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Nana Power, eine Skulptur von Niki de Saint-Phalle, beim Ausstellungsaufbau im Sprengel-Museum in Hannover 2005. Die Künstlerin ergründet weibliche Identität. Wissenschafter versuchen zu ergründen, wie weibliche Sexualität funktioniert.

Foto: APA/Patrick Pleul

Schon Sigmund Freud stand vor einem Rätsel. Der Begründer der Psychoanalyse soll einst gesagt haben, dass "die große Frage, die ich trotz meiner 30-jährigen Erforschung der weiblichen Seele nicht beantworten vermag, lautet: Was wollen Frauen?" Denn während sich männliche Lust recht offensichtlich zeigt, blieb die Frau für ihn unergründlich.

Daran hat sich lange Zeit nichts verändert, doch langsam kommen die Forscher dem weiblichen Verlangen auf die Spur. Was ursprünglich ausschließlich der psychologischen Domäne zuzuordnen war, hat es dank der Fortschritte der Neurobiologie zu einer interdiszi-plinären Wissenschaft gebracht. In den modernen Lustlabors schaffen Befragungen, genitale Lügendetektoren, die die Durchblutung und Sekretion der Geschlechtsorgane messen, sowie hochmoderne Hirnbildgebungsverfahren ein Gesamtbild. Die provokante Erkenntnis: Frauen nutzen mehr Hirn beim Sex und sind weitaus unkonventioneller als Männer.

Zugegeben: Die höhere Hirnaktivität von Frauen beim Orgasmus ist ein alter Hut. Bereits vor fünf Jahren untersuchte Michael Forsting vom Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie der Uniklinik Essen, welche Areale während des Höhepunktes angeregt werden. "Sowohl bei Männern als auch bei Frauen werden evolutionäre, uralte und primitive Bereiche des Gehirns aktiviert", erklärt Forsting. Aber: "Bei Frauen arbeitet auch der Cortex - und der hat sich erst mit der Entstehung des Menschen entwickelt", so Forsting. Und genau dort vermuten Neurowissenschafter eine Schaltstelle für die Verarbeitung von Emotionen, für Bewertung und Vorstellungsvermögen.

Fantasie-Analyse

Nun bekommt Forsting von Meredith Chiver Unterstützung für seinen Befund. Die 36-jährige Psychologieprofessorin gilt als Shootingstar unter den Sexualmedizinern. Sie schloss homo- und heterosexuelle Männer und Frauen an genitale Messgeräte an und zeigte ihnen unterschiedliche Pornos: zwischen schwulen, lesbischen und heterosexuellen Paaren, zwischen einem nackten muskulösen Mann und einer gymnastiktreibenden Frau - und: sich paarenden Schimpansen. Im Anschluss befragte Chivers die Testpersonen nach ihrer subjektiven Erregung.

Das Resultat: Die Männer entsprachen voll und ganz den Erwartungen. Schwule fanden homosexuellen Sex erregend, Heteros fühlten sich durch den Sex von Heteropaaren stimuliert. Das zeigten sowohl Blutdruckschwankungen als auch die subjektive Einschätzung. Die Frauen aber schnitten gänzlich anders ab. Gleich, ob lesbisch oder heterosexuell - die Durchblutung ihrer Vagina stieg an, ob Männer nun mit Frauen, mit Männern oder Frauen mit Frauen Sex hatten. Er stieg erheblich bei der Betrachtung der entkleideten Gymnastikdame - und sogar während der Schimpansenpaarung. So weit die Messdaten. Nach ihrem subjektiven Befinden befragt, zeigte sich allerdings ein anderes Bild: Sie behaupteten, so zu empfinden, wie es ihrer sexuellen Orientierung entsprach. Was aber ist nun richtig?

Der Essener Radiologe Forsting glaubt, dass die zusätzliche Hirnaktivität einer Kontrollinstanz entspricht, die die primitiven Erregungszustände filtern könnte. Das würde erklären, warum die körperliche Erregung nicht ins Bewusstsein getreten ist.

Chivers geht jedoch einer weiteren Erklärung nach, wonach die körperliche Erregung wenig über Verlangen und Lust verrät. Vielmehr nimmt sie an, dass der Körper über eine Art evolutionären Schutz verfügt: Er reagiert auf Sexualkontakte, auch auf gewaltsam zugefügte, so, als ob er erregt wäre, um sich vor Verletzungen zu schützen. Ihre Vermutung führt sie auf die Aussagen vieler Vergewaltigungsopfer zurück, die sich trotz ihrer Angst und Abneigung sexuell erregt gefühlt hätten. Glaubt man einer Zusammenfassung der Fachzeitschrift The Journal of Sex Research, haben etwa ein Drittel bis die Hälfte aller Frauen beim Sex Vergewaltigungsfantasien, "was allerdings nicht bedeutet, dass sie vergewaltigt werden wollen", stellt Ulrike Brandenburg, Sexualtherapeutin aus Aachen, klar. Vielmehr lasse Sex viel Raum für Fantasie, auch für aggressive Fantasien, die in der Realität undenkbar wären.

Kontrollverlust

Für Lust am kontrollierten Kontrollverlust spricht auch eine Entwicklung aus dem Labor. Erst kürzlich stellte der deutsche Pharmahersteller Boehringer-Ingelheim eine luststeigernde Substanz für Frauen vor. Flibanserin soll Frauen helfen, die unter andauernder sexueller Unlust leiden - "und die Betonung liegt dabei auf leiden", sagt Matthias Fuchs, Senior Medical Advisor für Sexualmedizin bei Boehringer-Ingelheim. Das Neuartige an dem Wirkstoff: Er setzt im Gehirn an. Dort bindet er ebenfalls im Cortex hinter der Stirn an den Glücks- und Belohnungsrezeptoren und wirkt enthemmend (siehe Artikel).

Hypoactive Desire Disorder (HSDD) heißt diese Krankheit, die vom British Medical Journal bereits als erfolgreiche Inszenierung der Pharmaindustrie bezeichnet wurde. Damit tue man den Betroffenen unrecht, meint Sexualtherapeutin Brandenburg. "Tatsächlich kommt eine Gruppe von etwa zehn Prozent aller Frauen mit Libidoproblemen in die Praxis, die trotz zufriedener Beziehung seit Jahren keinerlei Lustempfinden mehr spürt, und das sowohl hetero- wie autoerotisch", sagt sie. Und häufig genug liege es auch an der Unfähigkeit, sexuelle Fantasien zu entwickeln. "Man sollte einen solchen medikamentösen Ansatz nicht gleich verteufeln, wenn er den Frauen hilft", fügt Brandenburg hinzu. Die Lösung böte er allerdings nicht. Die Lust auf Sex könne nicht von einem Medikament übernommen werden. (Edda Grabar, DER STANDARD, Printausgabe, 07.12.2009)