu werden. Menschen werden dort unter schrecklichen Bedingungen eingesperrt und können nicht versorgt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat jetzt in einem Einzelfall entschieden, dass es nicht zulässig ist, einen Asylwerber nach Griechenland abzuschieben. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) sieht jedoch keinen Grund, von Abschiebungen nach Griechenland abzusehen. Und Sie?

Holzinger: Wenn Fälle an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden, haben wir diese Fälle unter Berücksichtigung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu entscheiden. Ich gehe aber davon aus, dass nach dieser Entscheidung des EGMR solche Fälle gar nicht mehr zu uns kommen, weil sie ohnehin schon in den unteren Instanzen der Rechtsprechung des EGMR entsprechend entschieden werden.

Standard: Sie sind also der Meinung, dieses Urteil des EGMR, wonach es nicht zulässig ist, Asylwerber nach Griechenland abzuschieben, gilt auch für Österreich?

Holzinger: Dieses Urteil betrifft Belgien und Griechenland und gilt für diese beiden Staaten. Aber es wäre völlig unsinnig, es in vergleichbaren Konstellationen, die sich in einem anderen Land ergeben, nicht zum Maßstab der Beurteilung zu nehmen. Wir sind ja alle Mitglieder der Europäischen Menschenrechtskonvention, und der EGMR hat die Aufgabe, Fragen der Menschenrechtskonvention zu entscheiden. Wenn das ganze System funktionieren soll, müssen sich eben alle an diese Urteile halten.

Standard: Abschiebungen nach Griechenland sind also nicht zulässig?

Holzinger: Das Urteil, das der Gerichtshof zu Griechenland und Belgien gesprochen hat, ist auch bei uns einzuhalten. Das ist die Konsequenz. (Michael Völker, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, Printausgabe, 3.2.2011)