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Am Donnerstag sind 6,8 Millionen Bulgaren aufgerufen ihr Parlament neu zu wählen. Es wird mit einem Sieg der Opposition gerechnet. Eine Besserung muss das nicht unbedigt bedeuten.


Wahllokal in Wien: Auch in Österreich können Exil-Bulgaren ihre Stimme abgeben. Und zwar in der Rechten Wienzeile 13/1 im vierten Wiener Gemeindebezirk. Das Wahllokal hat von 6 Uhr früh bis 19 Uhr geöffnet.

Foto: EPA/VASSIL DONEV

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Der bulgarische Premier und Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei (BSP), Sergei Stanishev, im Wahlkampfeinsatz in Warna. 

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GERB-Gründer und Bürgermeister von Sofia: Bojko Borissow. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird er auch der neue Premier.

Foto: REUTERS/Oleg Popov (GREECE)

Michael Meznik ist Studienassistent der Professur für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südosteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

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Korruption und Klientilismus bestimmen die Politik in Bulgarien. Daran wird auch ein Wechsel der Regierungsparteien nichts ändern, erklärt Michael Meznik vom Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. „Politik und Parteien werden als Organisationen gesehen, die dafür da sind, den jeweiligen Protagonisten und ihnen nahe stehenden Firmen und Organisationen Vorteile zu verschaffen", sagt er im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Was sind die drängendsten Probleme des Landes, die die nächste Regierung lösen müsste?

Michael Meznik: Die dringendste Frage ist, wie es mit der Wirtschaft weiter geht. Bulgarien ist natürlich auch von der weltweiten Wirtschaftskrise betroffen. Als eher wenig reiches Land sind die Auswirkungen dort besonders zu spüren. Konkreter geht es natürlich um die Frage, was mit den Mitteln aus den EU-Fonds passiert. Da gab es einige Schwierigkeiten und Mittel wurden eingefroren. Jede zukünftige Regierung wird versuchen, hier das Vertrauen wieder herzustellen. Außerdem müssen Strukturen aufgebaut werden, die es braucht, um diese Mittel richtig zu absorbieren und einzusetzen.

derStandard.at: Werden diese Probleme der regierenden Koalition unter Führung der Sozialisten zur Last gelegt und könnte das deren Abwahl bedeuten?

Meznik: Ja, auf jeden Fall. Die Situation, in der sich Bulgarien jetzt befindet, also Wirtschaftskrise und auch der Vertrauensverlust von Seiten der europäischen Institutionen wird in erster Linie – und wie ich meine zu Recht – der regierenden Koalition angelastet und die wird von den Sozialisten geführt. In der öffentlichen Meinung sind die Sozialisten Schuld an der Misere in der sich das Land befindet. Und das wohl auch nicht ganz zu Unrecht.

derStandard.at: Warum werden ihrer Meinung nach die Sozialisten zu Recht abgewählt?

Meznik: Bis zu einem gewissen Grad war es Absicht, keine funktionierenden Strukturen zur Verteilung der EU-Mittel aufzubauen. Es war nicht gewollt, dass da alles so gut funktioniert und dann vielleicht auch zu leicht zu kontrollieren gewesen wäre. Da gab es bewusste Verzögerungen.

derStandard.at: War ein Grund dafür, dass es mit funktionierenden Strukturen weniger gut möglich wäre, die eigene Klientel zu bedienen?

Meznik: Völlig richtig. Das wurde bewusst schlecht umgesetzt, um die Mittel ungehindert an die eigenen Leute verteilen zu können. Geschäftsleute, die Kampagnen – auch die des derzeitigen Präsidenten Georgi Parwanow – finanziert haben, zählen zu den größten Profiteuren dieser Korruptions-Netzwerke. Es gibt also eine sichtbare Verflechtung zwischen Geschäfts- und Halbwelten und der obersten politischen Führungsriege.

derStandard.at: Und Angst mit einer solchen Art von Politik Wahlen zu verlieren gibt es nicht?

