Marjane Satrapi, hier bei einer Präsentation des Films "Persepolis" in Madrid.
Nacho Gallego

STANDARD: Frau Satrapi, Sie hätten ein Hollywoodstar werden können.

Satrapi: Ja, ich bekam Vorschläge aller Art, zum Beispiel für eine Fernsehserie im Stil von Beverly Hills mit Teheran als Schauplatz. Aber ich gebe mich nicht her für solche Projekte, wenn der einzige Unterschied darin besteht, dass die Iraner die "Netten" wären. Ich bin Künstlerin, ich urteile nicht über Gut oder Böse. Ich beschreibe nur. Und das ist schon genug an künstlerischer Herausforderung. Besonders beim ersten Film!

STANDARD: War es naheliegend, aus dem Comic "Persepolis" einen Trickfilm zu machen?

Satrapi: Nur auf den ersten Blick. In Wahrheit sind es zwei total verschiedene Medien. Beim Comic wird der Leser selber aktiv und stellt sich vor, was sich zwischen zwei Feldern ereignet. Ein Film gibt hingegen alles vor, neben den Bildern auch den Ton, den Rhythmus, die Stimmen. Es wäre gefährlich gewesen, einfach die Zeichnungen zu verfilmen. Das Ganze hätte nicht geatmet, wie es bewegte Bilder tun können. Wir wollten aber unbedingt einen Trickfilm und seine Verfremdungseffekte. Das erlaubt es auch, die Geschichte aus dem iranischen Alltag auf eine menschlich-universelle Ebene zu heben.

STANDARD: Der Film handelt von einer Iranerin, die aus einem kriegsversehrten Land in den Westen reist, vom Exil, vom Entwurzeltsein.

Satrapi: In den 1980er-Jahren, als der Iran gegen den Angriff aus dem Irak kämpfte, schickten viele Eltern der gehobenen Mittelklasse ihre Kinder aus Teheran in den Westen zur Ausbildung. Es kostete sie oft sehr viel, ihr Kind dem Schrecken des Krieges entkommen zu lassen. Für uns war es aber auch nicht leicht. In Österreich, meiner ersten Etappe, musste ich oft erklären, dass mein Vater nicht drei Frauen hat und warum ich zuhause nicht auf dem Kamelrücken reite. Sie wunderten sich, dass ich schon Ski gefahren war und Alkohol getrunken hatte. Stellen Sie sich vor, Sie kommen aus dem damals schon sehr modernen Teheran in ein kleines österreichisches Nest, und man erklärt Ihnen, hier sei die Modernität. Die hatten nicht einmal ein Kino im Dorf!

STANDARD: ... dafür "Derrick" und pubertierende Punks, wie Sie in dem Film zeigen. Man lacht oft, sogar bei den Szenen aus dem Kriegsalltag in Teheran.

Satrapi: Im Iran macht man über tragische Ereignisse gerne Scherze. Das Leben ist so kurz und schwierig, dass man alles nur noch schlimmer macht, wenn man es nicht leichten Schrittes durchschreitet. Humor ist auch eine Frage der Intelligenz. Lachen ist zudem sehr kommunikativ. Weinen können Sie allein in Ihrer Ecke, aber lachen tun sie mit ihren Freunden. Für mich persönlich ist Humor auch eine höfliche Art, über aussichtslose Situationen zu sprechen. Er ist auch eine Frage des Anstandes.

STANDARD: Erstaunt es Sie, zu hören, wie wenig man im Westen über den irakisch-iranischen Krieg von 1980 bis 1988 wusste?

Satrapi: Gewiss. Das war einer der schlimmsten Kriege der jüngeren Zeit und kostete eine Million Menschen das Leben. Nebenbei war damals der gesamte Westen für Saddam Hussein! Er wurde erst nachher der Bösewicht.

STANDARD: Heute hat der Iran diese Rolle. Verteidigen Sie ihr Land?

Satrapi: Es ist nicht eine Frage des "Verteidigens". Ich bin nicht Politikerin oder Historikerin und schon gar nicht Predigerin. Noch einmal: Ich beschreibe als Künstlerin nur, wie die Situation ist. Wie kompliziert sie im Iran ist. Die Leute sollen sich dann selber ihre Meinung bilden.

STANDARD: Man spürt im Film Ihre innerliche Zerrissenheit gegenüber Ihrem Land - Ihrem Mutterland, das aber von Fanatikern regiert wird.

Satrapi: Ich bin auch sehr kritisch gegenüber George Bush, obwohl ich die USA liebe und dort häufig arbeite. Die Zerrissenheit rührt auch daher, dass eine Hälfte von mir immer noch im Iran lebt.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass Ihr Film im Iran verboten ist? Auch in Thailand wurde er zensuriert.

Satrapi: Der Festivalveranstalter in Bangkok, der den Film zeigen wollte, fragte die iranische Botschaft in Thailand an, was sie von dem Film halte. Da erhielt er natürlich die Antwort, dass sei eine problematische Sache. Dabei ist es gar kein politischer Film. Ich sage auch nicht, die Bärtigen seien die Bösen, und die anderen seien die Guten. Natürlich gibt es in dem Film den Hintergrund der islamischen Revolution, aber mir geht es nicht darum, sondern um die Menschen, die in dieser Situation leben.

STANDARD: Gerade die Iranerinnen haben es aber alles andere als leicht.

Satrapi: Im Westen hat man davon ein falsches Bild. Gewiss ist das Gesetz gegen die Frauen, und gewiss zählen diese nur die Hälfte des Mannes. Aber es gibt auch die Realität, dass im Iran 64 Prozent der Studenten - sogar an den technischen Universitäten - Mädchen sind. Zwei Drittel! Die Frauen haben verstanden, dass ihre Chance - auch ihre finanzielle Unabhängigkeit - in der Bildung besteht. Klar, sie dürfen nicht in die Fußballstadien. Dafür können sie arbeiten und sogar Lastwagen-Chauffeur werden, wenn sie wollen! Im Iran ist eben alles möglich, auch sein Gegenteil. Ich selbst habe in Teheran immer geraucht und Rolling Stones gehört. (Stefan Brändle, DER STANDARD, Print, 27.11.2007)