Christa Kolodej ist Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologin.

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Jeder Vierte ist mindestens einmal im Lauf seines Berufslebens von Mobbing betroffen. "Ob sich das Böse im Menschen manifestiert, hängt maßgeblich von seinen Rahmenbedingungen ab", sagt Mobbing-Expertin Christa Kolodej im Interview mit derStandard.at. Entscheidend sei nicht die Persönlichkeit sondern die Betriebskultur. Für die Buchautorin und Leiterin der Beratungsstelle "Work & People" ist Mobbing ganz klar ein "Führungsthema". Die Fragen stellte Oliver Mark.

derStandard.at: Wo liegt die Grenze zwischen einem "normalen" Konflikt am Arbeitsplatz und Mobbing?

Kolodej: Unter Mobbing versteht man die systematischen Schikanen am Arbeitsplatz, die zu zunehmender Isolierung unter der Voraussetzung eines Machtungleichgewichtes bei den Betroffenen führt. Wenn zum Beispiel jemand ein, zwei Tage nicht gegrüßt wird, dann hat das mit Mobbing nichts zu tun. Bei der streng wissenschaftlichen Definition spricht man erst nach einem Zeitraum von einem halben Jahr von Mobbing. Es muss eine Prozesshaftigkeit gegeben sein. Man muss erkennen, dass es systematisch betrieben wird.

derStandard.at: Wie viele sind in Österreich mit Mobbing konfrontiert?

Kolodej: Jede vierte Person ist mindestens einmal im Laufe ihres Berufslebens von Mobbing betroffen. Eine europaweite Untersuchung hat gezeigt, dass neun Prozent der ArbeitnehmerInnen im laufenden Jahr gemobbt werden.

derStandard.at: Wie sehen die verschiedenen Eskalationsstufen aus?

Kolodej: Die meisten Prozesse beginnen mit einem Konflikt, der nicht gelöst wird. Der Konflikt eskaliert und mündet dann in Mobbing. Am Anfang ist oft gar nicht klar, wer Opfer und wer Täter ist. Es kristallisiert sich erst im Prozess heraus und hat meist etwas mit inneren und äußeren Ressourcen zu tun. Wie stabil ist eine Person? Wie viele UnterstützerInnen hat sie? Hat sie Regenerationsmöglichkeiten? Da spielen viele Faktoren eine Rolle, ob jemand zum Betroffenen wird oder nicht.

derStandard.at: Ist das eine Frage der Persönlichkeitsstruktur, ob man jetzt eher Opfer oder Täter wird?

Kolodej: Die Statistiken der letzten 15 Jahre zeigen, dass sich die Persönlichkeit zwischen Opfern und Tätern nicht gravierend unterscheidet. Der Unterschied liegt in den Unterstützungssystemen. Manche verfügen über solche im sozialen Umfeld und manche nicht. Der einzig wirkliche Unterschied ist, dass sich Betroffene weniger zur Wehr setzen. Wenn man von Mobbing betroffen ist, muss man sich gleich wehren, sonst ist die Gefahr groß, dass es noch mehr eskaliert.

derStandard.at: In welcher Form sollte man sich zur Wehr setzen? Unterstützung im persönlichen Umfeld suchen oder gleich zum Betriebsrat gehen?

Kolodej: In der Regel geht es vom Kleinen ins Größere. Zum Beispiel fürs Erste dem Angreifer ganz klar ein Stoppsignal zeigen oder mit Kollegen über die Situation sprechen. Eine Möglichkeit ist auch ein vertrauliches Gespräch mit dem Betriebsrat oder gleich externe Beratung in Anspruch zu nehmen, um die Situation überhaupt einmal zu analysieren und die nächsten Schritte strategisch zu planen. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, um sich gegen Mobbing zur Wehr zu setzen. Man fängt immer mit der kleinsten Intervention an und es sollte keine Hierarchieebene übersprungen werden.

derStandard.at: Ob Mobbing am Arbeitsplatz stattfindet, ist ja auch von der jeweiligen Unternehmenskultur abhängig. Welche Faktoren sind entscheidend?