Meznik: Die gibt es natürlich schon, aber es seit Bulgarien eine Demokratie westlichen Zuschnitts ist, war es immer so, dass die Partei(en), die gerade am Ruder waren, versucht haben das Maximum für sich herauszuholen. Und das in dem Wissen, dass eine Wiederwahl kaum möglich ist. Seit den ersten freien Wahlen 1989 haben die Parteien an der Regierung immer gewechselt.

Keine Kraft kann also davon ausgehen, dass sie die Lage so verbessern kann, dass ihnen die Wählerinnen und Wähler ein zweites Mal das Vertrauen aussprechen. Dann bildet sich eine „grab and run"-Haltung heraus. Frei nach dem Motto: Wenn du an der Macht bist, schau, dass du für dich genug scheffelst und dann verschwinde.

derStandard.at: Versucht die derzeitige Regierung also gar nicht an der Macht zu bleiben?

Meznik: Doch und zwar mit verschiedenen Mitteln. Es gab eine Änderung im Wahlrecht: Es wurden Elemente eines Mehrheitswahlrechts eingeführt, wo man Kandidaten direkt aus Wahlkreisen ins Parlament wählen kann.

Bei dieser Wahlrechtsreform ging es den Regierungsparteien darum, ihre Mandatszahlen nach oben zu bringen. Ihnen ist zwar klar, dass sie die Wahlen nicht gewinnen werden. Alle Umfragen, die zwar alle mit Vorsicht zu genießen sind, prognostizieren einen Wahlsieg der GERB, der Partei der Bürgermeisters von Sofia, Bojko Borissow. GERB wird die Wahl mit großen Vorsprung gewinnen.

Der jetzigen Regierung geht es darum, möglichst viele Mandate im Parlament zu erreichen, um irgendwie zu erreichen, dass eine der jetzt regierenden Parteien doch noch in die neue Regierung kommt. Denn die GERB-Partei wird eine Koalition bilden müssen. Logisch wäre eine Mitte-Rechts-Koalition: Die GERB und eine weitere Partei, die sogenannte „Blaue Koalition", werden gemeinsam aber auch keine Regierung zusammenbringen.

Die Stimmung ist allerdings schon so polarisiert, dass die künftigen Gewinner die Einbindung einer der derzeitigen Regierungsparteien ausschließen. Die Partei der türkischen Minderheit „Bewegung für Rechte und Freiheiten" (BRF) unter Ahmed Dogan hat auch die Möglichkeit eines Experten-Kabinetts ins Spiel gebracht. Das alles sind Versuche Machtpositionen abzusichern.

derStandard.at: Eine Politikänderung ist demnach von einer GERB geführten Regierung nicht zu erwarten. Sie werden nur ein anderes Klientel bedienen.

Meznik: Das ist die düstere Variante – aber ich würde sagen, da ist schon was dran. Ein grundlegendes Problem an der bulgarischen Politik ist, dass die politischen Kräfte – ob sie jetzt Sozialisten, Demokraten oder sonst wie heißen – von der Gesellschaft sehr weit entfernt sind. Das Phänomen der Politikverdrossenheit kennt man auch in Österreich. In Bulgarien ist es aber sehr stark ausgeprägt. Politik und Parteien werden als Organisationen gesehen, die dafür da sind, den jeweiligen Protagonisten und ihnen nahe stehenden Firmen und Organisationen Vorteile zu verschaffen. Deswegen bilden sich ständig neue Parteien, fallen dann auseinander und finden in neuen Konstellationen wieder zusammen. Ein Beispiel: Der Chef der GERB-Partei Borissow war schon 2001 in der Regierung ein hochrangiger Beamter im Innenministerium. Es gibt eine Reihe von solchen Chamäleons.

derStandard.at: Man gründet also eine politische Partei, weil man sich bereichern will und nicht weil man ein politisches Ziel verfolgt?

