Zwei Rennräder im Straßenverkehr
Am Radweg oder auf der Straße? Mit Reflektoren oder ohne? Was man mit einem Rennrad darf, ist klar geregelt. Was ein Rennrad ist aber nicht.
IMAGO/Michael Gstettenbauer

Was ist ein Rennrad? Für die einen ist es der mobile Mittelpunkt ihres Lebens. Für die anderen ein unerschöpflicher Quell für Wutausbrüche im Stoßverkehr.

Das österreichische Recht sieht die Sache naturgemäß nüchterner: "Als Rennfahrrad gilt ein Fahrrad mit folgenden technischen Merkmalen: 1. Eigengewicht des fahrbereiten Fahrrades höchstens 12 kg; 2. Rennlenker; 3. äußerer Felgendurchmesser mindestens 630 mm und 4. äußere Felgenbreite höchstens 23 mm", ist in der von der damaligen Verkehrsministerin Monika Forstinger (FPÖ) 2001 erlassenen Fahrradverordnung zu lesen. Die Passage über "Rennfahrräder" wurde darin wortgleich aus einer früheren Verordnung aus dem Jahr 1986 übernommen. Hat sich bewährt, sollte man meinen.

Die Sache hat allerdings zwei Haken. Erstens: Was ist ein Rennradlenker? Auf die Schnelle kommen gebogene Lenker (Drop-Bars) in den Sinn. Wie aber sieht das mit Zeitfahrlenkern aus, die ohne die charakteristische Biegung auskommen? Sie haben sich erst in den 1980ern aus dem Triathlon heraus entwickelt – 1986 hatte man sie wohl noch nicht auf dem Schirm.

Zweitens: Spätestens mit dem Siegeszug der Scheibenbremse am Rennrad im letzten Jahrzehnt sind Rennradfelgen breiter geworden, um voluminöseren Reifen Platz zu geben, was Vorteile bei Komfort und Rollwiderstand bringt. Bei den größten Anbietern wird kaum jemand eine Felge finden, die schmaler ist als 23 Millimeter. 24 oder 25 Millimeter bilden den neuen Standard.

Das sind nicht 23 Millimeter

Was wie eine akademische Diskussion unter Technik-Nerds anmutet, hat gravierende rechtliche Konsequenzen. Dem Gesetz nach werden Rennräder nämlich gegenüber anderen Fahrrädern "bevorzugt".

Gibt es neben einer Straße einen Radweg, müssen Rennradfahrerinnen und -fahrer diesen "bei Trainingsfahrten" nicht benützen, heißt es in der Straßenverkehrsordnung (§ 68 Abs. 1 StVO). Sie dürfen bei ebensolchen Ausfahrten auch nebeneinanderfahren (Abs. 2). Anders als andere Fahrräder müssen Rennräder laut Fahrradverordnung nicht mit einer "Vorrichtung zur Abgabe von akustischen Warnzeichen" – vulgo Klingel – ausgestattet sein; ebenso benötigen sie keine Rückstrahler (§ 4 Abs. 2 Fahrradverordnung).

All das gilt für Lenkerinnen und Lenker von Rennrädern nicht mehr, wenn sich die Technik ihrer Gefährte aus dem rechtlichen Rahmen hinausentwickelt hat – etwa wegen ihrer Felgenbreite. An die aerodynamischen Carbonlaufräder müssten also eigentlich Reflektoren montiert werden, an den ebenso windschnittigen Lenker eine Klingel, und statt der schnellen Fahrt auf der samtweichen Bundesstraße gäbe es nur noch Dahinhumpeln auf dem mit Schlaglöchern übersäten Radstreifen daneben.

"Kein Spielraum" für Polizei

Was aber sagt das Klimaschutzministerium von Leonore Gewessler (Grüne) dazu? Als Nachfolgerin des Verkehrsministeriums, aus dessen Feder die entsprechende Verordnung stammt, ist ihr Ministerium nun für die Sache zuständig.

