Im Trubel um Milliardenpleiten, Arbeitslosigkeit und Kriege ging die Ernennung von Tom Vilsack fast unter. Dabei ist sie durchaus eine wichtige Weichenstellung für das Leben in Amerika.

Vilsack war Gouverneur von Iowa, und Obama hat ihn zu seinem Landwirtschaftsminister gemacht. Damit erteilte der Präsident allen eine Abfuhr, die gehofft hatten, dass er ein großes Problem Amerikas gleich grundsätzlich angehen würde. Dass er einen gordischen Knoten von Problemen zerschlagen werde: die Nahrungsmittelproduktion und -industrie, die durch sie verursachten Umweltschäden, die immer schlechteren Essgewohnheiten vieler Amerikaner und die damit verbundenen wachsenden gesundheitlichen Folgen und entsprechende Kosten.

Iowa ist nicht der Boden, auf dem Alternativen wachsen. Vielmehr blühen und gedeihen dort üppig gedüngte, mit Pestiziden behandelte, auch genetisch modifizierte Monokulturen. Nach Iowa reist jeder Politiker, der die Unterstützung der Nahrungsmittelindustrielobby braucht. Hillary Clinton hatte sie, Vilsack, ein Anwalt mit guten Beziehungen zum Agro-Business, war im Vorwahlkampf auf ihrer Seite.

Damals, im vergangenen Frühjahr, war der auf Ernährungs- und Umweltfragen spezialisierte Autor Michael Pollan noch zuversichtlich, dass Obama eine andere Richtung einschlagen würde. Die jetzige sei eine Sackgasse, sagte er. Was die Amerikaner zu sich nehmen, sei immer weniger "Food" - also Lebensmittel -, dafür Substanzen aus Labors, mit künstlichen Zusätzen verarbeitet und mit maximalem Profit vermarktet.

Und immer mehr davon, ohne Einwände: Die Nahrungsmittelindustrie hat durchgesetzt, dass alle Empfehlungen der obersten US-Gesundheitsbehörden vage bleiben und vor allem nie sagen dürfen, man möge weniger von irgendetwas - vor allem Fleisch, Fett, Zucker - essen.

Für Pollan ebenso wie für Marion Nestle, Mitverfasserin des Regierungsberichts über Ernährung und Gesundheit 1988, ist das Grundsätzliche einfach gesagt: "Esst Lebensmittel (statt siehe oben). Nicht zu viel. Vor allem Pflanzliches."

Die Wirklichkeit aber ist kompliziert, und Nestle ist sich der Widerstände gegen das, was für sie eine vernünftige Agrar- und Ernährungspolitik hält, bewusst: "Seit den Siebzigerjahren wurden Farmer dafür mit Subventionen belohnt, dass sie so viel wie möglich produzierten. Das Resultat war ein Anstieg der täglichen Kalorien pro Kopf von 3200 auf 3900. Dazu kam, dass die Produktion immer mehr unter den Druck der Shareholder geriet und dass der Kongress das an Kinder gerichtete Marketing von Lebensmittel deregulierte. Man hat die Leute daran gewöhnt, dauernd irgendetwas zu essen, die Prozentzahlen an Übergewicht sind dementsprechend erschreckend hoch."

Keine Kultur ist so besessen von neuesten Diäten und "richtigem" Essen wie die amerikanische Mittelschicht, und keine Esskultur gilt unter Experten, die internationale Daten vergleichen, als so ungesund wie die "western diet", also das, was auch wir in immer größerem Maß zu uns nehmen.
Pollan plädiert dafür, Essen wieder als Kulturgut ernst zu nehmen und seiner industriellen Beschleunigung und den damit verbundenen Zivilisationskrankheiten entgegenzuwirken.

Gute Nahrung hat allerdings ihren Preis. Die gegenwärtigen Krise, sagt Nestle, arbeite eher den industriellen Großproduzenten in die Hände. "Und Obama ist bisher als Zentrist an die Probleme herangegangen. Doch wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben." (Michael Freund, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.1.1.2009)