Zur Person: Hans Blix war 1978 ein Jahr lang Außenminister von Schweden für die liberale Volkspartei (Folkpartiet). Von 1981 bis 1997 war der 82-jährige Diplomat Chef der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) mit Sitz in Wien.

Eine wichtige Rolle spielte er im Vorfeld des Irakkriegs: Von Jänner 2000 bis Juli 2003 hatte Blix das Amt des UN-Chefwaffeninspektors inne. Er suchte im Irak nach Massenvernichtungswaffen. Blix und sein Team wurden nicht fündig. Sein Bericht war mitentscheidend für den UN-Sicherheitsrat, den Militärschlag der USA und der Briten nicht mit einer Resolution zu unterstützen. Seither hat Blix sich immer wieder kritisch zum Irakkrieg und dessen Rechtfertigungen geäußert.

Seit Februar dieses Jahres ist er Vorsitzender eines Beratergremiums, das die Entwicklung des Atomenergieprogramms der Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) überwacht. Blix befürwortet die friedliche Nutzung von Atomenergie als Alternative zu Energiequellen mit hohem CO2-Ausstoß.

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"Eine militärische Lösung ist so gut wie ausgeschlossen. Es ist klar, dass die UN eine solche Aktion nicht billigen wird."

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"In der jetzt geänderten Sicherheitsdoktrin behalten sich die USA zwar das Recht von einseitigen Militäraktionen weiterhin vor, aber sie betonen, die Einhaltung von internationalem Recht sei erstrebenswert."

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"Die arabischen Länder werden allerdings keinem Friedensvertrag zustimmen, wenn Israel nicht seine Atomwaffen aufgibt. Meiner Meinung nach muss das also gleichzeitig passieren. Die Friedensverhandlungen müssen weitergehen, aber an einem Punkt muss es auch eine Vereinbarung über Nuklearwaffen geben."

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"Ich denke, die USA könnten ihre Rüstungsausgaben halbieren und stattdessen 700 Milliarden US-Dollar in die Erforschung alternativer Energiequellen stecken."

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Hans Blix glaubt, dass der Konflikt um das iranische Atomprogramm sehr wohl mit diplomatischen Mitteln zu lösen sei. Eine militärische Intervention der USA hält er für unwahrscheinlich. Obama tue sein Bestes, um sein Versprechen einer atomwaffenfreien Welt einzulösen und habe diesbezüglich auch schon einige Erfolge aufzuweisen. Das weltweite Ansteigen der Rüstungsausgaben hält er für "fürchterlich". Blix war wegen einer UN-Konferenz in Wien. derStandard.at traf ihn zum Gespräch.

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derStandard.at: Vor zwei Jahren sagten Sie in einem Interview mit der Huffington Post, vom Iran gehe keine besonders große Gefahr aus. Sind Sie immer noch dieser Meinung?

Hans Blix: Sie haben jetzt mehr Uran. Laut der IAEO (Internationale Atomenergieorganisation, Anm.) hat der Iran genug niedrig angereichertes Uran, um Nuklearwaffen herstellen zu können. Vorausgesetzt, sie wollen das. Ob das stimmt, wissen wir nicht, wir kennen ihre Absicht nicht. Sie selbst sagen, sie wollen keine Nuklearwaffen. Sie haben auf vier Prozent angereichtertes Uran, wollen aber 20 Prozent erreichen. Es ist auf jeden Fall ein brennendes Thema, das viel Aufmerksamkeit braucht und schwer zu lösen ist. 

derStandard.at: Schließen Sie eine militärische Intervention aus?

Hans Blix: Eine militärische Lösung ist so gut wie ausgeschlossen. Es ist klar, dass die UN eine solche Aktion nicht billigen wird. Laut der UN-Charta gibt es zwei Möglichkeiten für einen Militärschlag: Selbstverteidigung gegen einen bewaffneten Angriff oder ein durch den UN-Sicherheitsrat autorisierter Angriff. Aber erstens wird es keine Möglichkeit geben, die Existenz von niedrig angereichertem Uran als bewaffneten Angriff zu werten und zweitens wird der UN-Sicherheitsrat einen offensiven Militärschlag gegen den Iran nicht autorisieren.

derStandard.at: Gibt es die Möglichkeit eines militärischen Alleingangs der USA?

Hans Blix: Die Wahrscheinlichkeit ist gering. Sogar der Vorsitzende des Joint Chiefs of Staff (Vereinigter Generalstab, Anm.), Michael Mullen, hat sich dagegen ausgesprochen. Er sagte, man müsse die Konsequenzen bedenken. Und er sagte, die Situation sei ein bisschen wie jene im Irak: Man wisse, was man macht, wenn man hineingeht, aber nur wenig darüber, wie es sich weiterentwickle. Die Iraner sind nicht unvorbereitet, es gibt einiges was sie dagegen tun können. Ein Militärschlag hätte auch massive Auswirkungen auf die Erdöllieferungen. Die Israelis könnten es machen, aber in der vergangenen Zeit hat man dazu aus Israel wenig gehört.

derStandard.at: Sind Wirtschaftssanktionen Erfolg versprechend?

