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Es war ein guter Tag für Pflanzen: Die grüne Hölle von Jeff VanderMeers "Annihilation" gewinnt den Nebula Award für den besten Roman, "Guardians of the Galaxy" den für den besten Film. Groot!

Foto: AP Photo/Disney - Marvel

Das Cover von Jeff VanderMeers siegreichem Roman "Annihilation", darunter das der deutschsprachigen Ausgabe "Auslöschung".

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Foto: Antje Kunstmann Verlag

Chicago - Gerechtigkeit für eines der wichtigsten Science-Fiction-Werke des vergangenen Jahres: Nachdem es Jeff VanderMeers "Southern Reach"-Trilogie wegen einer rechtskonservativen Kampagne (mehr dazu hier) nicht auf den Stimmzettel der Hugo Awards geschafft hat, gab es dafür nun einen Nebula. Es sind dies die beiden bedeutendsten Preise für SF-Literatur - der Unterschied: Die Hugo-Kandidaten werden von Fans gewählt, die Nebulas von den Science Fiction and Fantasy Writers of America (SFWA). Deren Jahresversammlung - es war die 50-jährige Jubiläumsausgabe - fand am Wochenende in Chicago statt.

Der Gewinner

Die "Southern Reach"-Trilogie dreht sich um eine Zone der Fremdartigkeit, die sich im Südosten der USA manifestiert hat. Auf den ersten Blick nicht erkennbar, hat sich die dortige Natur in etwas Neues verwandelt. Und jeder Mensch, der diese Zone betritt, wird seinerseits verändert - körperlich wie geistig. Für eine schnelle Zusammenfassung könnte man den Plot der Trilogie als SF-Mystery irgendwo zwischen "Akte X" und Andrei Tarkowskis "Stalker" beschreiben, was ihr aber nicht annähernd gerecht würde. US-Autor Jeff VanderMeer schafft darin eine beispiellos dichte Atmosphäre, die an die surreale Science Fiction eines J. G. Ballard erinnert.

Besonders war auch der Erscheinungsmodus der Trilogie: Alle drei Teile wurden innerhalb eines Jahres veröffentlicht, vom nun Nebula-gekrönten Auftakt "Annihilation" über die Fortsetzung "Authority" bis zum Abschluss "Acceptance"; zum Jahreswechsel folgte ein Sammelband. Auf Deutsch ist die Trilogie beim Verlag Antje Kunstmann erschienen ("Auslöschung", "Autorität", "Akzeptanz").

Prominente Mitbewerber

Ausgestochen hat VanderMeer unter anderem drei Kandidaten, die dafür noch im Hugo-Rennen stehen: Cixin Liu, Ann Leckie und Katherine Addison. Im Roman "The Three-Body Problem" des chinesischen Autors Cixin Liu bereitet sich die Menschheit auf die Ankunft von Außerirdischen vor, die die menschliche Zivilisation tiefgreifend verändern oder vielleicht sogar auslöschen werden. "The Three-Body Problem" war in China überaus erfolgreich und hat sich nach der Übersetzung ins Englische zum Paradebeispiel eines "Buzz"-Buchs entwickelt - also einem, über das jeder spricht und das jeder gelesen haben müsse.

US-Autorin Ann Leckie war mit "Ancillary Sword" nominiert, der Fortsetzung ihres im Vorjahr preisgekrönten "Ancillary Justice" (auf Deutsch: "Die Maschinen"). Im Grunde handelt es sich um eine ganz klassische Rachegeschichte vor dem Hintergrund eines interstellaren Imperiums, allerdings ist es eine mit zwei Besonderheiten: Die Hauptfigur agiert sowohl individuell als auch als Teil eines geistigen Kollektivs und versteht sich dabei trotzdem stets als "ich". Und sie macht gemäß ihrer Kultur keinen sprachlichen Unterschied zwischen "er" und "sie". Dass sie jede Person unabhängig von deren Geschlecht als "sie" bezeichnet, scheint manche Leser verstört zu haben.

Die weiteren Kandidaten

Ebenfalls noch eine Chance auf den Hugo Award hätte die US-Autorin Sarah Monette, die vor zehn Jahren mit ihrer beeindruckenden Reihe "Doctrine of Labyrinths" Bekanntheit erlangte, einem Fantasyzyklus, dessen Protagonisten in einem Netz aus düsterer Magie, Sadismus und Scham gefangen sind. Unter dem Pseudonym Katherine Addison veröffentlichte sie ihren jüngsten Roman "The Goblin Emperor" - erneut ein barockes Fantasy-Szenario zwischen höfischen Intrigen, sozialen Spannungen und ganz persönlichen Seelennöten.

Zumindest in diesem Jahr ging Monette bei den Nebulas aber genauso leer aus wie der Autor und Computerspieldesigner Charles E. Gannon mit "Trial by Fire" (zweiter Band einer Reihe um einen Krieg zwischen Menschen und Außerirdischen) und der schon oft nominierte Jack McDevitt. Sein "Coming Home" ist der jüngste Band einer Romanreihe um Alex Benedict, einen interstellaren Antiquitätenhändler und notorischen Aufklärer von Verbrechen aller Art. McDevitts Romane sind auch auf Deutsch erschienen, zuletzt 2012 "Firebird".

