Overhead: Diese Fotografie aus der Werkserie "TrabZONE" – entstanden 2010 in der türkischen Stadt Trabzon am Schwarzen Meer, mit der Nilbar Güres Kindheitserinnerungen verbindet – symbolisiert einen Kern der noch immer weit verbreiteten Arbeitsteilung zwischen den Geschlechter. Diese Frau scheint den Hausrat – die Hausarbeit – mit Leichtigkeit zu schultern. Aber unübersehbar: der Stapel ist riesig und schwer.

Foto: Courtesy the Artist; Galerie Martin Janda, Wien; Rampa, Istanbul; Sammlung Museum Wien

Mit "Feindbild Frau" legte Pohl 2002 ein Standardwerk der Geschlechterforschung vor.

Foto: offizin verlag

"Statt über die Gründe für Prekarisierung zu sprechen, kommt es zu einer Ersatzdiskussion mit dem Tenor: Frauen nehmen Männern die Jobs weg": Der Sozialpsychologe Rolf Pohl.

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STANDARD: Derzeit wird viel über die Frauenbilder von Flüchtlingen diskutiert. Gibt es etwas, was diese mit den Frauenbildern heimischer Männer verbindet?

Pohl: Bei allen kulturellen Unterschieden gibt es eine Gemeinsamkeit: eine Kultur der männlichen Vorherrschaft, die schon bei Kindern mental und unbewusst verankert wird. Der Anspruch der Männer, das autonome, überlegene, wichtigere Subjekt zu sein, besteht auch bei uns noch. Er ist besonders an dem Punkt bedroht, an dem Sexualität ins Spiel kommt.

STANDARD: Was hat Sexualität damit zu tun?

Pohl: Die Weiblichkeit und Sexualität der Frau haben eine unglaubliche Macht über den Körper und das Begehren des Mannes. Sie machen ihn schwach. Diese Schwäche widerspricht seinem Selbstverständnis als Mann fundamental. Das ist ein Moment, wo immer Gewalt lauert.

STANDARD: Könnte man sagen, es gibt unabhängig vom kulturellen Kontext eine verallgemeinerbare Haltung von Männern gegenüber Frauen?

Pohl: Man muss aufpassen bei Pauschalisierungen im Stile von: Männer sind überall so. Gleichwohl gibt es beispielsweise Varianten männlicher Gewalt gegen Frauen, die wir immer wieder sehen. Die Erscheinungsformen ändern sich, aber es gibt Grundkonflikte in Gesellschaften und Kulturen mit männlichem Vorherrschaftsanspruch und einer abwertende Grundeinstellung zu Frauen und Weiblichkeit. Beides existiert kulturell auch bei uns noch. Man kann zugespitzt sagen: Was im sogenannten arabischen Raum gern als "unzivilisiert" bezeichnet wird, ist eine Abstufung von dem, was es auch bei uns gibt. Insofern ist die Verlagerung nach Köln von Frauenhass auf Fremdenhass interessant. Wenn wir uns davon distanzieren, wie unzivilisiert "diese Araber" sind, lenken wir davon ab, was bei uns im Argen liegt in den Einstellungen zu Frauen.

STANDARD: Klassische Projektion?

Pohl: Ja. Die Auseinandersetzung mit eigenen Neigungen, Konflikten, Ängsten und Wünschen, also mit Unbewusstem, wird vermieden, indem man die anstößigen oder nicht erlaubten Dinge von sich abspaltet und auf jemand anderen projiziert, den man brandmarken kann. Dann tut man so, als wäre man selbst frei davon. Das ist ein klassischer Mechanismus in der Sozialpsychologie, der derzeit auch im Umgang mit den Flüchtlingen beobachtbar ist. So wird abgelenkt von Strukturen, die etwa hinter Alltagssexismus stecken.

STANDARD: Sie unterscheiden sexuelle Gewalt von sexualisierter Gewalt gegen Frauen. Warum?

Pohl: Es gibt sexualisierte Gewalt, die dem männlichen Machterhalt und der Absicherung seiner Überlegenheit dient. Dazu gehören "Pograpscher" und andere Formen sexueller Demütigung. Eine Vergewaltigung ist aber sexuelle Gewalt, die auch oder sogar hauptsächlich der Befriedigung des Mannes dient. Darin vereint sich der männliche Machtanspruch mit Befriedigung. Das ist für den Angreifer offenbar nur mit Gewalt möglich. Zugespitzt heißt das: Die Frau wird für das Begehren bestraft, das sie im Mann auslöst und das seine Machtposition angreift. Gleichzeitig kann der Mann sein Begehren befriedigen. Das ist der Mechanismus von männlicher Macht und Sexualität.

STANDARD: Viele Feministinnen verstehen Vergewaltigung als radikale Durchsetzung des Machtanspruches des Mannes, die mit Sexualität an sich nichts zu tun hat.