Kolodej: Es ist ganz eindeutig, dass Mobbing ein Führungsthema ist. In einem Betrieb, wo es eine Kultur gibt, die Mobbing sanktioniert bei gleichzeitiger Etablierung einer Konfliktkultur, wird man Mobbing in einem sehr, sehr geringen Ausmaß finden. Der demokratische Führungsstil ist jener, der am ehesten in Bezug auf Mobbing präventiv ist. Die Meinungen der Mitarbeiter werden eingeholt, Konflikte werden zugelassen und vernünftig ausgetragen. Wenn Sie den Schmutz immer unter den Teppich kehren, werden Sie ihn nicht mehr wegbekommen.

Transparenz in der Aufgabenverteilung ist auch ein wichtiger Faktor. Sollte allerdings Mobbing schon im Spiel sein, muss die Führungskraft eingreifen. Das kann durchaus auf eine autoritäre Weise erfolgen. Es gibt eine juristische Verpflichtung, nämlich die Fürsorgepflicht, des Vorgesetzten einzugreifen.

derStandard.at: Am Ende des Prozesses, falls das Mobbing-Problem nicht gelöst werden kann, steht dann die Kündigung?

Kolodej: Ob der Arbeitnehmer kündigt, vorzeitig austritt oder allenfalls eine einvernehmliche Auflösung anstrebt, ist letztlich eine Entscheidung, die davon abhängig sein wird, ob dem Arbeitnehmer die Fortsetzug des Arbeitsverhältnisses noch zumutbar ist. Vor dieser für finanzielle Ansprüche weit reichenden Entscheidung sollte der Arbeitnehmer unbedingt juristische Beratung einholen.

derStandard.at: Mobbing per se ist rein rechtlich gesehen also ein Entlassungsgrund?

Kolodej: Wenn der Vorgesetzte den Mitarbeiter ermahnt, Mobbing gegenüber dem Kollegen zu unterlassen und dieser darauf nicht reagiert, kann dies - je nach Schwere der Handlungen und/oder Folgen - einen Entlassungsgrund darstellen. Ohne die Prüfung durch einen Juristen würde ich das als Arbeitgeber aber nicht machen.

derStandard.at: Laut Statistiken gibt es im skandinavischen Raum weniger Mobbing. Ist das rein eine Frage der Unternehmenskultur und der nicht so strengen Hierarchien, wo Machtausübung dann nicht in dieser Form stattfinden kann?

Kolodej: Man geht davon aus, dass in Österreich die Hierarchien steiler sind als in Skandinavien und Mobbing deswegen häufiger vorkommt.

derStandard.at: Welche Bedeutung hat der Bildungsstand bei Mobbbing?

Kolodej: In Bezug auf die Bildung lässt sich sagen, dass Mobbing in allen Schichten stattfindet. Es hat nur andere Ausformungen. Je höher die Person, die mobbt, in der Hierarchie angesiedelt ist, desto subtiler sind die Strategien.

derStandard.at: Auf welchen Ebenen spielt sich Mobbing am ehesten ab? Zwischen Vorgesetzten und Untergebenen?

Kolodej: Da hat es starke Veränderungen gegeben. Vor 15 Jahren hat das Mobbing in derselben Hierarchieebene am häufigsten stattgefunden. Heute gibt es den gleichen Anteil zwischen Mobbing und Bossing. Bossing bedeutet Mobbing von einem Vorgesetzten zu einem oder mehreren Untergebenen. Bei der Häufigkeit an der dritten Stelle rangiert das so genannte Staffing. Hier mobben mehrere Untergebene einen Vorgesetzten.

derStandard.at: Wird Bossing in erster Linie betrieben, um Personal abzubauen?