Meznik: Leider ist das wirklich so. Es gibt leider dieses Moment von Klientilismus und Patronage. Man kommt in Positionen und versucht dann, andere wichtige Schlüsselpositionen mit seinen Leuten zu besetzen. Am stärksten ausgeprägt ist das bei der Partei der türkischen Minderheit. Das hat auch der Vorsitzende, Ahmed Dogan, ganz offen angesprochen. DerStandard.at berichtete.

derStandard.at: Und aus der Bevölkerung kommt kein Aufschrei?

Meznik: Politik wird als Machtspiel, das am eigenen Leben nichts ändert, wahrgenommen. Davon wendet man sich ab und zieht sich in sein eigenes Leben zurück, das für viele schwierig genug zu bestreiten ist.

derStandard.at: Welche Politik macht die Partei der türkischen Minderheit für ihre Klientel?

Meznik: Das Hauptmotiv in die Politik zu gehen, nämlich in Positionen zu kommen wo man sich dann Ressourcen aneignen und dann verteilen kann, ist in dieser Partei am stärksten ausgeprägt. Die Partei ist 1990 gegründet worden und wird seither von Dogan autoritär geführt. Er hat es außerdem geschafft, dass seine Partei ab Mitte der 90er Jahre immer in irgendeiner Form an der Regierung beteiligt war.

Die Frage der türkischen Minderheit ist in Bulgarien erst in den 80er Jahren zum heiklen Thema geworden. Damals hat die kommunistische Regierung versucht, die Nachnamen der türkischen Bevölkerung zu ändern. Das war ein traumatisches Erlebnis für diese Bevölkerungsgruppe. Sie fürchteten um ihre Identität. Das ist das Moment auf das Dogan immer wieder zurückgreift. Er stellt sich als Garant der ethnischen Interessen der türkischen Minderheit dar.

Allerdings gibt es heute keine reale Gefahr von solchen Umbenennungs-Maßnahmen. Das war eine irrationale Politik des kommunistischen Regimes, das schon kurz vor dem Abtreten war und so versucht hat, sich irgendwie noch Legitimation zu verschaffen. Das war ein Problem der 80er Jahre. Aber die Partei von Dogan hat es geschafft, die Thematik am Köcheln zu halten. Dogan weiß alle Stimmen der türkischen Bulgaren hinter sich. Er liegt in Umfragen auch bei zwölf Prozent.

Auch Stimmenkauf spielt eine Rolle. Von Dogan stammt die Aussage, dass das eine übliche europäische Praxis sei. In Bulgarien ist das tatsächlich ein Problem. Das sagt auch viel über den Zustand des Landes aus, wenn Leute bereit sind, ihr Stimmrecht für 100 Euro zu verkaufen.

derStandard.at: Mafiabosse und verurteilte Verbrecher versuchten durch eine Kandidatur bei der Wahl ihren Haftstrafen zu entkommen. Der GERB-Chef und Bürgermeister von Sofia war Karatekämpfer und später Trainer der Karate-Nationalmannschaft. Viele ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter stehen auf den Listen diverser Parteien. Wie professionell ist die politische Klasse Bulgariens?

Meznik: Diese Frage führt uns tiefer hinein in die bulgarische Gesellschaft, von der das politische System nur ein Teil ist. Hier gibt es das Problem, dass es vorher die kommunistische Diktatur gab. Eine Zivilgesellschaft gab es damals nicht. 1989/90 kam es zum Bruch. Dann sind Leute aus allen möglichen Richtungen in die Politik gewählt worden. Darunter auch viele, die aus dem alten System kamen und da auch wieder einige, die für den bulgarischen Geheimdienst gearbeitet hatten. Das Thema Geheimdienst ist in Bulgarien nicht so negativ besetzt, wie das zum Beispiel in Deutschland in der ehemaligen DDR der Fall ist. Zum Thema Professionalität: Es gibt kaum Versuche, eine neue politische Elite heranzuziehen. Vorfeldorganisationen aus denen in weiterer Folge sogenannte Berufspolitiker herausgehen sind in Bulgarien so gut wie nicht existent. (Michaela Kampl, derStandard.at, 2.7.2009)