Pohl: In diesem Verständnis wird männliche Sexualität primär als Mittel der Unterdrückung gesehen. So als könnte der Mann seine Sexualität jederzeit beliebig einsetzen. Unterschwellig wird da das Bild des omnipotenten Mannes reproduziert, der sexuell "immer kann", notfalls zum Zwecke der Vergewaltigung, wenn es dem Machterhalt dient. Das halte ich für zu kurz gedacht.

STANDARD: Warum?

Pohl: Die männliche Sexualität ist ja kein Naturrest, sondern sie entsteht, wird sozialisiert und verändert sich im Rahmen einer hierarchischen Geschlechterordnung.

STANDARD: Auch Alice Schwarzer sagte, dass die Übergriffe von Köln nichts mit Sex zu tun hatten, sondern Machtdemonstrationen muslimischer Männer waren: um Frauen, ihre Männer und den Staat zu demütigen.

Pohl: Man vergibt sich eine Erklärungschance, wenn man diese Gewalt nicht mit männlicher Sexualität zusammendenkt. Gerade in der Sexualität lauern Herrschaftsansprüche und Überlegenheitsbedürfnisse; dort lauert die Angst, die weibliche Sexualität beim Mann auslöst. Gewalt ist ein Mittel, um diese Angst zu bändigen. Selbstverständlich geht es dabei auch um Macht, aber nicht jenseits aggressiv aufgeladener Lust.

STANDARD: Nach Köln fragen manche, wo die "deutschen Männer" waren, um "ihre Frauen" zu schützen. Ist das Bild vom Mann als Beschützer die Kehrseite vom Mann als Bedroher der Frau? In beiden Bildern sind Frauen schwach.

Pohl: Ein deutscher Youtuber sagte, die Frauen in Köln waren letztlich selbst schuld, denn sie hätten die deutschen Männer so schwach gemacht. Die Aussage dahinter ist: "Hättet ihr uns in unserer angestammten Rolle gelassen, hätten wir euch beschützt." Pegida-Chefin Tatjana Festerling nannte Köln einen "Sex-Dschihad gegen deutsche, weiße, blonde Frauen". Deutsche Männer seien gedemütigt worden, weil sie die Frauen nicht schützen konnten. Sie meint: Unsere Männer müssen gestärkt und traditionelle Geschlechterverhältnisse wiederhergestellt werden. Man sieht die Übereinstimmung zwischen rechten und Männerrechtsbewegungen. Beide wollen den Mann wieder in die angestammten Rolle setzen.

STANDARD: Apropos angestammte Rolle: In Spielzeugläden wird man von Rosa und Blau erschlagen, Prinzessinnen und Superhelden allerorten. Werden Kindern wieder verstärkt klar abgegrenzte Geschlechterentwürfe angeboten?

Pohl: Es gibt eine neue Tendenz der Vereindeutigung, bis hinein in die frühkindliche Pädagogik. Sie findet vor dem Hintergrund allgemeiner Krisenerscheinungen, von Verunsicherung und Angst statt. Die Emanzipationsbewegung der letzten Jahrzehnte hat bewirkt, dass die Unsicherheit über Geschlechterrollen wieder größer wird. Mit den Fortschritten der Modernisierung bei der Gleichstellung wächst auch die Gegenbewegung. Denn trotz Geschlechtergleichstellung in vielen Bereichen hat sich die männliche Dominanz und damit die innere Einstellung zu Weiblichkeit und Frauen kaum geändert.

STANDARD: Also Vereindeutigung als Reaktion auf Gleichstellung?

Pohl: Geschlechterverhältnisse waren immer Austragungsfeld für gesellschaftliche Krisen und Unsicherheiten. Die Vorstellung von gleichberechtigten Frauen verunsichert viele Männer. Die Idee vom Mann als Familienernährer ist immer noch stark und männliche Identität an lebenslangen Erwerb geknüpft. Diese Ernährerrolle erodiert aber, das verunsichert viele Männer fundamental. Aber statt über die Gründe für Prekarisierung zu sprechen, kommt es zu einer Ersatzdiskussion mit dem Tenor: Frauen nehmen Männern die Jobs weg. Dabei erleben Männer jetzt, was Frauen immer betroffen hat: prekäre Jobs, Teilzeitarbeit, Unterbezahlung.

STANDARD: Die Ernährerrolle erodiert auch bei männlichen Flüchtlingen. Wie reagieren Männer aus sehr traditionellen Gesellschaften auf diesen Identitätsverlust?

Pohl: Dem nachzugehen finde ich ergiebiger als die aktuelle Diskussion über Angehörige einer rückständigen Macho-Kultur, die angeblich eine Gefahr für "unsere" Frauen sind. Die Debatte geht davon aus, dass diese Männer ein kulturell geprägtes, feststehendes Frauenbild eins zu eins mitbringen. Ich denke eher, dass sie durch die Dynamik der Aufnahme oder Nicht-Aufnahme in ein Land eine Krise ihrer Männlichkeit erleben. Natürlich gibt es kulturelle Prägungen bei Rollenbildern. Aber: Die Gemeinsamkeiten zwischen den Männern, die zu uns kommen, und den hiesigen Männern sind größer als die Unterschiede. (Lisa Mayr, 5.3.2016)