Der beste Film

Bei den Nebulas gibt es deutlich weniger Kategorien als bei den Hugos - so zum Beispiel nur eine einzige für Filme und sonstige "dramatic presentations". Hier gewann James Gunns Verfilmung des Marvel-Comics "Guardians of the Galaxy" die als Ray Bradbury Award bezeichnete Trophäe.

Die von Marvels anarchischer Weltraumtruppe geschlagene Konkurrenz war bunt gemischt, vom Military-SF-Thriller "Edge of Tomorrow" über die "Captain America"-Fortsetzung "The Winter Soldier", die Komödie "Birdman" und Christopher Nolans mit ebensoviel Lob wie Häme überschütteten Trip "Interstellar" ... bis hin zum "Lego"-Film. Auffallend heuer: Das vollständige Fehlen der britischen Serie "Doctor Who" auf der Kandidatenliste, nachdem diese hier jahrelang überrepräsentiert war.

Kurz ...

Leider wieder keinen Nebula gab es für US-Autor Daryl Gregory, der es stets versteht, gängige Motive der Phantastik munter aufzugreifen und sie - gespickt mit popkulturellen Verweisen - in ein neues Licht zu rücken. Er war in der Kategorie Beste Novelle für "We Are All Completely Fine" nominiert, die Geschichte einer Gruppe von Menschen, die in der Vergangenheit buchstäblich monströse Erlebnisse hatten und nun in einer Therapiegruppe versuchen, ihre Traumata abzuarbeiten. Eine ausführliche Rezension der Novelle folgt in unserer nächsten SF-Rundschau.

Gewonnen hat den Novellen-Preis eine ebenso angesehene wie beliebte Autorin, die es allerdings deutlich konventioneller angeht. In "Yesterday's Kin" schildert die Amerikanerin Nancy Kress, wie unterschiedlich Menschen auf die Landung von Aliens reagieren können. Denn so wohlwollend diese auch auftreten mögen - ihre an die Serie "V - Die Besucher" erinnernde machtvolle Präsenz weckt bei vielen Misstrauen.

... und kürzer

Zwei weitere Autorinnen aus den USA machen das Feld komplett. Die auch im Comic-Bereich arbeitende Ursula Vernon erhielt den Preis für die beste Kurzgeschichte: Ihr ‘‘Jackalope Wives’’ greift das in nahezu allen Mythologien der Welt vertretene Motiv von Gestaltwandlerinnen auf und schildert die tragischen Folgen, die es haben kann, wenn man(n) eine solche Metamorphose unterbricht. Die im "Apex"-Magazin veröffentlichte Erzählung ist hier im Volltext zu lesen.

Beim etwas längeren Format der Novellette wurde Alaya Dawn Johnson der Preis für die Vampirgeschichte "A Guide to the Fruits of Hawai'i’’ zuerkannt (auch diese Erzählung ist im Volltext online). Johnson erhielt zudem für ihren vor dem Hintergrund einer Grippepandemie angesiedelten Roman "Love Is the Drug" den Andre Norton Award für SF-Jugendliteratur.

Business almost as usual

Zwei Giganten des Genres, die zugleich dessen Bandbreite illustrieren, wurden auf der Gala in Chicago mit Sonderpreisen geehrt: "Ringwelt"-Schöpfer Larry Niven erhielt den Damon Knight Grand Master Award für sein Lebenswerk, die 2011 verstorbene Autorin und Feministin Joanna Russ den Solstice Award, der im Gegensatz zum Grand Master auch posthum verliehen werden darf.

Soweit die Ergebnisse des zweiten großen Science-Fiction-Preises der Welt. Mit Betonung auf zweiten - denn in der Regel stand der Nebula immer ein bisschen im Schatten des Hugo. 2015 allerdings könnte als das Jahr in die SF-Chroniken eingehen, in denen der Nebula aus diesem Schatten heraustritt, weil er die Bandbreite des Genres besser repräsentiert als die von einer Rechtskampagne verzerrte Auswahl der Hugo-Kandidaten.

Noch ist nicht abzusehen, wie die Mehrheit der abstimmenden Fans auf diese Verzerrung reagieren wird. Wahrscheinlich ist, dass bei der Hugo-Wahl in einer Reihe von Kategorien kein Preis verliehen wird, da man auch mit "No Award" abstimmen kann. Sollte die Wut über die Kampagne undifferenziert ausfallen, ist sogar ein totaler Preisboykott möglich. In der seit Anfang April tobenden Kontroverse, die bei der Hugo-Verleihung im August noch einmal so richtig hochkochen wird, bildete die Nebula-Gala jedenfalls eine kurze Atempause der Normalität. Das Auge des Wirbelsturms lag an diesem Wochenende über Chicago. (Josefson, 7.6. 2015)