Thomas Reutterer: "Schenken ist ein symbolischer Akt und hat Rituale, die auch in der Religion vorkommen."

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Mehr als sieben Geschenke machen unzufrieden, sagt der Handelsexperte Thomas Reutterer. Warum Schenken Verschwendung provoziert und Konsum nicht als Retter aus der Krise gefeiert werden darf, erfragte Verena Kainrath.

STANDARD: War dieser ganze Hype ums Schenken nicht maßlos überzeichnet? Weihnachten bringt dem Handel letztlich nicht mehr als drei Prozent seines Gesamtumsatzes.

Reutterer: Er ist übertrieben, zweifelsohne. Man muss es auf die einzelnen Branchen runterbrechen, für manche ist es wichtiger, für andere, wie etwa den Lebensmittelhandel, ist es sicherlich vernachlässigbar. Volkswirtschaftlich betrachtet, ist Schenken aber Quelle potenzieller Wohlstandsverluste.

STANDARD: Beschenkt zu werden macht ärmer? Wie das?

Reutterer: Wir treffen hier Konsumentscheidungen für andere und schätzen ihre Präferenzen ein. Ökonomisch gesehen, hat der Beschenkte nur dann einen Nutzen, wenn wir diese auch erraten, was aber oft nicht der Fall ist. Es gibt Studien darüber, dass der Beschenkte weniger für die Präsente auszugeben bereit wäre, als der Schenker tatsächlich dafür bezahlt hat, Rabatte hin oder her. Und das kann letztlich aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu Nettoverlusten und zu Verschwendung führen.

STANDARD: Was schlagen Sie für das nächste Weihnachten vor?

Reutterer: Immaterielle Geschenke zu machen, vor allem solche, deren Preis sich schwer einschätzen lässt, die positiven Zusatznutzen stiften und ansonsten knapp sind – Zeit etwa. Die Risiken, dabei falsche Konsumentscheidungen zu treffen, sind deutlich geringer. Nur muss es dann auch eingelöst werden, woran es in der Praxis nicht selten scheitert.

STANDARD: Eine Umtauschwelle rollt über Österreich, beinahe jeder Zweite soll mit seinen Geschenken nichts anzufangen wissen.

Reutterer: Eben weil wir die Präferenzen falsch einschätzen. Und weil wir zu viele Geschenke bekommen. Wir wissen aus Untersuchungen: Am größten ist die Zufriedenheit bei fünf Geschenken plus/minus zwei. Zu große Vielfalt führt hingegen zu Unzufriedenheit. Fragt man Kinder, die damit regelrecht zugeschüttet wurden, welches denn ihr liebstes sei, haben sie oft Erklärungsnotstand.

STANDARD: Die Österreicher sollen sich Weihnachten heuer mehr kosten lassen haben als im Vorjahr. Weltweit wird der Konsum als Retter aus der Krise gefeiert. Zu Recht?

Reutterer: Inlandskonsum trägt zur Stabilisierung bei, wird immer wieder argumentiert. Ihn als Retter zu feiern, sehe ich jedoch problematisch. Denn wenn das Ganze auf Pump passiert und auf Kosten der Zukunft geht, schaffen wir damit den Einstieg in die nächste Krise.

STANDARD: Der Handel hat heuer quer durch die Branchen früher als üblich stark auf Rabatte gesetzt.

Reutterer: Damit macht er sich seine Margen kaputt. Der Kassasturz am Ende des Tages wird zeigen, was übrig bleibt, der Kater zu Neujahr kann heftig ausfallen. Grundsätzlich ist es ein Armutszeugnis, wenn das Angebot mittlerweile so homogen ist, dass Differenzierung nur noch über den Preis passiert.

STANDARD: Ist Einkaufen die liebste Freizeitbeschäftigung der Österreicher? Viele bezeichnen Konsum bereits als Ersatzreligion.

Reutterer: Schenken ist ein symbolischer Akt und hat Rituale, die auch in der Religion vorkommen. Von übertriebenem Konsum war schon in den Siebzigerjahren die Rede, er kann als gesellschaftliches Gegenmodell zu fundamentalistischen Religionen gesehen werden. Seine Auswüchse führen zu Konsum um jeden Preis. Dazu trägt auch das eine oder andere Marketing bei. Die Sinnfrage wird hier nicht mehr gestellt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.12.2010)