Sie heißen Goldkugel, Orange Königin und Große Stummerer. Sie schmecken nach Melone, Kiwi, Zuckerrübe oder einfach nach Tomate: Tausende Sorten Paradeiser locken. Aber nicht viel mehr als ein Dutzend ist fit für die Supermärkte.

Foto: Standard/Heribert Corn

Die Lebensmittelkette Spar bringt im Herbst eine Marke für Obst- und
Gemüseraritäten auf den Markt. Auch Rewe holt fast vergessene Sorten zurück in die Regale. Der Weg aus dem Einheitsgeschmack ist steinig.

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Erwin Binder testet Paradeiser. An die 200 Sorten hat er auf seinem Betrieb im Burgenland angebaut. Fünf bis sechs davon eigneten sich für den Supermarkt, sagt er. Sie seien robust und haltbar genug, liefern ausreichend Ertrag, geben viel fürs Auge her. Ja, und sie schmeckten vor allem auch gut. Der Bio-Bauer spezialisiert sich auf in Vergessenheit geratene Gemüsesorten. Die konventionelle Landwirtschaft habe ihn nicht interessiert, erzählt er. Mit immer größerer Fläche immer billigere Produkte zu liefern sei nicht sein Ding. Heute baut er mit 80 Mitarbeitern überwiegend für die Handelskette Rewe an. 15 Sorten ihrer Paradeiser kommen von seinen Feldern.

Dass er mit diesen Raritäten heuer Gewinne macht, bezweifelt er. Auch wenn der Handel gute Preise biete, mit niedrigeren Margen vorliebnehme und der Kunde dafür doppelt so viel bezahle wie für konventionelle Tomaten. Der Anbau alter Sorten sei eben aufwändig, der Ertrag nur halb so groß wie bei Hybriden, die durch Kreuzung von Inzuchtlinien entstehen. "Noch ist es ein Nullsummenspiel, aber ich bin überzeugt, es wird ein Geschäft."

Österreichs Handel entdeckt die Vielfalt. Über Jahre ließen die Supermärkte nicht mehr als ein, zwei Sorten je Gemüse und Obst in ihre Regale. Wie aus dem Bilderbuch eines Artdirectors mussten der Apfel und die Tomate sein: mit roten Backen, aber ohne Flecken, mit fester Schale, damit sie Transporte unbeschadet überstehen, lange haltbar, einheitlich in der Größe und im Geschmack. Wer Abwechslung wollte, konnte ja zur Ananas oder Mango greifen. Doch der Biotrend hat die Gaumen der Kunden sensibilisiert. Von Hochglanz allein lassen sich immer weniger blenden, "Einheitsbrei schmeckt nicht mehr" , so Bioexperte Wilfried Oschischnig.

"Die Konzentration auf seltene Sorten setzt den Biotrend fort, das ist eine geniale Idee" , meint Wolfgang Richter, Chef des Beraters Regioplan, "und wer es schlau macht, kann damit viel Geld verdienen."

Spar lanciert im Herbst eine eigene Marke für Gemüse- und Obstraritäten, erfuhr der Standard. Unter dem Label sollen alte Sorten gelistet werden, blaue Erdäpfel sind unter den Fixstartern. Rewe führt mehr als 30 seltene Sorten. Alois Posch etwa baut für die Kette 13 Paprika-Variationen an, die mit Namen wie Sweet Chocolate und Cornetto locken. "Ich habe mich in alte Sorten verliebt", sagt der Steirer. Und der Handel habe registriert, dass Vielfalt ankomme. "Mit Bio allein kann man sich vom Diskont nicht mehr abheben."

Rewe bemüht sich intensiv darum, Spezialisten unter Bauern für sich zu gewinnen. Auch mit der "Arche Noah", die viele unter ihnen mit rarem Saatgut versorgt, werden engere Kooperationen gepflegt, sagt ihr Obmann Peter Zipser. Neben Rewe sei Hofer an die Arche herangetreten. Von einer eigenen Lebensmittellinie für alte Landsorten sei die Rede; die Schweizer Handelskette Coop lebe Ähnliches vor.

Harte Auslese

Doch der Weg zurück in die Vielfalt führt über ein über Jahrzehnte unbeackertes Feld. Schnell gehe da gar nichts, meint Zipser. Es sei ein Drama, wie viel Wissen über alte Sorten verlorengegangen ist. Sie sind zudem weniger resistent und ertragreich. Kritiker sprechen daher von Ressourcenvergeudung in Zeiten der Rohstoffknappheit - und von hohen Preise, die sich nur eine Minderheit leisten könne.

Schwer wiegt im Handel, dass Landsorten optisch nicht makellos sind. Bereits jetzt wird bis zu ein Drittel der Bioprodukte aussortiert, da sie nicht den Kriterien der Supermärkte entsprechen.

Biohändler Stefan Maran sieht große Ketten überhaupt als ungeeignet an, um mit kleinen Mengen zu jonglieren. Abgesehen davon gebe es viel zu wenig Produzenten für Raritäten. "Einzelkämpfer reichen für professionelle Vermarktung nicht aus." Noch dazu will mancher Spezialist von Konzernen nichts wissen: Paradeiskönig Erich Stekovics etwa pflegt im Burgenland mehr als 3200 Sorten - Rewe hat sich bisher vergeblich um ihn bemüht. Auch Gerhard Zoubek, Chef des Biobetriebs Adamah, lehnt den Vertrieb über Supermärkte ab. "Es ist keine Beziehung auf Augenhöhe. Die Gefahr der Abhängigkeit ist zu groß."

Misstrauisch ist auch der Kunde. Viele haben verlernt, mit alten Sorten zu kochen, so Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Das Rezept der Kette: Kooperationen mit Köchen. (Verena Kainrath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.8.2008)