Kolodej: Es haben sich zwei verschiedene Formen entwickelt. Die eine Form des Bossing ist, dass ein unliebsamer Mitarbeiter aus persönlichen Gründen schikaniert wird. Zum Beispiel weil er als Konkurrent gesehen wird. Die andere Form ist ein strukturelles Mobbing, das nicht auf einen persönlichen Konflikt zurückzuführen ist. Die Firma will Personal abbauen und bedient sich dafür des Mobbings, weil diese Mitarbeiter vielleicht unkündbar sind oder eventuell eine hohe Abfertigung bekommen würden.

derStandard.at: Dann war es vor kurzem bei der Telekom ein klassischer Fall von Bossing, wo der Personalverantwortliche erklärt hat, wie das Unternehmen agiert, damit überschüssige Mitarbeiter von sich aus das Handtuch werfen.

Kolodej: Ich kenne die genauen Details des Falls nicht. Den Medien entnehme ich, dass Herr Nemsic offen klar gestellt hat, dass Mobbing bei der Telekom nicht stattfindet und den Personalverantwortlichen von seiner Personalfunktion entbunden hat.

derStandard.at: Da haben auch die Proteste der Mitarbeiter und der mediale Aufschrei einen Teil dazu beigetragen.

Kolodej: Ja, denn beim Mobbing muss man sich zur Wehr setzen, sonst enden die Attacken nicht. Sie werden in der Regel sogar noch stärker. Die Gegenwehr ist oft deswegen so schwierig, weil Mobbing immer unter einem Machtungleichgewicht stattfindet. Da ist dann das strategische Intervenieren so wichtig und dass man sich Bündnispartner ins Boot holt. Im Konfliktmanagement heißt es, dass man mindestens zu zweit sein muss, um einen Konflikt positiv zu beenden, wenn es um eine Gruppe geht.

derStandard.at: Wenn man in seinem direkten Arbeitsumfeld Mobbing bemerkt: Welche Form der Hilfe ist empfehlenswert?

Kolodej: Unterstützung kann etwa sein, dass ein Kollege oder Partner vorschlägt, gemeinsam eine Mobbingeberatung in Anspruch zu nehmen. Diese ist zum Beispiel bei der Arbeiterkammer kostenlos. Wenn man lange in einer Mobbingsituation ist, ist man meist völlig zermürbt oder desillusioniert und braucht eben Hilfe. Zivilcourage ist bei Mobbing ein sehr wichtiger Punkt. Die Mehrzahl der beendeten Mobbingattacken hat deshalb aufgehört, weil jemand interveniert hat. Wenn eine Person aus einer Arbeitsgruppe aus dem Job herausgemobbt wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass danach eine andere Person an die Reihe kommt. Das ist eine Art Sündenbockfunktion.

derStandard.at: Wenn das ein universeller menschlicher Sadismus ist, dass Personen schikaniert werden, dann kann man also nur auf der präventiven, strukturellen Ebene ansetzen?

Kolodej: Ich bin davon überzeugt, dass man über die Führungs- und Betriebskulturebene Mobbing verhindern kann. Ob sich das Böse im Menschen manifestiert, hängt maßgeblich von seinen Rahmenbedingungen ab. Die ganzen psychologischen Experimente wie zum Beispiel jenes von Milgram haben gezeigt, dass fast jeder Mensch das Potenzial hat, das Böse auszuleben. Die Rahmenbedingungen und weniger die Persönlichkeit entscheiden letztendlich, ob die Personen das tun oder nicht. Deswegen ist es so elementar, dass die Führung Verantwortung übernimmt und ganz klar signalisiert, dass Mobbing sanktioniert wird und es kein Kavaliersdelikt ist.

derStandard.at: Gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen wirtschaftlich schwierigen Zeiten und der Zunahme von Mobbing?

Kolodej: Ja, Mobbing nimmt eindeutig zu. Wenn man sich die Medienberichte anschaut, dann merkt man, dass Mobbing im Vormarsch ist. Es wird um den Arbeitsplatz stärker gekämpft und da kommen alle Mittel zum Einsatz. Eine Zunahme gibt es auch im Bereich des strukturellen Mobbings, wo Unternehmen auf diese Weise teure oder pragmatisierte Mitarbeiter abbauen wollen. (derStandard.at, 11.3.2009)