Bestsellerautorin Naomi Novik und ihr Siegerroman "Uprooted".

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Hat "Star Wars" und "The Martian" geschlagen: "Mad Max: Fury Road".

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Chicago – Genrebezogen vielfältig, geschlechtsbezogen nicht: So sieht in aller Kürze die Bilanz der heurigen Nebula Awards aus, der von den professionellen Science-Fiction- und Fantasy-Autoren Nordamerikas vergebenen Preise für SFF-Literatur. Die auf einer Gala in Chicago ausgezeichneten Werke verteilen sich auf die Genres Fantasy, Space Opera, Dystopie und Horror, haben aber alle etwas gemeinsam: Sie stammen durch die Bank von Schriftstellerinnen.

Bester Roman

Den Preis für den besten Roman erhielt eine auch deutschsprachigen Lesern wohlbekannte Autorin: Seit mittlerweile zehn Jahren schreibt die New Yorkerin Naomi Novik an ihrem Alternate-History-Zyklus "Temeraire" (auf Deutsch "Die Feuerreiter Seiner Majestät") über die Napoleonischen Kriege auf einer Erde mit Drachen. Der neunte und letzte Band dieser Reihe soll noch heuer erscheinen.

Ihr Siegerroman "Uprooted" gehört jedoch nicht zu diesem Zyklus. Der Fantasyroman erzählt die Geschichte eines Dorfes, das unter dem Schutz eines Magiers steht, der als Bezahlung ganz nach Drachenart alle paar Jahre eine junge Frau verlangt – allerdings nicht, um sie zu fressen, sondern um sie in seinen Dienst zu stellen. Hauptfigur ist das Schmuddelkind Agnieszka, auf das zur allgemeinen Überraschung diesmal die Wahl des Magiers fällt.

Die Konkurrenz

Ebenfalls in der Romankategorie nominiert waren einige beachtliche Werke: etwa Lawrence M. Schoens "Barsk: The Elephants’ Graveyard", in dem die Galaxis von anthropomorphisierten Tieren besiedelt wurde, während die Menschheit längst verschwunden ist. Oder Ken Lius einmal nicht pseudoeuropäische Fantasy-Saga "The Grace of Kings", N. K. Jemisins "The Fifth Season", der Start einer Reihe über einen Planeten mit apokalyptischen Jahreszeitenwechseln, und Charles E. Gannons "Raising Caine", der jüngste Band aus einer Reihe, die vom Konflikt der Menschheit mit diversen Spezies von Außerirdischen handelt.

Nach dem faszinierenden "Ancillary Justice" ("Die Maschinen") und dem langweiligen "Ancillary Sword" ("Die Mission") hat Ann Leckie ihre Trilogie vom Weltraumimperium der Radch 2015 mit "Ancillary Mercy" abgeschlossen. Dieser Roman ging aber ebenso leer aus wie Fran Wildes "Updraft", ein Young-Adult-Abenteuer aus einer originell konstruierten Fantasywelt über den Wolken, in der Menschen mit selbstgebastelten Flügeln zwischen Türmen aus Knochen durch den Himmel pflügen. Dafür erhielt "Updraft" den Andre Norton Award für den besten YA-Roman; die Rechte für die Übersetzung ins Deutsche hat sich bereits der Verlag Droemer Knaur gesichert.

Kurzformate

Als beste Novelle wurde "Binti" von Nnedi Okorafor ausgezeichnet, die Geschichte einer jungen Afrikanerin, die zu einer extraterrestrischen Universität aufbricht und auf dem Flug dorthin allerhand Abenteuer erlebt. Ganz nach Okorafor-Art sprudelt die Erzählung vor ungewöhnlichen Ideen nur so über, ganz nach Okorafor-Art lässt die US-Autorin nigerianischer Herkunft aber auch die Hälfte davon unterwegs liegen – leider.

Noch kürzer als eine Novelle ist eine Novellette. Hie gewann "Our Lady of the Open Road" der US-amerikanischen Autorin und Musikerin Sarah Pinsker, ein im Geiste des Punk geschriebenes Tourtagebuch aus einer nahen dystopischen Zukunft. Die Novellette ist ursprünglich in "Asimov’s" erschienen und kann hier im Volltext gelesen werden. Den Preis für die beste Kurzgeschichte schließlich erhielt Alyssa Wong, ebenfalls aus den USA, für ihre Horrorgeschichte "Hungry Daughters of Starving Mothers" – auch diese ist im Volltext frei erhältlich.

