Wien - Schon vor der ersten Runde der Gehaltsverhandlungen für den Öffentlichen Dienst am 16. Oktober sind sich Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer (F) und der Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD), Fritz Neugebauer, in die Haare geraten. Nach einem ersten Sondierungsgespräch am Dienstagnachmittag sahen beide Seiten Inhalt und Ergebnis der Unterredung völlig unterschiedlich. Während Neugebauer ein Zugeständnis Riess-Passers zu einer vollen Inflationsabgeltung für 2002 sah, wollte die scheidende Vizekanzlerin davon nichts wissen. Neugebauer hat nun am Mittwoch in einem Schreiben an rund 170 Spitzenfunktionäre der GÖD, in dem er über das Sondierungsgespräch informierte, seine Sicht der Dinge bekräftigt: "Entgegen der bisherigen ablehnenden Haltung der Frau Vizekanzler räumte sie ein, dass es zur Inflationsabgeltung für das Jahr 2002 kommen werde." Riess-Passer hatte hingegen zuvor erklärt: "Ich weiß nicht, bei welchem Gespräch Herr Neugebauer war, dieses kann es mit mir nicht gewesen sein. Ich habe keine Inflationsabgeltung zugestanden noch sonst was. Diese Frage stellt sich im Jänner." GÖD fordert volle Inflationsabgeltung Im Gehaltsabkommen vom 4. Oktober 2000 war für 2001 eine Erhöhung um 500 Schilling (36,3 Euro) und für 2002 um 0,8 Prozent vereinbart worden. Gleichzeitig wurde eine nachträgliche Überprüfung der Inflationsrate zum 1.1.2003 und eine "sich daraus ergebende Anpassung" vereinbart. Die GÖD fordert unter Berufung auf diese Vereinbarung die volle Inflationsabgeltung, Riess-Passer lehnt dies hingegen ab, sie kann eine Verpflichtung dafür nicht aus der Vereinbarung herauslesen. Laut jüngster WIFO-Prognose liegt die Inflation heuer bei 1,8 Prozent. Gleichzeitig mit der Inflationsabgeltung für heuer fordert die GÖD für 2003 eine Abgeltung der prognostizierten Inflationsrate von 1,4 Prozent und einen angemessenen Anteil am Wirtschaftswachstum. Dazu schreibt Neugebauer in seiner Information an seine Funktionäre: "Völlig uneinsichtig zeigte sich die Vizekanzlerin jedoch bezüglich des Verlangens der GÖD, beide Probleme Zug um Zug zu lösen. Die öffentlich Bediensteten sind nicht bereit, sich vertrösten zu lassen. Die Bundesregierung hat auch in Vor- und Nachwahlzeiten ihre Verantwortung als Dienstgeber und Sozialpartner wahrzunehmen." Appell an Schüssel Neugebauer fordert daher Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) auf, bis zur ersten Verhandlungsrunde am 16. Oktober "dafür zu sorgen, dass die Realisierung der Gehaltsrunde 2002 sowie der Gehaltsrunde 2003 zügig verhandelt und ehestens abgeschlossen werden kann". Nach Darstellung Riess-Passers wurde bei dem Sondierungsgespräch lediglich vereinbart, die Lohnrunde für 2003 zu verhandeln. Um die unteren Einkommensbezieher zu bevorzugen, tritt sie für eine Fixbetragsregelung ein. Die Stimmung bei dem Sondierungsgespräch beschrieb Riess-Passer als "sehr unangenehm", Neugebauer sei "sehr aggressiv" gewesen. (APA)