Hans Blix: Es gibt die UN-Sanktionen, die relativ milde sind und es gibt die bilateralen Sanktionen der USA, die etwas strenger und vielleicht auch effektiver sind. Es gibt auch Bemühungen, den UN-Sicherheitsrat von strengeren Sanktionen zu überzeugen. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dieser Vorschlag eine Mehrheit im Sicherheitsrat bekommt: Die Türkei, China, Brasilien und Russland sind Mitglieder des Sicherheitsrates.

derStandard.at: Was, wenn das alles nicht funktioniert?

Hans Blix: Einige Leute glauben, dass die Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Dieser Meinung bin ich nicht. Einige der gemachten Angebote waren intelligent. Auf der wirtschaftlichen Seite haben sie sich darauf geeinigt, dass es Handelserleichterungen geben sollte, wenn der Iran die Anreicherung von Uran aussetzt. Das andere Angebot ist, dem Iran beim Aufbau eines zivilen Atomprogramms zu helfen. Dieses Angebot soll dem Iran demonstrieren, dass der Westen sich nicht gegen die technologische Modernisierung des Iran stellt. Es geht dem Westen um den Anreicherungsprozess, der den Weg zu möglichen Nuklearwaffen verkürzt. Auch das Angebot des Westens, den Iran bei seinem Weg zu einer Mitgliedschaft in der WTO (World Trade Organisation, Anm.) zu unterstützen, könnte hilfreich sein.

Es gibt außerdem zwei weitere Angebote der USA an Nordkorea, die - zumindest meines Wissens - dem Iran bisher nicht vorgeschlagen wurden. Das erste ist eine Sicherheitsgarantie - die Versicherung von Seiten der USA, Nordkorea nicht anzugreifen. Das zweite sind die Aufnahme von diplomatischen Verbindungen, die Nordkorea angeboten wurden, und die dem Iran noch nicht angetragen worden sind. Das diplomatische Spiel ist daher meiner Meinung nach nicht vorbei. Obamas Aussage, mit den Feinden der USA sprechen zu wollen, was aber nicht gleichbedeutend sei, sie zu lieben, ist ein guter Ansatz.

derStandard.at: Obama hat den Nobelpreis unter anderem für sein Versprechen einer atomwaffenfreien Welt bekommen. Zu Recht?

Hans Blix: Ich denke, er gibt sein Bestes. Ich habe darüber gewitzelt und gesagt, Kritiker meinen, das wären nur Worte. Aber: Auch Al Gore hat den Nobelpreis bekommen und er hat auch nur über die Klimaerwärmung gesprochen und sie nicht aufgehalten. Wir sollten also auch von Obama nicht mehr erwarten. Er war sicherlich damit erfolgreich, nukleare Abrüstung auf die Agenda zu setzen. Seit seiner Rede vergangenes Jahr im April in Prag ist vieles passiert. Das Sichtbarste ist das START-Abkommen.

Der Umfang der Abrüstungsversprechen war zwar nicht überwältigend, aber es bedeutet ein Sprungbrett für nachfolgende Verhandlungen. Außerdem gab es die Nuclear Posture Review (neue US-Nuklear-Doktrin, Anm.), die besagt, dass  Nuklearwaffen für die Verteidigung der USA an Relevanz verloren haben und dass die USA keine neuen Atomwaffen mehr herstellen wollen. Stattdessen wollen sie ihre alten Waffen gut in Schuss halten. Obama versucht also sein Versprechen einzuhalten, auf der anderen Seite muss er aber auch das Militär und die Konservativen zufriedenstellen.

Dann gab es den Nuklear-Gipfel in Washington. Dort ging es um etwas sehr Spezifisches, und zwar um nukleare Sicherheit. Es sollte vermieden werden, dass nukleares Material, wie Kobalt oder Cäsium, in der Welt herumgeistert und dann vielleicht in falsche Hände gerät. Es gilt zu vermeiden, dass nicht-staatliche Akteure dieses Material bekommen und daraus "dirty bombs" herstellen - das sind nicht unbedingt Atombomben, sondern radioaktive Waffen.

derStandard.at: Lässt sich das überhaupt vermeiden? Und wenn ja, wie?

Hans Blix: Es wird viel Kobalt verwendet, beispielsweise in Krankenhäusern. Dort wird auch Cäsium verwendet. Von dort kann es natürlich gestohlen werden. Das zu vermeiden, war Ziel der Konferenz. Die Staaten haben sich zu strengeren Kontrollen verpflichtet.

Außerdem gab es noch Änderungen in der nationalen Sicherheitsdoktrin der USA. Bush hatte sie im Jahr 2002 - dem Jahr vor Beginn des Irak-Krieges - geändert. Es gab schon immer die Möglichkeit eines Militärschlages nach einem Angriff. Auch wenn der Angriff erst unmittelbar bevorsteht, war ein Gegenschlag gerechtfertigt. Aber der Bush-Regierung war das nicht genug. In Zeiten von Lenkwaffen und nicht-staatlichen Akteuren müssen wir freie Hand haben, lautete die Argumentation. Es war den USA seit 2002 möglich, vorausschauende Militäraktionen vorzunehmen. Damit waren Präventivkriege gemeint. Das haben die USA auch offen zugegeben. Im Fall des Irak-Krieges haben die USA auch auf dieser Grundlage agiert. Die Briten hatten diesbezüglich mehr juristische Probleme. 