"Did you just call me puppyface?"
Foto: Jasin Boland/Warner Bros. Pictures

Zusammen mit den eigentlichen Nebulas wird alljährlich auch der Ray Bradbury Award für den besten Science-Fiction-Film vergeben. Unter den drei erwartbaren Favoriten "Star Wars: The Force Awakens", "The Martian" und "Mad Max: Fury Road" hat sich George Millers Fortsetzung des postapokalyptischen "Mad Max"-Franchises durchgesetzt. Ebenfalls im Rennen waren "Ex Machina", "Inside Out" ("Alles steht Kopf") und die Serie "Jessica Jones".

Verlängerte Hugo-Misere

Dass die Autoren-Organisation heuer sämtliche Nebulas Frauen zuerkannt hat, kann ein Zufall sein, vielleicht aber auch eine Reaktion auf die unappetitlichen Aspekte der "Puppygate"-Diskussion rund um die Hugo Awards im vergangenen Jahr: Im Zuge der hasserfüllten Kontroverse zwischen "traditionell" und "progressiv" ausgerichteten Fans hatten sich einige selbsternannte Wahrer der alten Werte in die unausgegorene Vorstellung verstiegen, dass in Werken von und mit Frauen oder Homosexuellen automatisch die "Botschaft" wichtiger sei als der "Inhalt".

Puppygate indes findet heuer eine Fortsetzung, wie die im April veröffentlichte Liste der Nominierungen für die von Fans vergebenen Hugo Awards zeigte. Und es bestätigte sich dabei, was sich schon im Vorjahr abgezeichnet hatte: Die sich gemäßigt-konservativ gebenden Sad Puppies, die sich selbst für die zentralen Akteure der versuchten Hugo-Neuausrichtung hielten, waren nur Mittel zum Zweck für die erzreaktionäre Gruppierung der Rabid Puppies um den fundamentalchristlichen Kleinverleger Vox Day.

Nachdem die Sad Puppies heuer nicht wie 2015 auf eine Blocknominierung, sondern auf eine transparentere und damit ehrlichere Strategie gesetzt hatten, fanden sie sich nun im selben Boot wie der Rest der Fan-Welt wieder: Der Großteil ihrer vorgeschlagenen Nominierungen fiel unter den Tisch, weil Vox Day bei der alten Taktik blieb und mit Unterstützung von Internet-Trollen aus dem Gamergate-Umfeld den Stimmzettel einmal mehr zu weiten Teilen okkupierte. In einigen Kategorien – etwa bei den Romanen – ist die Auswahl heuer besser als im Vorjahr, weil sich mehr Fans denn je an den Nominierungen beteiligt haben. Andere – allen voran die Sparte Sekundärliteratur, die ausschließlich mit Produkten Vox Days besetzt ist – enthalten ausnahmslos Müll.

Zähne zusammenbeißen und durch

Dass die genreinterne Kontroverse heuer trotzdem noch nicht den Grad an Heftigkeit erreicht hat wie im Vorjahr, dürfte daran liegen, dass etwas in der Art befürchtet worden war – zumindest von den meisten Fans, während die Sad Puppies erst einmal die Überraschung verdauen müssen, wie klein ihr Einfluss tatsächlich ist, wenn sie nach den Regeln spielen. Einige Autoren haben sich im vergangenen Jahr zwar zu extrem positioniert, um für die "Gegenseite" jemals wieder akzeptabel zu sein – aber vielleicht ist der gemeinsame Feind ja nun der Kitt, der den Riss durch die SF-Gemeinde schneller kitten wird als gedacht.

Der Fortgang der Ereignisse dürfte klar gezeichnet sein: Auch heuer wird in einigen Kategorien wieder kein Preis vergeben werden, weil keiner der Kandidaten preiswürdig ist. Danach werden – nun garantiert – die bereits ausgearbeiteten Modifizierungen am Nominierungsmodus beschlossen werden, die ein drittes Puppygate-Debakel verhindern sollen. Und nach zwei teilweise verlorenen Jahren kann der Hugo Award dann hoffentlich endlich wieder in die Normalität zurückkehren. (Josefson, 15. 5. 2016)