Die Antwort bleibt unkonkret: "Die technische Ausstattung von Fahrrädern entwickelt sich – wie auch bei anderen Fahrzeugen – laufend weiter. Das erfordert selbstverständlich auch regelmäßige Nachziehungen der rechtlichen Vorgaben", heißt es auf STANDARD-Anfrage. Eine Aktualisierung der Fahrradverordnung werde "derzeit geprüft und auch mit dem betroffenen Fachhandel diskutiert", heißt es weiter aus dem Büro Gewessler.

Die Fahrradverordnung lässt der Polizei keinen Spielraum.
Reither Kogel Trohy/Lukas Bauhof

Auf die Frage, mit welchen Konsequenzen Rennradfahrerinnen und -fahrer rechnen müssen, die bei einer Verkehrskontrolle mit einer um zwei Millimeter zu breiten Felge ertappt werden, antwortet seinerseits das Innenministerium, man wolle "fiktive Was-wäre-wenn-Beispiele" nicht "näher und final ausführen".

Gleichzeitig hält man im Innenministerium fest: "Die Fahrradverordnung lässt den einschreitenden Organen keinen Spielraum, da die Beurteilungsvoraussetzungen für ein Rennrad taxativ aufgezählt sind."

Konsequenzen für Haftpflicht?

Die Landespolizeidirektion Wien teilt dem STANDARD auf Anfrage mit, dass im Falle einer Beanstandung ein Organmandat in Höhe von 20 Euro eingehoben würde. Dazu verweist man auf § 99 Abs. 3 StVO, der bei einem Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung eine Verwaltungsstrafe von bis zu 726 Euro vorsieht – und im Fall der Uneinbringlichkeit bis zu zwei Wochen Freiheitsstrafe.

Zusätzlich ist auch nicht ausgeschlossen, dass bei einem Unfall vonseiten der gegnerischen Haftpflichtversicherung ein Mitverschulden eingewendet wird, erklärt die Verkehrsrechtsexpertin und Anwältin Heike Sporn – die selbst als Triathletin am Zeitfahrrad unterwegs ist – dem STANDARD.

Im Einzelfall wäre aber zu prüfen, ob das Fehlen der notwendigen Sicherheitsausrüstung ursächlich für den Unfall gewesen ist und ob es überhaupt zumutbar gewesen wäre, einen im gegebenen Fall vorhandenen Radweg mit einem Rennrad zu benutzen – etwa wegen seines schlechten Zustands.

"Tatsächlich bewegen sich bei der aktuellen Gesetzeslage Rennradfahrer bei Trainingsfahrten in einer rechtlichen Grauzone, einfach weil es einerseits keine klare Definition des Lenkers und der Trainingsfahrt gibt und darüber hinaus der Begriff 'Rennfahrrad' aufgrund der technischen Entwicklung im Straßenradrennsport im High-End-Bereich schon lange nicht mehr erfüllt wird", befindet Sporn. Eine Adaptierung der Fahrradverordnung hält sie daher für dringend notwendig.

Mann auf Triathlonrad mit Zeitfahrlenker.
Ein Rennrad muss per Verordnung einen Rennlenker haben. Ob ein Zeitfahrlenker wie am Bild dazu zählt, ist unklar.
IMAGO/ingimage

Noch einmal komplizierter wird die Sachlage übrigens, wenn man auch Elektrorennräder in die Rechnung mit einbezieht. Je nach Ausführung können diese mit Motor und Akku die Obergrenze von zwölf Kilogramm sprengen – was noch ein Grund mehr wäre, damit auf den Radweg verbannt zu werden.

Verordnung aus der Stahlrad-Epoche

Die rechtliche Bestimmung dessen, was ein "Rennfahrrad" ist, stammt in Österreich aus einer Zeit, in der Rennräder noch weitgehend aus Stahl gebaut, mit Rahmenschaltungen bestückt und mit Riemenpedalen versehen wurden. Seitdem hat sich das Rad der Zeit weitergedreht – und die Technik des Rennrads hat sich mit ihm entwickelt. "Es wäre an der Zeit, dass auch das österreichische Recht davon Notiz nimmt", fasst Heike Sporn die Problematik zusammen. (Michael Windisch, 6.4.2024)