Publikumsrätin Eva Blimlinger.

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Zur Erinnerung: Anfang März versuchte Pius Strobl, ein Riesengeschäft witternd, im Alleingang Verwertungsrechte aus dem ORF-Archiv an den Hoanzl-Verlag zu verkaufen. Nach heftigen Protesten aus Politik und ORF zog Hoanzl schließlich seine Unterschrift zurück und schlug die Auflösung des Exklusivvertrags mit der ORF-Enterprise in beidseitigem Einvernehmen vor. Die Stiftungsrätin Helga Rabl-Stadler kommentierte "Der Vertrag hätte einen unvorstellbaren Schaden für das österreichische Weltkulturerbe bedeutet."

Bis dato hat es der Stiftungsrat jedoch verabsäumt, sich um dieses Weltkulturerbe zu kümmern - sonst hätte er schon längst darauf pochen müssen, das Bundesarchivgesetz auf den ORF anzuwenden, durch das dessen Archivbestände ebenso geschützt sind wie mittelbar durch das Denkmalschutzgesetz. Auch wenn die ORF-Führung das ganz anders interpretiert. Dort herrscht nämlich die irrige Auffassung, dass nur Schriftgut aufzuheben sei und nur dies unter das Archivgesetz falle - alles andere sei bloß eine "Registratur". Wiewohl in Aussendungen und Selbstdarstellung der Generaldirektor sowie der frühere und jetzige Leiter der ORF-TV-Hauptabteilung Dokumentation und Archive nicht müde werden, die Vorzüge und Leistungen des "ORF-Archives" zu preisen. Klingt ja auch nicht gut: ORF-Registratur.

Der ORF ist eine Stiftung öffentlichen Rechts und so kommt der § 2 Abs 4 lit b des Bundesarchivgesetzes zur Anwendung, wo normiert wird, was Archivgut des Bundes ist - nämlich insbesondere solches, das "bei juristischen Personen in Wahrnehmung ihrer Aufgaben anfällt". Das Archivgut des ORF, das in der Wahrnehmung seiner Aufgaben anfällt, also alles was gesendet wird in TV, Radio, aber auch Teletext und ORF-On ist somit Archivgut des Bundes. Der ORF hätte daher dem Bundesarchivgesetz folgend seit dessen Inkrafttreten im Jahr 2000 unverzüglich mit der Erfassung, Ordnung, Erschließung und Nutzbarmachung seiner Archivbestände beginnen und diese Tätigkeiten im Hinblick auf frei zugängliches Material so bald wie möglich abschließen müssen. Nichts ist passiert, denn Informationen zum Archiv gibt es für potenzielle Benützer und Benützerinnen nicht, eine Internetrecherche bleibt ohne Ergebnis, unter orf.at findet sich alles mögliche, nur kein Hinweis aufs Archiv, nirgendwo sind Standort, Zugangsmöglichkeiten, Öffnungszeiten oder gar Nutzungsbedingungen veröffentlicht. Ob die gesetzlich geforderte Benutzungsordnung überhaupt jemals erlassen wurde? Im Amtsblatt der Wiener Zeitung - wie es das Gesetz vorsähe - findet sich jedenfalls keine entsprechende Publikation.

Das ORF-Archiv gibt es also genau genommen nicht, muss es aber geben, öffentlich zugänglich, da jedermann berechtigt ist, "das freigegebene Archivgut, nach Maßgabe des Archivgesetzes zu amtlichen, wissenschaftlichen oder publizistischen Zwecken sowie zur Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange zu nutzen", wie es im Gesetz heißt. Diejenigen, die versuchen Material etwa für ihre wissenschaftlichen Arbeiten zu sichten, können ein Lied davon singen, wie kompliziert und teuer das ist. Umfasst denn die Gebührenzahlung nicht genau genommen auch die Nutzung des ORF-Archivs, pardon, der Registratur? Aber soweit sind wir noch lange nicht. Vorrangig ist, bevor irgendwelche Verwertungsrechte verscherbelt werden, endlich den gesetzlichen Auftrag zur Einrichtung des ORF-Archivs zu erfüllen. Stiftungsrat und Generaldirektion sind aufgefordert, dafür Sorge zu tragen. (Eva Blimlinger, DER STANDARD; Printausgbe, 26.3.2009)