In der jetzt geänderten Sicherheitsdoktrin behalten sich die USA zwar das Recht von einseitigen Militäraktionen weiterhin vor, aber sie betonen, die Einhaltung von internationalem Recht sei erstrebenswert. Sie schließen also nicht aus, dass sie eines Tages etwas Illegales machen, aber sie versuchen eine Wiedereingliederung unter die UN-Charta und verstärkte Kooperation mit multilateralen Institutionen - wie zum Beispiel der UN.

derStandard.at: Denken Sie, es besteht die Möglichkeit, dass Israel dem Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation-Treaty - NPT) beitritt, wie bei der UN-Konferenz Ende Mai gefordert?

Hans Blix: Nein, sicherlich nicht. Die Resolution über einen atomwaffenfreien Nahen Osten bei der UN-Konferenz zur Überprüfung des NPT war sehr wichtig. Aber Israel war bei der Konferenz nicht anwesend. Ägypten forderte diese Resolution, die schon 1995 angedacht war. Und jetzt haben die USA zugestimmt. Israel hat dagegen scharf protestiert, weil sie in dieser Resolution erwähnt wurden. Ich verstehe nicht, warum das so überraschend war. Es ist eine Resolution über Atomwaffen in der Region und Israel ist das einzige Land, das welche hat. Aber es ist klar, dass Israel kein Interesse daran hat, seine Atomwaffen aufzugeben. Die USA können das von Israel auch nicht erwarten - wenn, dann erst nach einer Friedensvereinbarung.

Die arabischen Länder werden allerdings keinem Friedensvertrag zustimmen, wenn Israel nicht seine Atomwaffen aufgibt. Meiner Meinung nach muss das also gleichzeitig passieren. Die Friedensverhandlungen müssen weitergehen, aber an einem Punkt muss es auch eine Vereinbarung über Nuklearwaffen geben. Israel hat genug konventionelle Waffen, sie brauchen keine Nuklearwaffen. Das Land steht unter dem Schutz der USA und könnte vielleicht auch Mitglied der NATO werden. Ich glaube, niemand will wirklich, dass Israel verschwindet, auch wenn es diese Stimmen hin und wieder gibt. Ich denke, das ist mehr Rhetorik als Realität.

derStandard.at: Laut einer Studie von SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute) geben Staaten noch immer Rekordsummen für ihr Militär aus. Warum verwenden Länder wie Griechenland trotz Finanz- und Schuldenkrise sogar noch mehr Geld für Rüstung?

Hans Blix: SIPRI hat errechnet, dass vergangenes Jahr 1.500 Milliarden US-Dollar weltweit für Rüstung ausgegeben wurden. 45 Prozent davon bezahlen die US-amerikanischen Steuerzahler, Großbritannien und China sind für jeweils fünf Prozent verantwortlich, vier Prozent kommen aus Russland, Italien und Saudi-Arabien. Das sind fürchterlich hohe Geldbeträge. Das ist absurd und nicht gerechtfertigt. Die USA wurden gelobt, weil ihr Militärbudget um nur zwei Prozent ansteigt. Trotzdem ist es immer noch eine Steigerung. Giorgos Andreas Papandreou, der griechische Premierminister, hat versucht, das Militärbudget Griechenlands zu verkleinern. Es scheint so, als würden die Griechen einen hohen Anteil ihres Bruttosozialproduktes für Rüstung ausgeben. Eine Reduktion der Militärausgaben halte ich für eine gute Idee. Besonders wenn es mit einer Kooperation mit der Türkei auf diesem Gebiet verbunden ist.

George P. Shultz, William J. Perry, Henry A. Kissinger und Sam Nunn veröffentlichten im Jänner 2007 einen Artikel im Wall Street Journal. Ihre Hauptaussage: Der Kalte Krieg ist vorbei. Die Abschreckungspolitik zwischen den USA und Russland ist obsolet. Es wird in den kommenden Jahren keinen Krieg zwischen Russland und den USA geben und der Militärapparat müsste darauf reagieren. Das ist auch meine Meinung. Ich denke, die USA könnten ihre Rüstungsausgaben halbieren und stattdessen 700 Milliarden US-Dollar in die Erforschung alternativer Energiequellen stecken.

Natürlich war Russland irritiert von den Plänen einer US-Raketenabwehr in Tschechien und Polen oder den Expansionsplänen der Nato Richtung Ukraine und Georgien. Das ist aber derzeit kein Thema mehr. Die Obama-Regierung versucht hier zu tun, was in ihrer Macht steht. Neben Russland ist dabei auch China wichtig. Die Europäer können diesen Prozess unterstützen. Besonders wichtig sind sie aber nicht. (Anna Giulia Fink, Michaela Kampl, derStandard.at, 8.6.2010)