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Sexueller Missbrauch wird von Dritten zunehmend bemerkt - doch nur wenige zeigen ihn an

Foto: AP/Sarbach

Wien - Der spektakuläre Fall F. hat Mitarbeitern von Beratungsstellen, die Hilfe bei sexuellem Missbrauch anbieten, einige zusätzliche Arbeit gebracht. Gemeldet hätten sich vor allem „Menschen, die vermuten, einem Übergriff auf der Spur zu sein" und die aus diesem Grund „schwer verunsichert sind", schildert die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits.

Menschen sind aufmerksamer

Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Missbrauchsproblematik habe eindeutig zugenommen, meinte am Montag auch Martina Fasslabend, Präsidentin des Kinderschutzvereines „die möwe". Dies sei „sehr positiv" - zumal das Wissen der Menschen über Missbrauch zunehmend den Realitäten entspreche, sagte sie am Dienstag bei der Vorstellung der ersten in Österreich je durchgeführten Studie über „Bewusstsein und Einstellung der Österreicher" zu dem Thema. Die repräsentative Umfrage unter 1000 Personen wurde im Auftrag der „möwe" vom Meinungsforschungsinstitut Karmasin erstellt.

So entsprechen zum Beispiel die abgefragten Vermutungen über den Kreis der Täter den statistisch belegbaren Gegebenheiten (siehe Wissen): Die Mehrheit der Befragten siedelt sie „im größeren Familienverband" (74 Prozent), im „Bekanntenkreis der Eltern" (59 Prozent) und in der „Kernfamilie" _(55 Prozent) an. Der anonyme Missbraucher am Schulweg oder am Spielplatz fiel 54 Prozent der Befragten ein.

"Pionierleistung"

Dass der „gefährliche Fremde" als Missbraucher früher, bevor das Thema breit diskutiert wurde, öfter genannt worden wäre, ist indes nur eine Vermutung: „Mir sind keine älteren derartigen Umfragen bekannt", sagte die Psychotherapeutin und Sexualexpertin Rotraud Perner zum Standard. Die neue Studie bezeichnet sie daher als „Pionierleistung".

„Eine gewisse Diskrepanz" wiederum liest Kinderanwältin Pinterits aus den Antworten auf die Frage heraus, was unter Missbrauch überhaupt zu verstehen sei: Dass genitale Handlungen an und mit Kindern sowie das Zeigen pornografischer Darstellungen darunter fallen, ist für über 90 Prozent der Befragten eindeutig klar. Doch fast ein Fünftel reiht auch Handlungen wie „wenn sich Erwachsene vor Kindern nackt zeigen" (20 Prozent) und „wenn Eltern und Kinder nackt baden" (16 Prozent) unter Missbrauch.

Am Land gegen frühe Aufklärung

Eine „zu frühe sexuelle Aufklärung" erfüllt für 13 Prozent diesen Tatbestand - wobei Befragte aus der Großstadt Wien dies weitaus seltener nannten. „Dabei gehen sexuelle Aufklärung und Aufklärung über Missbrauch am Besten Hand in Hand", sagt Pinterits. Den Beginn eines Missbrauchsverhältnisses, das später sexuelle Formen annimmt, siedelt sie bereits beim „Überschreiten persönlicher Grenzen im Alltag" an: „Wenn ein Kind keine Möglichkeit hat, sich den aufdringlichen nassen Bussis der Oma zu entziehen, so lernt es, dass es Unangenehmes über sich ergehen zu lassen hat."

Bemerkenswert ist laut Perner wiederum, „dass Menschen bei konkretem Missbrauchsverdacht ganz anders reagieren als in der Theorie". So geben 63 Prozent der Befragten theoretisch an, die Polizei verständigen zu wollen; vor eine konkrete Missbrauchssituation gestellt, taten es jedoch nur 25 Prozent. (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe, 25.3.2009)